Anders gesagt
Fleischproduzent und Schalke- 04-Aufsichtsratschef Clemens Tönnies hat sich für eine Äußerung über den angeblichen Zusammenhang von Energieversorgung, Klimawandel und Überbevölkerung in Afrika entschuldigt. Quelle: dpa

Der Wurst-Fürst und die Kinder in Afrika

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

Der Schlachterei-Unternehmer Tönnies sorgt mit einem dummen Spruch für scheinheilige Empörung. Doch der eigentliche Skandal ist das Tabu der Demografie in der Entwicklungspolitik.

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Wer schon vor zwei Jahrzehnten seine Abende mit Talkshows vor dem Fernseher verbrachte, wird sich vielleicht erinnern. Gloria von Thurn und Taxis, laut Wikipedia eine „Unternehmerin und Managerin“, bekannt als einst lebenslustig-bunthaarige Braut und nunmehr Witwe des gleichnamigen Fürsten, dessen Vermögen sie erfolgreich managt, hatte 2001 in der Talkshow „Friedmann“ für jene typisch bundesdeutsche Aufregung gesorgt, die sich nicht aus Taten sondern Worten nährt. Die Fürstin hatte gesagt: „Afrika hat Probleme nicht wegen fehlender Verhütung. Da sterben die Leute an AIDS, weil sie zu viel schnackseln. Der Schwarze schnackselt gerne.“

Damals versuchte man solche Dinge noch eher mit Humor zu nehmen. Der „Spiegel“ brachte daraufhin – in Form einer Glosse – das Bedauern zum Ausdruck, dass „der deutsche Adel seiner gerechten Strafe“ entkommen sei, weil die deutschen Freiheitsbewegungen „die Guillotine vergessen“ hätten. Ob das so viel geschmackvoller war als der fürstliche Schnacksel-Satz?

Nun, siebzehn Jahre später, versteht man in solchen Dingen keinen Spaß mehr. Der Fleisch-Unternehmer Clemens Tönnies, nicht nur Wurst-Essern, sondern vor allem Schalke-Fans als Aufsichtsratsvorsitzender des Ballsport-Unterhaltungsunternehmens ein Begriff, hat beim Tag des Handwerks in Paderborn im Zusammenhang mit der Klimawandel-Diskussion gesagt, man solle lieber zwanzig Kraftwerke in Afrika finanzieren, statt in Deutschland höhere Steuern auf CO2 einzuführen. „Dann würden die Afrikaner aufhören, Bäume zu fällen, und“ – Achtung, jetzt kommt’s – „sie hören auf, wenn es dunkel ist, Kinder zu produzieren.“

Eine Redakteurin der örtlichen „Neuen Westfälischen“ reagierte empört: „Wer mit solchen Stammtisch-Parolen öffentlich auftritt, hat ein Glaubwürdigkeitsproblem“. Sie nennt das einen „platten Vorschlag …, der in üblem Rassismus gipfelt.“

Mittlerweile haben auch überregionale Medien die Angelegenheit aufgegriffen – meist im Sport-Ressort. Der Urteilsspruch war einhellig: Rassismus! Oder, wie ein Karikaturist präzisierte: „Rassistische Kackscheiße“. Und Tönnies? Er streute umgehend per Twitter Asche auf sein Haupt: „Ich möchte meine Aussage zum Thema Auswirkungen beim Klimawandel richtigstellen. Ich stehe als Unternehmer für eine offene und vielfältige Gesellschaft ein. Meine Aussage zum Kinderreichtum in afrikanischen Ländern tun mir leid. Das war im Inhalt und Form unangebracht.“

Was ist der Kern des Skandals? Die Forderung, Kraftwerke in Afrika bauen zu lassen? Wäre das nicht tatsächlich ganz im Sinne jahrzehntelanger Bemühungen der Entwicklungshilfe und des jüngst in Berlin forcierten Kampfes gegen die Fluchtursachen durch wirtschaftliche Möglichkeiten vor Ort in Afrika?

Also wohl eher die Worte über das Produzieren von Kindern. Natürlich werden Kinder gleich welcher Herkunft im Gegensatz zu Wirtschaftsgütern nicht produziert. Geschmacklos ist es allemal, so zu reden. Dennoch: Wenn Tönnies davon gesprochen hätte, dass die Schalker im Dunkeln Kinder produzieren, hätte sich höchstwahrscheinlich niemand aufgeregt. Auch vermutlich die meisten Mütter und Väter in Gelsenkirchen nicht. Die Empörung kommt durch die Verbindung mit „die Afrikaner“ zustande.

Tönnies hat weder das N-Wort noch einen anderen rassistisch kontaminierten Begriff verwendet und dennoch ganz offensichtlich ein Tabu verletzt: Nämlich das enorme Bevölkerungswachstum in Afrika. Kritiker der bisherigen Entwicklungshilfe und Afrika-Politik der europäischen Länder wie der frühere Botschafter Volker Seitz („Afrika wird armregiert“) sehen hier den wunden Punkt. Und sie wissen aus eigener Erfahrung, wie schnell man sich da einen Rassismus-Vorwurf zuziehen kann. Offenbar ist jede Andeutung über kulturelle Hintergründe der hohen Kinderzahlen ein Auslöser dafür.

Aber nach den Gründen nicht zu fragen für das, was Tönnies dann in seiner Entschuldigung „Kinderreichtum“ nennt, ändert nichts an der Wirklichkeit. Die ist nicht nur für Afrika-Kenner evident: Nämlich, dass die immer noch sehr hohe Fertilität in afrikanischen Ländern ein sehr wesentlicher Grund für die anhaltende Armut und nicht zuletzt die Auswanderungsambitionen von Millionen von Afrikanern ist. Nach Gründen und Ursachen für unterschiedliches Fortpflanzungsverhalten nicht zu fragen, ja die Frage zu tabuisieren, ist das ein Merkmal von Toleranz und Rücksichtnahme in einer offenen und vielfältigen Gesellschaft? Oder vielleicht auch Indiz einer Mischung aus postmoderner Ignoranz und pseudomoralischer Hypersensibilität?

Klar, Afrikaner „schnackseln“ sicher nicht mehr als Europäer, weil in Afrika öfter der Strom ausfällt. Solches Geschwätz sollte sich jeder vernünftige Mensch sparen. Aber schalten wir doch mal empörungstechnisch einen Gang runter. Eigentlich geht es weder um vermeintliche Rassen noch um Sex. Sondern um Familienplanung und Empfängnisverhütung in Afrika. Und die Einstellung und das Wissen darüber hat natürlich nicht zuletzt mit der Überwindung spezifisch afrikanischer kultureller Muster zu tun. Frauen, die keine oder wenig Kinder haben, genießen in patriarchalen afrikanischen Gesellschaften geringeres Sozialprestige. Ist es rassistisch, das festzustellen? Natürlich nicht.

Statt sich über Tönnies' missglückte Worte zu empören, wäre es sinnvoller über die demografische Wirklichkeit Afrikas endlich offen und lösungsorientiert zu sprechen – und daraus eine vernunft- und interessengeleitete Afrika-Politik zu entwerfen. Bildung (nicht nur Ausbildung!) und Aufklärung sind in einem umfassenden Sinne positiv rückgekoppelt mit ökonomisch-sozialer Entwicklung und dem Fortpflanzungsverhalten. Das zu befördern wäre für westliche Entwicklungshelfer eine sehr viel lohnendere Aufgabe, als endlos Projekte zu fördern, die nicht nachhaltig sind, weil die Zahl der Menschen schneller wächst als die Erträge. Die Bevölkerungsentwicklung müsste im Zentrum der Afrika-Politik stehen. Im Interesse der Afrikaner und der Europäer. Doch die Bundesregierung und fast alle Entwicklungshilfeorganisationen beugen sich weitestgehend dem Tabu. Im „Marshall-Plan“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) beschränkt sich das Thema Familienplanung auf kurze, unkonkrete Phrasen.

Solange die kollektive Lust an der Überführung sprachlicher Sünder hierzulande wichtiger genommen wird als die Schärfung des Blickes auf die Wirklichkeit, werden die Deutschen die Probleme ihres eigenen Landes nicht lösen – und schon gar nicht globale Gigantenprobleme wie Klimawandel und Fluchtursachen.

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