Der politische Terror ist nach Deutschland zurückgekehrt. Gegenüber dem Terrorismus früherer Jahre, der vor allem von links- oder rechtsextremen Gruppen begangen wurde, ist dessen neueste Variante besonders perfide: Sie tötet wahllos. Jeder Deutsche kann sich mittlerweile gut vorstellen, selbst Opfer eines terroristischen Anschlags zu werden.
Denn es wird niemandem gelingen, größeren Menschenansammlungen komplett auszuweichen, keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr zu benutzen oder alle Straßencafés und Flughäfen zu meiden.
Diese Zufälligkeit der Betroffenheit ist natürlich auch Kalkül: Die Terroristen wissen sehr gut, dass nichts mehr ängstigt als die Unsicherheit, einem Risiko ausgesetzt zu sein, ohne sich wirklich verlässlich davor schützen zu können. Erstmals sagen die Deutschen in Umfragen, Terrorismus als größte Bedrohung ihres Lebens anzusehen.
Zur Person
Ortwin Renn, 64, leitet das Zentrum für Innovationsforschung an der Uni Stuttgart und ist einer der renommiertesten Experten zum Thema Risiko.
Doch auch der Zufall lässt sich zumindest zum Teil berechnen. Angst vor dem Terror ist zwar psychologisch verständlich, aber statistisch kaum begründet. In den vergangenen 20 Jahren sind im Schnitt 48 Menschen pro Jahr in ganz Europa Terroranschlägen zum Opfer gefallen, in Deutschland waren es sogar weniger als einer alle zwölf Monate.
Statistisch gesehen ist die Zahl der Menschen, die etwa durch akute Pilzvergiftung europaweit ums Leben kommen, wesentlich höher. „Nur“ einer von 27,3 Millionen Menschen stirbt durch Terror, besagen die Zahlen.
Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben zu kommen, liegt viel höher, einen von zehn Millionen Menschen trifft es. Autofahren wirkt im Vergleich lebensgefährlich, 3500 Männer, Frauen und Kinder sterben pro Jahr allein auf deutschen Straßen.
Mehr Gelassenheit, weniger Aktionismus
Rational wäre also, sich mehr um die Risiken zu kümmern, bei denen man mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu Schaden kommen kann. Wer etwa aus Angst vor einer möglichen Terrorattacke nicht länger vor die Tür geht und dadurch 80 Prozent weniger läuft, erhöht sein Todesrisiko mehr als 100-fach – denn Bewegungsmangel drückt die Lebenserwartung dramatisch nach unten. So eine Haltung hätte natürlich auch gravierende Folgen für unsere Volkswirtschaft, unser Konsumverhalten und die Investitionsfreude unserer Unternehmer. Wieso aber kommt es zu dieser Diskrepanz zwischen der wirklichen Sicherheitslage und deren Wahrnehmung? Dafür sind vor allem drei Trends verantwortlich:
- Vor 100 Jahren stammte der größte Teil unseres Wissens aus persönlicher Erfahrung. Unsere Großeltern wussten, welche Gefahren etwa im bäuerlichen Alltag durch Lebensmittelvergiftung, unsachgemäße Kleidung oder technische Unfälle (zum Beispiel mit der berüchtigten Sense) zu erwarten waren. In der heutigen Welt basiert dagegen ein Großteil unseres Wissens nicht mehr auf Erfahrung, sondern auf Kommunikation. Ob die Kriminalität und die Gefahrenlage in Deutschland real zugenommen hat, kann so gut wie niemand aus eigener Erfahrung beantworten.
Diese Gefahren erleben wir über Medien und andere Formen der Kommunikation, häufig durch soziale Netzwerke im Internet.
Gleichzeitig haben wir oft erlebt, dass sich viele angeblich bombensichere Erkenntnisse als falsch oder zumindest nicht ganz richtig herausgestellt haben. Je weniger wir selber die Gefahr einschätzen können, desto hilfloser fühlen wir uns. Daher ist durchaus logisch, dass Menschen am meisten Angst vor Flüchtlingen oder Ausländern in jenen Regionen zeigen, in denen so gut wie keine von ihnen leben.
Definitionen und Zusammenhänge
In Asien nannte man sie „amucos“ - Krieger, die den Feind ohne Angst vor dem Tod angreifen und vernichten. Heute beschreibt der Begriff in der Regel blindwütige Aggressionen – mit und ohne Todesopfer. Die meisten Amokläufer sind männlich und eigentlich unauffällig, in vielen Fällen ledig oder geschieden. Neben psychisch kranken Tätern gibt es auch Amokläufer, die aus banalen Gründen plötzlich ausrasten. Angst, Demütigung oder Eifersucht haben sich oft lange aufgestaut, bevor es zur Katastrophe kommt. Teils werden Taten auch im Kopf durchgespielt. „Amok“ kommt aus dem Malaiischen und bedeutet „wütend“ oder „rasend“.
Attentate sind politisch oder ideologisch motivierte Anschläge auf das Leben eines Menschen, meistens auf im öffentlichen Leben stehende Persönlichkeiten. Der Ausdruck „Attentäter“ wiederum wird auch für Menschen verwendet, die einen Anschlag auf mehrere Menschen begehen. Terroristische Attentäter zielen etwa auf Angehörige eines ihnen verhassten Systems oder einer Religion ab. Mit Anschlägen auf öffentlichen Plätzen, in Verkehrsmitteln oder auf Feste versuchen sie, in der Bevölkerung Angst und Schrecken zu verbreiten. Der Begriff „Attentat“ leitet sich vom lateinischen attentare (versuchen) im Sinne eines versuchten Verbrechens ab.
Terrorismus ist politisch motivierte, systematisch geplante Gewalt, die sich gegen den gesellschaftlichen Status quo richtet und auf politische, religiöse oder ideologische Veränderung ausgerichtet ist. Dass Terroristen töten und zerstören, ist Mittel zum Zweck. Sie wollen vor allem Verunsicherung in die Gesellschaft tragen. Terrorakte richten sich oft gegen die Zivilbevölkerung oder symbolträchtige Ziele.
Terror geht auf das lateinische Wort „terrere“ zurück, was „erschrecken“ oder „einschüchtern“ bedeutet. Terror und Terrorismus werden oft gleichbedeutend verwendet. Im Unterschied zum Terrorismus bezeichnet der Begriff „Terror“ aber eher das Machtinstrumentarium eines Staates. Der „Terror von oben“ steht für eine Schreckensherrschaft, die willkürlich und systematisch Gewalt ausübt, um Bürger und oppositionelle Gruppen einzuschüchtern. Auch in die Umgangssprache hat der Begriff Eingang gefunden - etwa für extreme Belästigung, zum Beispiel Telefonterror.
- Kernbestandteil einer pluralistischen Gesellschaft ist, dass es keinen kategorischen Anspruch auf eine Wahrheit mehr gibt. Sind Ausländer krimineller als Deutsche oder nicht? Ist der Islam von Natur aus fundamentalistisch und terroranfällig? Auf derlei Fragen gibt es zwar meist verlässliche Antworten, aber im öffentlichen und veröffentlichten Diskurs bleibt – durchaus zu Recht – Raum für sehr viele Meinungen.
- Dieser Umstand vermengt sich mit dem dritten Trend, unserer heutigen Medienstruktur. Bei rund sieben Milliarden Menschen weltweit ist so gut wie jede Minute eine Katastrophe oder ein Anschlag zu erwarten. Früher war es eher Zufall, wenn diese in das Bewusstsein weit weg lebender Menschen gelangten. Von daher setzte sich damals die Erkenntnis durch, dass solche Katastrophen eher unwahrscheinlich seien. In dem Moment aber, da wir von täglichen Katastrophenmeldungen umzingelt sind, wächst die Furcht, wir würden weltweit immer größeren Risiken ausgesetzt.
So schwer dies jedem von uns fallen mag: Wir sollten bei jeder neuen Gefahr, die in den Medien als weiterer Beleg für Bedrohungen auftaucht, die aktuelle Entwicklung in einen längerfristigen Kontext einbetten – und beim nächsten echten oder vermeintlichen Anschlag hinterfragen, ob dieser wirklich einen Trend verkörpert. Für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft muss das Leitmotiv lauten: mehr Gelassenheit, weniger Aktionismus. Nur so können wir uns auf das konzentrieren, was uns wirklich bedroht.