
Vor anderthalb Jahren empfing Gerhard Schröder die WirtschaftsWoche zu einem Interview in Hannover. In seiner stattlichen Kanzlei hing noch der Duft einer Zigarre unter den hohen Decken, der Altkanzler war aufgeräumtester Laune. Es ging um Europa, die deutsche Gegenwart und um sein Vermächtnis. Es ging dann aber auch um seine Nachfolgerin. Um Angela Merkel.
Ihr mangele es an Visionen und an Risikobereitschaft, sagte Schröder damals, sie sei nicht bereit, ihr Amt aufs Spiel zu setzen. "Wenn es notwendig ist, dann muss man als Politiker ins Risiko gehen. Punkt."
Die Kanzlerin geht auf Risiko
Merkel und Schröder, das ist eine ganz eigene Geschichte. Die Elefantenrunde nach der Bundestagswahl 2005 mit einem aufgeladenen Schröder und der fast geschlagenen Merkel ist Legende. Sein "Sie kann es nicht" auch. Man kann sich, in Temperament, Stil und politischer Statur kaum unterschiedlichere Figuren vorstellen. Schröders Antworten im Interview waren volle Absicht.





Im Herbst 2015, im Zeichen der Flüchtlingskrise und des "Wir schaffen das", ist bloß nicht mehr ganz so sicher, ob Schröder noch Recht hat. Ob die Kanzlerin nicht doch voll auf Risiko spielt. In diesem Herbst ist eine ziemlich kompromisslose Angela Merkel zu besichtigen, sogar auf dieser Bühne, auf der sie gemeinsam mit Gerhard Schröder sitzt.
Berlin, Bundespressekonferenz, am Dienstagvormittag: Merkel stellt Schröders Biografie vor. Irgendwann, die Kanzlerin hat die äußert sachlichen Teile ihrer Rede endlich hinter sich gelassen, zitiert sie Schröder aus dem Buch. Wer die Macht nicht wolle, für sich, alleine, der sei falsch in der Politik. "Recht hat er", sagt Merkel. Kunstpause. Solche Töne hört man von ihr selten.
Lob für den Agenda-Kanzler
Überhaupt ist die Stimmung zwischen beiden von großer Anerkennung geprägt, beiderseits. Merkel lobt ausdrücklich den Agenda-Kanzler, der sich "um Deutschland verdient gemacht" habe, seine "beeindruckende und bewegende" Lebensgeschichte. Von seinem politischen Pragmatismus, vulgo: Schlitzohrigkeit, erzählt sie amüsiert, aber freundlich.
Und Schröder lobt zurück. An seiner Wiege habe niemand gesungen, dass er einmal Kanzler werden würde. "An ihrer aber auch nicht."
Beide sind an diesem Morgen ausgesprochen bemüht, die mühseligen Fragen des Tagesgeschäfts für ein paar Minuten auszublenden und den großen historischen Bogen zu skizzieren; nur gelingen will es ihnen nicht so recht.
Zur aktuellen Politik wolle er sich nicht äußern, sagt Schröder, und tut es dann doch: mit einem Plädoyer für ein Einwanderungsgesetz, wohl wissend und still genießend, dass Merkel es in ihrer eigenen Partei erst noch akzeptabel machen muss. Die Amtsinhaberin lässt dies unkommentiert passieren.
Ihre kleine Spitze zurück hebt sie sich für später auf. Wie häufig sich die beiden denn austauschen würden, wird sie gegen Ende gefragt. Man sehe und spreche sich eher selten, dann aber sehr vertrauensvoll, antwortet Merkel. Nie sei das Verhältnis verspannt. Ob sie denn aber auch gemeinsam essen gehen würden? "Na", sagt da die Kanzlerin da, "so ausschweifend wollen wir nicht gleich werden." Es klingt wie: Nun ist aber auch mal gut. Ich muss regieren. Andere können reden.