Andere Länder, andere Sitten Die Lebenslauf-Checker

Grünen-Chefin und -Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock. Quelle: imago images

Die Lebenslauf-Beschönigung Annalena Baerbocks hat dem Image der Grünen-Chefin geschadet. Was in Deutschland empört, ist für viele Personaler Alltag – und diese Fakes zu finden in anderen Ländern gar ein Geschäftsmodell.

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Der Wirbel um Angaben im Lebenslauf von Annalena Baerbock könnte der Grünen-Chefin noch eine Weile zu schaffen machen. Ihre Partei ist in Umfragen, zumindest für den Augenblick, abgesackt. Auch ihre eigenen Popularität leidet: Noch im Mai hielten laut dem ZDF-Politbarometer noch 43 Prozent der Befragten Baerbock für eine geeignete Kanzlerin. Derzeit sind es nur noch 28 Prozent. Die Politikerin bezeichnete den Vorfall selbst als „Mist“ und entschuldigte sich dafür, einen missverständlichen Eindruck erweckt zu haben.

Der Verdacht, dass jemand bei seinem Lebenslauf geschummelt haben könnte, kommt in Deutschland offenbar gar nicht gut an. Für viele Personaler ist so ein Verdacht allerdings Alltag. Sie haben in Deutschland nur eingeschränkt Möglichkeiten, zu überprüfen, ob es ein Bewerber mit den Angaben im Lebenslauf vielleicht nicht so genau genommen hat. Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte schützen Bewerber in Deutschland davor, von allzu wissbegierigen Unternehmen ausgeschnüffelt zu werden. Zugleich laufen Trickser weniger Gefahr, mit Übertreibungen oder glatten Lügen im Lebenslauf davonzukommen.

In den USA und in Großbritannien sind ausführliche Hintergrundprüfungen von Bewerbern dagegen schon seit Jahrzehnten Alltag. Und das in einer aus deutscher Sicht erstaunlichen Ausführlichkeit. Eine stetig wachsende Zahl von Dienstleistern führt Hintergrundchecks von Bewerbern oder bereits Beschäftigten durch.

Noch immer hat der Lebenslauf bei Personalern einen hohen Stellenwert – dabei erlaubt er nur begrenzt Rückschlüsse auf die zukünftige Leistung. Wie können Unternehmen trotzdem geeignete Bewerber finden?

Eine dieser Firma ist Vero Screening in der Küstenstadt Brighton südlich von London. Dort glaubt man, man wäre Angaben, wie Annalena Baerbock sie auf ihrer Webseite gemacht hat, auf die Schliche gekommen.

„Wenn wir Kandidaten überprüfen, dann besorgen wir uns schriftliche Referenzen von bestätigten offiziellen Quellen, wo immer das möglich ist, anstatt uns nur auf die Angaben der Kandidaten zu verlassen“, erklärt das Unternehmen auf Anfrage schriftlich. „Diese Herangehensweise deckt auch professionelle Mitgliedschaften und Qualifikationen ab, die relevant sind für die Rolle des Kandidaten, falls der zukünftige Arbeitgeber diese Überprüfungen angefordert hat.“

Vero arbeite mit einer Vielzahl an Kunden zusammen, erklärt das Unternehmen weiter. Besonders häufig kämen allerdings Anfragen aus der Rechtsbranche, von Finanzdienstleistern, Versicherungen und Technologieunternehmen. „Viele dieser Organisationen unterliegen zunehmend komplexen regulatorischen Auflagen. Oder sie streben danach, Industriestandards oder Best Practice-Anforderungen zu erfüllen.“

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von Jan Guldner

Die Kunden ließen in aller Regel Hintergrundchecks von all ihren Angestellten durchführen, erklärt Vero weiter – also sowohl von Bewerbern als auch von derzeitig Beschäftigten. Dabei arbeite Vero mit jedem Unternehmen genau aus, was genau alles überprüft werden solle. „Das stellt sicher, dass der Umfang der Überprüfung nicht exzessiv ist.“ In aller Regel würden dabei nicht alle Bewerber überprüft, die sich auf eine Stelle beworben hätten, sondern nur diejenigen, die ein Unternehmen einzustellen wünsche und denen ein Jobangebot unterbreitet worden sei.

Vero trete dann, nachdem man sich die Erlaubnis des zu Überprüfenden eingeholt habe, an „an relevante Drittparteien“ heran, „etwa ehemalige Arbeitgeber, Lehrinstitutionen und offizielle Stellen“, um die Angaben zu überprüfen, erklärt Vero. Arbeitgebern rate man, Bewerber möglichst frühzeitig darauf aufmerksam zu machen, dass eine Hintergrundüberprüfung Teil des Bewerbungsverfahrens sei. Wenn Einblicke in polizeiliche Führungszeugnisse erforderlich sind, sollte das schon bei der Stellenausschreibung kenntlich gemacht werden.

Die Liste der möglichen Dinge, die Vero überprüfen könne, ist lang: Zu ihnen zählen unter anderem Ausweispapiere, Fahrverstöße, Nachfragen bei Regulierungsbehörden und Überprüfungen von Social-Media-Posts der Bewerber. Es würden allerdings nur „jene Komponenten angewandt, die relevant sind, um die Eignung für die Rolle zu überprüfen“, um die sich ein Bewerber beworben habe.

Mehr Transparenz würde helfen, „faule Äpfel“ zu finden

Ungenauigkeiten in Lebensläufen seien dabei „recht gewöhnlich“, erklärt Vero weiter. „In einigen Fällen kann das einfach darauf zurückzuführen sein, dass es bei der Aufmerksamkeit für Details oder bei der Erinnerung an bestimmte Details gemangelt hat. In selteneren Fällen kann jedoch die Absicht dahinterstehen, Qualifikationen und Erfahrung übertrieben darzustellen oder nachteilige Informationen zu verbergen.“ Diese Ungenauigkeiten finde man bei Bewerbern in allen Industrien und auf allen Ebenen.

Im Zusammenhang mit der Coronakrise stünden viele Arbeitgeber unter einem besonders großen Druck, erklärt Vero weiter: Sie müssten in kurzer Zeit viele Stellen besetzen. Das habe zu einem starken Wettbewerb unter den Bewerbern geführt, was den Einstellungsprozess schwieriger gestalte. So seien häufig Vorstellungsgespräche von Angesicht zu Angesicht nicht möglich. „Die Kombination dieser Faktoren führt vermutlich dazu, dass Bewerber ihr berufliches Profil verbessern wollen, um Konkurrenz abzuwehren und sich eine Stelle zu sichern.“

Auch in Großbritannien ist es nicht immer ganz einfach für ein Unternehmen wie Vero, an Daten zu gelangen. Verschiedene Unternehmen und Stellen hätten ganz unterschiedliche Herangehensweisen, wenn es um die Herausgabe von Daten gehe. „Universitäten werden gewöhnlich nur die geringstmögliche Menge an Informationen herausgeben, die sie für angemessen erachten“, erklärt Vero. Einige Hochschulen gäben Angaben zum akademischen Grad eines Bewerbers heraus, machten aber keine Angaben zu dem Jahr, in dem dieser Grad erworben worden sei. Und viele ehemalige Arbeitgeber machten keine Angaben dazu, wie sich ein ehemaliger Arbeitnehmer in seiner Rolle bewährt habe. „Interessanter Weise streben ganz bestimmte Industrien nach mehr Transparenz bei ehemaligen Arbeitgebern. Zum Beispiel der Finanzdienstleistungssektor.“ Mehr Transparenz würde dabei helfen, zu verhindern, dass „faule Äpfel“ eingestellt werden, die einen großen Einfluss auf ihren neuen Arbeitgeber haben könnte.

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Die Europäischen Datenschutzrichtlinie habe Hintergrundchecks nicht schwieriger gemacht, aber Veränderungen mit sich gebracht, erklärt Vero weiter. Die Richtlinie habe dazu geführt, dass genauer unter die Lupe genommen worden sei, welche Überprüfungen wirklich notwendig seien für die Bewertung eines bestimmten Bewerbers. „Außerdem wurde erhöhter Wert darauf gelegt, den Bewerbern klarere Informationen über die Anstellungs-Überprüfung zu geben und sie darüber zu informieren, was diese Überprüfung enthalten könnte.“ Das sei jedoch ein Vorteil, fügt Vero hinzu, da sich die Erfahrungen der Bewerber dadurch verbesserten. Und das führe zu einer „reibungsloseren und effizienteren Überprüfung“.

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