Analyse Langes Überleben oder schnelles Scheitern – wovon die Zukunft der AfD abhängt

Fünf Jahre nach ihrer Gründung hat die AfD deutschlandweit Fuß gefasst. Gewinnen die Radikalen in der Partei die Oberhand, ist ein Scheitern nicht ausgeschlossen.

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Wird einer ihrer Abgeordneten nicht in ein Amt gewählt, schaltet AfD-Fraktionschef verbal einen Gang höher: „Wenn man Krieg haben will in diesem Bundestag, dann kann man auch Krieg haben.“ Quelle: dpa

Berlin Keine andere Partei hat sich in den vergangenen Jahren so viele personelle und inhaltliche Konflikte geliefert wie die AfD. Wirklich geschadet hat es ihr aber bislang nicht.

Fünf Jahre nach ihrer Gründung ist sie nicht nur mit 92 Abgeordneten drittstärkste Kraft im Bundestag. Die AfD ist außerdem in 14 Landesparlamenten vertreten. Das ist ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. „Mit der AfD hat sich in Deutschland erstmals eine rechtspopulistische Partei auf nationaler Ebene etabliert“, konstatiert der Mainzer Politikwissenschaftler Kai Arzheimer im Gespräch mit dem Handelsblatt.

Das bleibt nicht ohne Wirkung auf die Debattenkultur im Land. Der Ton des öffentlichen Diskurses habe sich „erheblich verschärft“. „Positionen und Vokabular, die vor fünf Jahren in der Öffentlichkeit noch als fast unsagbar galten, sind durch die AfD in die Parlamente und in die Medien getragen worden“, sagt Arzheimer. Die AfD sei zwar auch Ausdruck einer gesellschaftlichen Polarisierung, aber, fügt er hinzu: „Sie forciert diese Polarisierung auch.“

Das tut die AfD mitunter mit großer Lust an der Diffamierung. Und wenn ihre politischen Gegner mit scharfen Tönen dagegenhalten, nimmt die politische Auseinandersetzung schon mal bizarre Züge an. Also ob die AfD nur darauf warten würde, dass sich alle auf sie werfen, geraten Bundestagsdebatten manchmal zu regelrechten Pöbelorgien.

Wenn der Grüne Cem Özdemir die AfD-Parlamentarier im Plenum des Bundestages „Rassisten“ nennt, beklagen sie einen „Rassismus gegen Deutsche“. Wird einer ihrer Abgeordneten nicht in ein Amt gewählt, schaltet Fraktionschef Alexander Gauland einfach verbal einen Gang höher: „Wenn man Krieg haben will in diesem Bundestag, dann kann man auch Krieg haben.“ Ungleich schwieriger ist es für die Parteispitze dagegen, den „gärigen Haufen“ (Gauland) AfD auf Dauer zusammenzuhalten.

Dabei geht es nicht nur um persönliche Animositäten und den auch in anderen Parteien üblichen Kampf um Posten. Stattdessen stellen sich grundsätzliche Fragen. Immer wieder flammt Streit auf, wo die Partei ihre Grenze nach rechts ziehen soll, eine der größten Belastungen.

„Es gibt in dieser Partei keine Barriere, kein Sperrrad mehr gegen die Radikalisierung“, urteilte jüngst der Berliner Politologe Hajo Funke. Er sagt, die Schiedsgerichte der AfD hätten bisher alle Versuche, die Radikalen in der Partei zu bremsen, zunichte gemacht. Selbst Wolfgang Gedeon, der nach Antisemitismus-Vorwürfen aus der baden-württembergischen Landtagsfraktion geworfen worden war, könne „weiter sein bitterböses Spiel spielen“.

Der wegen gewaltverherrlichender Internet-Einträge in die Kritik geratene frühere AfD-Landeschef in Mecklenburg-Vorpommern, Holger Arppe, wurde beim Landesparteitag im vergangenen November mit Applaus begrüßt und sogar als Kandidat vorgeschlagen. Er kandidierte dann aber nicht.

Solche Entwicklungen ermutigen die politische Konkurrenz, die direkte Konfrontation zu suchen. So forderte vor kurzem Ex-Außenminister Joschka Fischer (Grüne) eine harte politische Auseinandersetzung mit der AfD. „Nicht jeder, der die AfD wählt, ist ein Nazi. Aber leider ist es so, dass es in dieser Partei viele Nazis gibt. Oder wie wollen wir Herrn Höcke oder Jens Maier oder manch andere dort bezeichnen?“, sagte Fischer. Er warnte vor einem neuen Nationalismus.

Genau das könnte der AfD zum Verhängnis werden. Irgendwann. Denn aktuell ist ein Scheitern der noch jungen Partei nicht absehbar – zu fest verankert scheint die AfD derzeit im Parteiensystem. In Umfragen bewegt sich die Partei jedenfalls bundesweit konstant zwischen 13 und 15 Prozent. „Für den mittleren Zeitraum dürfte das Überleben der AfD alleine durch ihre Präsenz in den 14 Landtagen und im Bundestag und durch die damit verbundenen Ressourcen und den Zugang zu den Medien gesichert sein“, sagt der Mainzer Politikwissenschaftler Arzheimer.

Das aber, gibt er zu bedenken, ist nicht in Stein gemeißelt. Zumal die „Verbindungen und Überschneidungen, die zumindest Teile der Partei mit dem Rechtsextremismus unterhalten, immer deutlicher“ würden. „Wenn sich die Partei und ihr Image weiter in diese Richtung wandeln, wird das auf größere Teile der Wählerschaft längerfristig abschreckend wirken“, ist Arzheimer sicher.

Nichtsdestotrotz ist die AfD eine Besonderheit in der politischen Landschaft Deutschlands. Nach nur fünf Jahren ist es ihr gelungen, deutschlandweit Fuß zu fassen. Bisherige Projekte rechts der Union seien, wie Arzheimer, erklärt, daran gescheitert, dass sich diese Parteien wie die DVU, die Republikaner und die NPD nicht hätten glaubwürdig vom Rechtsextremismus distanzieren oder sich wie die Schill-Partei nicht bundesweit organisieren können.

„Der AfD ist beides gelungen, weil sie zunächst als moderat euroskeptische Partei angetreten ist und sich erst radikalisiert hat, als schon eine gewisse Bekanntheit und parlamentarische Präsenz gegeben war“, sagte der Politikprofessor. Die Flüchtlingskrise habe dann das ihre getan. „Ohne sie wäre die Partei nach der faktischen Spaltung im Sommer 2015 vielleicht wieder in der Versenkung verschwunden.“

Eine Volkspartei sieht Arzheimer in der AfD aber nicht. Er glaubt auch nicht, dass sie das Zeug hat, sich noch zu einer solchen zu entwickeln. Wie andere Parteien dieses Typs habe auch die AfD ein „klares Wählerprofil“, erläuterte der Politikwissenschaftler: deutlich mehr Männer als Frauen, mehr Menschen mit mittleren oder niedrigen Bildungsabschlüssen, mehr Arbeiter und kleine Angestellte und - eine deutsche Besonderheit - mehr Ost- als Westdeutsche.

Aber, betont Arzheimer, selbst die erfolgreichste dieser Parteien, die österreichische FPÖ, die regelmäßig 25 Prozent der Wählerstimmen und mehr auf sich vereine, sei eher Arbeiter- als Volkspartei. Ohnehin sei es fraglich, ob es in Zukunft überhaupt noch Volksparteien, also Parteien, die weite Teile der Gesellschaft für sich mobilisieren und Stimmenanteile von 40 Prozent oder mehr erringen können, geben werde.

Für die AfD jedenfalls hält das auch der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter für denkbar unwahrscheinlich. Als Volkspartei im klassischen Sinn werde sich die AfD nicht entwickeln. Zur Begründung sagte er dem Handelsblatt: Die Partei wolle ein wirklich umfassendes Politikkonzept gar nicht anbieten, „sondern einen speziellen europakritischen, nationale Identität und Interessen ausdrückenden Akzent“.

In der Wählerzustimmung sei die Skala nach oben „durchaus noch offen“, fügte Oberreuter hinzu. Aber nach unten eben auch, „wenn sich definitiv herausstellt, dass die Partei substantiell nicht viel zu bieten hat“. Allerdings sagte Oberreuter auch, dass es auf Substanz nicht so sehr ankomme, „wenn die Etablierten emotionale Verärgerungen provozieren“. „Dann genügen auch Emotionen als Gegengewicht.“

Besonders der CSU könnte die AfD zusetzen. Das ist umso problematischer, als es für die Partei des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder bei der Landtagswahl im Herbst um nichts anderes geht, als um die Verteidigung der absoluten Mehrheit. Ob das gelingen kann? Aus Expertensicht sind durchaus Zweifel angebracht.

Die AfD habe in der Vergangenheit zwar von fast allen Parteien Wählerstimmen gewonnen und in Teilen Ostdeutschlands die beiden ehemals großen Parteien überholt. Aber: „Eine besondere Konkurrenz ist sie aus meiner Sicht für die CSU, da sie für Wähler rechts der CDU besonders attraktiv ist, aber im Unterschied zur CSU bundesweit antritt“, sagte der Mainzer Politik-Professor Arzheimer.

Auch der Passauer Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter ist der Überzeugung: Die AfD sei vor allem für den „traditionellen und konservativen Flügel“ der Union eine Konkurrenz. Ob das so bleibe, hänge „von der Antwortbereitschaft der klassischen Parteien ab, von der Fähigkeit, auf die Verunsicherten zuzugehen und zu reagieren“, sagte Oberreuter dem Handelsblatt. Andererseits profitiere die AfD davon, dass es „viele Nischen in der Gesellschaft für ganz andere Positionen“ gebe, in der sich die Partei festsetzen könne.
Oberreuter sieht vor diesem Hintergrund auch Nachteile für die SPD. „Mit der vorläufigen Etablierung der AfD setzt sich die Fragmentierung des Parteiensystems auf Kosten der Volksparteien fort“, sagte er. Das sei auch eine „Konsequenz der Differenzierung der Gesellschaft und des Versagens der Großen, Bedürfnisse, die da sind, nicht aufzugreifen“. Diese Wähler suchten dann anderswo Hilfe – mit der Konsequenz, dass die politische Stabilität schwinde und Koalitionsbildungen erschwert würden.

Arzheimer beobachtet dieses Phänomen heute schon. „Die strategisch sinnvolle Isolation der AfD führt zu komplexen und langwierigen Verhandlungen, mit deren Ergebnis niemand recht zufrieden ist.“

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