




In Thüringen ist nach der gestrigen Landtagswahl zu besichtigen, wohin die Zersplitterung des deutschen Parteiensystems führt. Weder eine Koalition von CDU und SPD (von „großer“ mag man angesichts von 12,4 Prozent für die SPD nicht sprechen) noch ein Dreibündnis aus Linkspartei, SPD und Grünen hätten im Parlament einen klaren Vorsprung, sondern lediglich eine Ein-Stimmen-Mehrheit. Selbst mit den Sozialdemokraten zusammen wäre Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) also gut beraten, ihre Regierung um die Grünen als dritten Partner zu erweitern, um nicht bei jeder Abstimmung zittern zu müssen.
Ein rot-rot-grünes Bündnis mag man sich gar nicht vorstellen. 25 Jahre nach dem Mauerfall sollen die Nachfahren der Bürgerbewegung, soll Bündnis90/Die Grünen der SED-Nachfolgepartei an die Macht verhelfen?
Stimmen zu den Wahlen in Thüringen und Brandenburg
„Wir müssen uns härter und offensiver mit der AfD und ihrem Programm auseinandersetzen.“
„Man kann es einfach nicht mehr abstreiten, die Bürger dürsten nach einer politischen Erneuerung im Lande. Sie dürsten nach dieser Erneuerung, weil sie die Profillosigkeit der Alt-Parteien satt haben.“
„Das ist ein bitteres Ergebnis für die SPD, das müssen wir akzeptieren und tapfer tragen.“
„Rot-Rot hat sich überlebt.“
„Die Durststrecke der FDP ist noch nicht zu Ende.“
„Es ist mehr als billig, die politische Verantwortung zu übernehmen.“
„Die AfD ist eine Herausforderung für alle Parteien. Wir sehen sie nicht als Partner.“
Wobei zuzugestehen ist, dass der Spitzenkandidat der Linkspartei, Bodo Ramelow, auch Mitglied der SPD sein könnte. Sagen jedenfalls selbst Sozialdemokraten. Die Folge zeigt das vorläufige amtliche Endergebnis:
Die Linkspartei konnte trotz des erstmaligen An- und Auftretens der AfD leicht zulegen, während die SPD abschmierte. Deshalb war auch der SPD-Bundesvorsitzende Sigmar Gabriel von Anfang an gegen das Techtelmechtel seiner thüringischen Parteifreunde mit den knallroten Genossen. Denn er fürchtete, nach einer Koalition aus SPD und Linkspartei würden die Wähler feststellen, dass der Sozialist auch ganz realistische Politik machen könnte, weshalb die Wähler 2019 dann gleich Linkspartei wählen würden.
Gabriels Planspiel hatte nur einen Fehler: Die Wähler entschieden sich schon jetzt lieber für die Linkspartei als für die SPD. Ob es der verträgliche linke Spitzenkandidat war oder das taktische Herumeiern der SPD, wie Gabriel vermutet, bleibt dahingestellt. In jedem Fall grüßen die Erfurter Parteifreunde als Verlierer des Tages. Die freilich würden eigentlich viel lieber mit der Linkspartei gehen. Die Sozialdemokraten vor Ort, so versichern führende SPD-ler aus Thüringen, hätten von Ministerpräsidentin Lieberknecht schlicht „die Schnauze voll“ und halten sie für ein Auslaufmodell, das man nicht noch in eine weitere Amtszeit tragen wolle.
SPD läuft Gefahr, erdrückt zu werden
In Brandenburg sieht es für die SPD besser aus, und das lenkt den Blick auf die zweite Lehre aus den Landtagswahlen. Die Rolle des Juniorpartners in einer Koalition ist derzeit gleichbedeutend mit einem Schleudersitz. Vor zwei Wochen erwischte es die sächsische FDP, diesmal waren in Thüringen die SPD und in Brandenburg die Linkspartei dran. Die Großen im Regierungsbündnis bleiben ungeschoren oder können sogar etwas zulegen, die Mehrheitsbeschaffer werden dagegen offensichtlich nicht als entscheidend eingestuft – mag das Ergebnis der jeweiligen Regierung auch noch so ordentlich sein.
Für Sigmar Gabriel ist das keine gute Botschaft. Denn damit wären seine Sozialdemokraten auch auf Bundesebene zur Zitterpartie verurteilt und laufen Gefahr, auch bei der nächsten Bundestagswahl von der medial übermächtigen Bundeskanzlerin Angela Merkel erdrückt zu werden. Andererseits bleibt den Genossen auch keine Wahl. Sie können schlecht, wenn sie zum Mitregieren aufgefordert werden, sich aus parteitaktischen Überlegungen verweigern. Also müssen sie wohl oder übel mitmachen. Umso wichtiger ist deshalb die richtige Kombination der Themen.
SPD muss mehr sein, als der "Betriebsrat der Nation"
SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi brachte deshalb sicher nicht zufällig noch in der Berliner Runde am Wahlabend unter, was auch Gabriel in seinem Regierungshandeln als Bundeswirtschaftsminister antreibt:
„Wirtschaftkompetenz und soziale Gerechtigkeit muss kein Widerspruch sein“, sagte Fahimi mit Blick auf das Brandenburger Wahlergebnis. So hat auch Gabriel seine bundespolitische Rolle angelegt. Er ist überzeugt, dass die SPD nicht nur „der Betriebsrat der Nation“ sein darf, sondern auch Wirtschaftskompetenz verkörpern muss. Genau deshalb hat er das Ressort in der Bundesregierung übernommen. Ob es reicht, ist unklar. Noch ist die SPD fest eingemauert im 25-Prozent-Ghetto.
Die CDU dagegen muss mit den beiden Landtagswahlen nun endlich erkennen, dass ein bloßes Ignorieren oder gar Verspotten der Alternative für Deutschland nicht ausreicht. CDU-Generalsekretär Peter Tauber ist da weiter als der Fraktionsvorsitzende Volker Kauder. Zumal die AfD zwei weitere Male bewiesen hat, dass sie eben nicht das Ersatzgefäß für NPD-Stimmen ist.
Brandenburg wählt die Diktatur
Was war noch? Bei der FDP wurden die Erwartungen der Bundesspitze voll erfüllt und beide Landtagswahlen verloren. Jetzt richten sich die nächsten, wenn auch nicht alle Hoffnungen auf die Bürgerschaftswahl in Hamburg im nächsten Frühjahr. Die Grünen kommen nicht vom Fleck, müssen aber auch nicht um Überleben bangen. In Thüringen wird das vielleicht sogar mit einer Regierungsbeteiligung belohnt.
Deutschland
Das vielleicht bemerkenswerteste Resultat des gestrigen Abends freilich ist gar kein Wahlergebnis, sondern ein Nichtwahl-Ergebnis. Brandenburgs Bürger haben gestern für eine Diktatur votiert. Wie anders soll man eine Wahlbeteiligung von weniger als 50 Prozent interpretieren. Mit so großer politischer Zufriedenheit, dass eine Teilnahme an der Abstimmung gar nicht nötig ist? Wohl kaum.
Aber wer nicht wählen geht, hat eigentlich eine Diktatur verdient.