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Angela Merkel Eiszeit zwischen Kanzlerin und Wirtschaftsbossen

Es sind eigenartige Zeiten: Die Konjunktur in voller Blüte, der Arbeitsmarkt in blendender Verfassung - doch das Verhältnis von Kanzlerin Merkel und den Wirtschaftsverbänden ist geprägt von Kälte und Entfremdung. Warum?

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Ingo Kramer, Peter Wollseifer, Angela Merkel, Eric Schweitzer, Ulrich Grillo Quelle: dpa

Vielleicht begann die Entfremdung bei Volker Kauder. Es ist ein paar Monate her, da gab der Fraktionschef der Union ein öffentliches Versprechen ab, zumindest klang es wie eines: Der Koalitionsvertrag müsse abgearbeitet werden, darüber hinaus aber dürfe es keinerlei Belastungen für die Wirtschaft mehr geben.

„Die Wirtschaft“ hörte das gern und sie zitierte Kauder bei jeder Gelegenheit. Man blendete aber aus, dass Kauder, erstens Teil einer großen Koalition ist, und zweitens noch dazu Gefolgsmann einer Frau, der die Verfassung Richtlinienkompetenz zuspricht.

Darüber hinaus hatte der Konservative Kauder die Hoffnung genährt, das gewisse Vorhaben des Koalitionsvertrages möglicherweise doch geschreddert, oder verzögert, oder wenigstens so verwässert würden, dass es weniger Belastungen als befürchtet geben könnte.

Wenn man den vier Spitzenverbänden am Freitag auf der Internationalen Handwerksmesse in München – und anlässlich des traditionellen Gesprächs dort mit Angela Merkel – zuhört, dann ist diese Hoffnung allerdings den Abfluss runter: Ein Belastungsmoratorium! Verlässliche Signale für Investitionen! Die Reformuhr darf nicht zurückgedreht werden! Das waren die Rufe.

Weiterbildungsausgaben der deutschen Wirtschaft

Warum nur? Das Land ist auf der Höhe seiner ökonomischen Blüte, die Konjunktur ist robust, aber der Ton der Erklärung, den die Verbände zu dem Spitzengespräch verfasst haben, ist alarmistisch, bockig, fast schon ungehalten. Das Klima zwischen Regierung, der Kanzlerin und der Wirtschaft leidet unter einem heftigen Temperatursturz.

Drei Gründe – von gestern, heute und morgen –, warum dieses Verhältnis kalt geworden ist:

Von gestern: Mindestlohn

Es hat schon lange kein Gesetz mehr gegeben, das so kurz nach seiner Einführung derart unter Beschuss geraten wäre, wie der Mindestlohn. Seit dem 1. Januar gilt er - der Klagegesang ist seitdem nicht ab-, sondern immer weiter angeschwollen. Dabei geht es weniger um die 8,50 Euro Stundenlohn. Die sind dann doch für das Gros deutscher Arbeitgeber weniger ein Problem. Es geht vielmehr um Haftung und um Bürokratie, um Dokumentationspflichten, aber ganz besonders um ein gesetzlich festgegossenes Misstrauensvotum: Vielleicht, so wirkt der Koalitions-Subtext auf viele Klein-Unternehmer, zahlt ihr alle anständig. Aber ihr müsst es erstmal beweisen. Dieser Ton macht die Musik. Und er ist eisig.

Hier spüren Verbraucher den Mindestlohn

Das erklärt auch den Furor gegen die Regularien der Arbeitszeitkontrolle: Unter die Mindestlohn-Kontrolle fallen in einigen Branchen nun eben auch Arbeitnehmer, die etwas mehr als 2900 Euro brutto monatlich verdienen. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) kann sehr ausführlich erklären, warum sie das für sinnvoll hält. Aber viele Unternehmer fühlen sich einfach zu Unrecht gebrandmarkt: als potenzielle Gesetzesbrecher.

Von heute: Frauenquote

Man kann für die Quote sein, man kann dagegen sein, das unangenehme an der Frauenquote ist nur, dass man sich in jeder Position sehr schnell sehr unbehaglich fühlt: entweder als Feind von Gleichberechtigung und weiblichem Aufstieg – oder als staatsdirigistischer Planfetischist, der die (Wirtschafts-)Welt so biegen will, wie sie (noch) nicht ist.

Frauenquote in Vorständen der 100 größten Banken

Sei's drum: Der Bundestag hat sich vor wenigen Tagen mehrheitlich dafür entschieden, ein staatsdirigistischer Aufstiegsfreund zu sein. Größeres Unbehagen war nicht mehr festzustellen. Das Problem der Wirtschaft damit ist folgendermaßen beschrieben: Man ist ordnungspolitisch erstmal gegen die Quote, aber natürlich für die Förderung von Frauen, um dann aber – Ausnahmen bestätigen die Regel – vorgehalten bekommen zu müssen, dass freundliches Zureden und betriebliche Kita-Offensiven in den vergangenen Jahren ziemlich wenig gebracht haben.

Weil die Politik, einschließlich der Kanzlerin und ihrer Union, mittlerweile so eindeutig pro harte Quote ist, kommt man sich auf der Seite der Wirtschaft mit dieser Ich-möchte-eher-nicht-Haltung irgendwie eigenartig vor. Unverstanden, aus der Zeit gefallen, dogmatisch, unmodern. Was verschafft wenigstens ein bisschen Erleichterung? Motzen.


Von morgen: Erbschaftsteuer

Die Kanzlerin gab sich in München am Freitag sehr vage – und das zu allem Überfluss in einer zentralen Glaubensfrage des deutschen Unternehmertums. Mit der geplanten Reform der Erbschaftssteuer solle nicht in die Struktur der Familienunternehmen eingegriffen werden, versprach sie. Über die Einzelheiten müsse aber „weiter gesprochen werden". Und: „Ich kann jetzt noch nichts versprechen.“

Nicht einmal auf diesem Feld gab es also verlässliche Signale der Erleichterung. Dabei ist die Frage, ob und wie Unternehmer ihr betriebliches Lebenswerk möglichst unbeschadet an die Kinder übertragen können, für viele die wesentliche. Finanzminister Wolfgang Schäuble hatte sich um deren Beantwortung nicht gerissen, aber das Bundesverfassungsgericht hat Berlin zu einer Neuregelung gezwungen.

Nun soll das Aufkommen der Steuer – und damit die Belastung für Erben und Firmen – hinterher nicht wachsen, gleichzeitig müssen die Kriterien nachvollziehbarer und gerechter werden – denen gegenüber, die keinen Betrieb, sondern andere Vermögen erben.

Schäubles erste Überlegungen zur Reform ließen Familienunternehmen leider Schlimmeres befürchten. Die Kanzlerin konnte diese Ängste in München offensichtlich noch nicht entkräften. Oder sie wollte nicht. Es bleibt also kalt.

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