Anders gesagt
Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) spricht mit Kindern nach der Unterzeichnung des Vertrags zum Gute-Kita-Gesetz für Brandenburg am 24. Mai 2019. Quelle: imago images

Deutschland, ein Kindergarten

Ferdinand Knauß Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche
Ferdinand Knauß Reporter, Redakteur Politik WirtschaftsWoche Online Zur Kolumnen-Übersicht: Anders gesagt

In YouTube-Videos, auf Wahlplakaten und in der politischen Kommunikation offenbart sich die fortschreitende Infantilisierung des öffentlichen Diskurses.

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Wie ist das zu erklären? Siebeneinhalb Millionen Menschen (Stand Freitagnachmittag) schauen sich an, wie ein junger blauhaariger Mann pausenlos mit den Armen herumfuchtelnd und unter Zuhilfenahme von Kraftausdrücken nachgewiesen zu haben meint, dass die CDU „nicht im Einklang mit Wissenschaft und Logik“ stehe (und SPD und die AfD schon gar nicht) und „unser Leben und unsere Zukunft zerstört“.

Den großen Erfolg kann man vielleicht ähnlich erklären wie die mehr als eine Million verkauften Exemplare des Buches „Darm mit Charme“ von Giulia Enders. Die erfolgreichsten Bestseller sind Bücher, die von Leuten gekauft werden, die sich eigentlich gar nicht besonders für das Thema interessieren. Voraussetzung dafür ist, so meine These, ein Autor oder eine Autorin, die selbst mit der frischen Begeisterung des Amateurs an dieses Thema herangeht – und so das unterhaltende Potential eines eigentlich recht unzugänglichen Objekts erschließt.

Rezo hat die politischen Bedürfnisse seines Publikums wohl perfekt bedient. Ach, sagt sich der Rezo-Gucker, der sonst vor allem dessen Musikvideos konsumiert, so kompliziert wie befürchtet ist die große Politik ja gar nicht. Man muss nur im Internet ein paar Studien, Statistiken und Artikel zusammentragen und schon wird klar: Es ist „wissenschaftlicher Konsens“, dass „die CDU unser Leben zerstört“. Die sind also die Bösen. Die sollte man nicht wählen.

Aber dazu kommt noch etwas anderes. Der Erfolg dieses Videos und der geradezu absurde Widerhall, den es in der medialen Öffentlichkeit und bei der gescholtenen CDU selbst findet, die Rezo mit einer minutiösen Rechtfertigung antwortet, sind ein neuer Höhepunkt einer Entwicklung, die schon länger zu beobachten ist: Dem öffentlichen Diskurs und nicht nur diesem kommt die Ernsthaftigkeit abhanden.

Der Macher selbst ist 26 Jahre alt, aber sein Wortschatz ist der eines Pubertierenden: Europäische Politik ist für ihn „fucking langweilig“, CDUler sind ganz pauschal „Dullies“ und die USA führen „Kriege als Hobby“. Das Medienphänomen Rezo ist ein Indiz der fortgeschrittenen Infantilisierung. Es passt in einen Wahlkampf, den die Grünen (im Video weitestgehend von Kritik verschont) mit der Kindergarten-Parole „Komm, wir bauen das neue Europa“ bestreiten. Spitzenkandidatin Ska Keller spricht zu ihren Parteifreunden und Wählern wie eine Schülersprecherin. In ihrer Bewerbungsrede auf dem Bundesparteitag in Leipzig sagte sie: „Wir Grüne haben die Republik ganz schön gerockt in letzter Zeit.“ Auch unter Politikern gibt es offensichtlich das Phänomen der immer weiter hinausgezögerten Adoleszenz.

Auch die Regierungspartei SPD hat sich offensichtlich selbst verordnet, die Bürger wie Kinder anzusprechen, denen man noch kein eigenes Deutungsvermögen zutraut. Sie gibt ihren Gesetzen Namen mit simplen, moralischen Botschaften: Das „Starke-Familien-Gesetz“, das „Gute-Kita-Gesetz“, die „Respekt-Rente“. Wer dagegen ist, will demnach Familien schwächen, Kitas schlecht machen und Rentnern den Respekt verweigern.

Keine Rolle mehr spielen in der politischen Kommunikation – ob digital oder analog – offenbar mündige, erwachsene Bürger. Sie wissen im Gegensatz zu Kindern, dass die meisten politisch relevanten Fragen weder wissenschaftlich mit „richtig“ oder „falsch“, noch moralisch/pädagogisch mit „gut“ oder „schlecht/böse“ zu beantworten sind. Und sie wissen, dass ihre eigenen Wahrheiten, Überzeugungen und Interessen denen anderer Bürger widersprechen können, ohne dass die anderen dadurch zu „Dullies“ erklärt werden sollten.

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