
Kanzlerin Angela Merkel hat vor ihrer Nordafrika-Reise die Bedeutung Ägyptens als „stabilisierendes Element“ in der Krisenregion hervorgehoben. Mit Blick auf die anhaltende Migration nach Europa sagte sie, bei ihren Gesprächen am Donnerstag in Kairo werde es auch um das Nachbarland Libyen gehen. Ohne dass Libyen stabilisiert werde, könne den Schleppern und Schleusern, die von dort aus arbeiteten, nicht das Handwerk gelegt werden, erklärte sie in einer am Samstag im Internet veröffentlichten Videobotschaft. In Kairo will Merkel unter anderem mit Präsident Abdel Fattah al-Sisi zusammenkommen. Am Freitag besucht sie dann Tunesien und trifft dort erneut Ministerpräsident Youssef Chahed.
Ägypten unterstützt im libyschen Bürgerkrieg den umstrittenen General Chalifa Haftar, der im Osten des Landes großen Einfluss hat. Er wird als ein Hauptgrund für die anhaltende Spaltung des Landes gesehen. Entgegen ursprünglicher Bestrebungen, Haftar kalt zu stellen, soll er nach Aussagen westlicher Diplomaten und des UN-Vermittlers nun eine Rolle im Friedensprozess erhalten. Welche, ist unklar.
Die Bundesregierung - zumindest die Unionsseite - strebt Flüchtlingsabkommen mit nordafrikanischen Ländern an analog zu dem mit der Türkei, um die Migration über das Mittelmeer einzudämmen. Die Aussichten dafür sind ungewiss, Tunesiens Regierungschef Chahed hat sich vor kurzem in Berlin bereits ablehnend geäußert. Die Abkommen sind wegen der Menschenrechtslage in Nordafrika umstritten.
Die Chronologie der Flüchtlingskrise
Deutschland setzt das Dublin-Verfahren für Syrer aus. Es sieht die Rückführung von Flüchtlingen dorthin vor, wo sie zuerst EU-Boden betraten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nennt die Bewältigung des Flüchtlingszustroms eine „große nationale Aufgabe“ und beteuert: „Wir schaffen das.“
Deutschland und Österreich entscheiden, Tausende Flüchtlinge und Migranten aufzunehmen, die in Ungarn gestrandet sind. Bei der Ankunft in Deutschland werden sie bejubelt. CSU-Chef Horst Seehofer fühlt sich übergangen und warnt vor Überforderung.
Die EU-Staats- und Regierungschefs beschließen, die Hilfen zu erhöhen und 160.000 Flüchtlinge auf die Mitgliedsländer zu verteilen. Eine große Entlastung für Deutschland bleibt aus.
Der Bund stockt die Hilfe für Flüchtlinge an Länder und Gemeinden massiv auf.
Der Bundestag beschließt ein neues Asylrecht. Albanien, Kosovo und Montenegro werden zu sicheren Herkunftsländern. Asylbewerber sollen möglichst nur Sachleistungen erhalten.
Die Koalition verständigt sich auf besondere Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge mit geringen Bleibechancen. Zudem wird eine zweijährige Aussetzung des Familiennachzugs bei Flüchtlingen mit niedrigerem Schutzstatus beschlossen.
Auf dem CSU-Parteitag in München lehnt Merkel die CSU-Forderung nach einer Obergrenze für die Zuwanderung strikt ab.
Nach Slowenien, Kroatien und Serbien schließt auch Mazedonien seine Grenze für Flüchtlinge und andere Migranten. Damit ist die Balkanroute faktisch dicht, über die 2015 mehr als eine Million Menschen nach Deutschland und Österreich gekommen waren.
Die EU und die Türkei einigen sich darauf, Migranten, die illegal in Griechenland ankommen, in die Türkei zurückzuschicken. Im Gegenzug soll für jeden zurückgenommenen Syrer ein anderer Syrer legal und direkt von der Türkei aus in die EU kommen.
Die Rückführung von Flüchtlingen und anderen Migranten von Griechenland in die Türkei sowie die Umsiedlung von Syrern aus der Türkei in die EU beginnt.
Die EU-Kommission will Flüchtlinge gerechter verteilen. Wie viele ein Land aufnehmen muss, soll von Größe und Wirtschaftskraft abhängen. EU-Staaten, die bei dem System nicht mitmachen, sollen 250.000 Euro pro Flüchtling zahlen.
Die EU verlängert die Erlaubnis für vorübergehende Grenzkontrollen im eigentlich passkontrollfreien Schengen-Raum.
Der Bundestag erklärt Tunesien, Algerien und Marokko zu sicheren Herkunftsländern. Die notwendige Zustimmung des Bundesrates bleibt zunächst aus.
Die EU einigt sich im Grundsatz auf eine gestärkte gemeinsame Grenzschutzagentur und Küstenwache. Die bestehende EU-Grenzschutzagentur Frontex soll in der neuen Behörde aufgehen.
Die EU-Kommission will schärfer gegen Asylmissbrauch vorgehen. Wer nicht mit den Behörden des Aufnahmestaates zusammenarbeitet, müsse mit einer Ablehnung rechnen.
Unionsfraktionschef Volker Kauder verteidigte das Anliegen: „Flüchtlinge, die auf dem Mittelmeer gerettet werden, müssen verstärkt direkt nach Afrika zurückgebracht werden, auch um den Schleusern das Geschäft kaputt zu machen“, sagte der CDU-Politiker den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Alles andere werde Europa auf Dauer überfordern.
Kauder nannte es zudem „zwingend notwendig“, Tunesien, Algerien und Marokko zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, um die Asylverfahren für Bürger dieser Länder vereinfachen und beschleunigen zu können. Das von Union und SPD im Bundestag beschlossene Vorhaben wird im Bundesrat von Ländern mit grüner Regierungsbeteiligung blockiert. „Wir werden es im Bundesrat noch einmal versuchen“, kündigte Kauder an.
Die Linkspartei warnte vor Flüchtlingsabkommen mit nordafrikanischen Ländern. „Schäbige Deals, um Geflüchtete in alle Welt abzuschieben, sind eine politische Bankrotterklärung. Indem die Bundesregierung solche Deals fördert, stärkt sie autoritäre Regime und wertet diese auf“, erklärte Parteichef Bernd Riexinger. „Der Besuch der Kanzlerin bei Al-Sisi muss Anlass sein, die Menschenrechtskrise in Ägypten zu kritisieren.“
Schlüsselstaat Türkei
Die Republik Türkei ist laut der Verfassung von 1982 ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat. Regiert wird das Land von Ministerpräsident Binali Yildirim und dem Kabinett. Staatsoberhaupt ist Recep Tayyip Erdogan, als erster Präsident wurde er 2014 direkt vom Volk gewählt. Im türkischen Parlament sind vier Parteien vertreten, darunter - mit absoluter Mehrheit - die islamisch-konservative AKP von Erdogan. Parteien müssen bei Wahlen mindestens 10 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, um ins Parlament einziehen zu können. Die Türkei ist zentralistisch organisiert, der Regierungssitz ist Ankara. (dpa)
Die Türkei ist seit 1999 Kandidat für einen EU-Beitritt, seit 2005 wird darüber konkret verhandelt. Würde die Türkei beitreten, wäre sie zwar der ärmste, aber nach Einwohnern der zweitgrößte Mitgliedstaat, bei derzeitigem Wachstum in einigen Jahren wohl der größte.
Als Nachbarstaat von Griechenland und Bulgarien auf der einen Seite und Syrien sowie dem Irak auf der anderen Seite bildet die Türkei eine Brücke zwischen der EU-Außengrenze und den Konfliktgebieten des Nahen und Mittleren Ostens.
Seit Beginn des Syrien-Konflikts ist die Türkei als Nachbarstaat direkt involviert. Rund 2,7 Millionen syrische Flüchtlinge nahm das Land nach eigenen Angaben auf. Die türkische Luftwaffe bombardiert allerdings auch kurdische Stellungen in Syrien und heizt so den Kurdenkonflikt weiter an.
1952 trat die Türkei der Nato bei. Das türkische Militär - mit etwa 640 000 Soldaten und zivilen Mitarbeitern ohnehin eines der größten der Welt - wird bis heute durch Truppen weiterer Nato-Partner im Land verstärkt. Im Rahmen der sogenannten nuklearen Teilhabe sollen auch Atombomben auf dem Militärstützpunkt Incirlik stationiert sein.
Die Bundeskanzlerin kündigte an, in Ägypten auch über die Arbeitsmöglichkeiten deutscher politischer Stiftungen zu sprechen. Ägyptens autoritäre Regierung versucht seit Jahren, abweichende Meinungen zu ersticken. Deutsche Stiftungen können dort nur noch sehr eingeschränkt oder gar nicht mehr arbeiten.
Zugleich sagte die Kanzlerin Ägypten weitere Wirtschaftshilfe zu. Die Bevölkerung wachse schneller als die Wirtschaft, und daraus ergäben sich soziale Probleme. „Der ägyptische Präsident und die Regierung haben zugestimmt, ein mutiges IWF-Programm anzugehen, und da will Deutschland auch parallel unterstützen“, sagte Merkel. Ägyptens Bevölkerung hat sich seit 1975 auf 94 Millionen verdoppelt.