Angstforscher zur Flüchtlingskrise "Irrationale Ängste lassen sich einfach bedienen"

Nach den Übergriffen in Köln reagiert ein Teil der Bevölkerung hysterisch, kauft Pfefferspray und Waffen. Angstforscher Borwin Bandelow erklärt im Interview, warum der Fremdenhass langfristig zunehmen könnte.

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Montagabends in Dresden: Pegida-Anhänger demonstrieren. Quelle: dpa

Die Deutschen kaufen sich Waffen und Pfefferspray. In manchen Orten dürfen Flüchtlinge nicht mehr ins Schwimmbad. Gerät die Situation außer Kontrolle?

Borwin Bandelow: Wenn eine Gefahr neu und unbeherrschbar erscheint, bekommen Menschen oft über die Maßen Angst. Diese Furcht hält aber meist nicht lange an. Man denke nur an die Terroranschläge in Paris, weswegen manche in Deutschland Fußballstadien gemieden haben. Das ist jetzt kein Thema mehr. Stattdessen gibt es die Angst vor Ausländern. Das dürfte sich das in einigen Wochen wieder normalisieren – vorausgesetzt, es kommt nicht erneut zu Zwischenfällen wie in der Silvesternacht.

Borwin Bandelow gehört zu den führenden Angst-Forschern in Deutschland. Quelle: Presse

Sind solche Ängste typisch deutsch oder ganz normal?

Dieses Prinzip gilt für alle Menschen weltweit. Es gibt aber ein Nord-Süd-Gefälle. Menschen im Norden sind tendenziell ängstlicher als im Süden, was historisch gesehen mit dem Winter zusammenhängt. Sechs Monate im Jahr wächst im Norden nichts oder nur wenig. In der Vergangenheit waren die Vorausschauenden also die Ängstlichen, die Nahrungsmittel gebunkert haben. Am Äquator war das nicht notwendig.

Zur Person

Die politischen Ränder erstarken im Moment. Manche warnen bereits vor Zuständen wie in der Weimarer Republik. Wie sehr befördert das die Angst im Land?

Niemand will die Vorfälle in Köln bagatellisieren – egal ob Politiker oder Journalisten. Wer jetzt aber Weimarer Zustände herbeiredet, handelt fahrlässig und hilft nicht dabei, dass die Angst abnimmt. Von Weimar sind wir meines Erachtens weit entfernt. Oder haben Sie den Eindruck, dass die Nationalsozialisten kurz vor der Machtübernahme stehen?

Was muss die Politik tun, damit die Angst zurückgeht?

Sie muss die rationalen Ängste angehen. Alle sehen, dass Städte und Kommunen heillos überfordert sind. Wenn jemand besorgt ist, weil Flüchtlinge in der städtischen Turnhalle leben, ist das rational. Es geht um ein konkretes Problem, das potentiell gelöst werden kann. Problematischer sind irrationale Ängste wie Xenophobie. Diese Ur-Angst stammt aus der Zeit der Naturvölker und meint eine Angst vor dem anderen, der nicht zum eigenen Stamm gehört.

Wie die AfD irrationale Ängste ausnutzt

Eine Angst, die die AfD bedient?

Ja, die AfD nutzt irrationale Ängste für ihre eigene Agenda skrupellos aus. Und in Amerika behauptet der Präsidentschaftskandidat Donald Trump, dass Mexikaner amerikanische Frauen vergewaltigen. Überzeugte Demokraten und seriöse Politiker dürfen bei so etwas nicht mitmachen, auch wenn es Wählerstimmen kostet.

Mittlerweile wird pauschal über „Nordafrikaner“ und „Araber“ gesprochen. Warum ist Differenzierung in Angst-Zeiten so schwer möglich?

Sie ist durchaus möglich. Nur lassen sich eben irrationale Ängste mit solchen Schlagworten einfach bedienen. Das Problem ist, dass alle Dunkelhaarigen plötzlich zu Nordafrikanern gemacht werden. Es wird nicht mehr unterschieden, um welche Nation oder ethnische Herkunft es geht. Wer so argumentiert, kommt der Problemlösung nicht näher.

Vor Silvester war das noch verpönt.

Ja, vor einigen Wochen war das Pendel noch stärker in Richtung Politische Korrektheit ausgerichtet. Ob Straftaten von Ausländern begannen wurden, war weniger oder gar nicht wichtig. Jetzt erleben wird das Gegenteil. Volle Transparenz und Fakten statt Politischer Korrektheit.

Manifestieren sich in solchen Diskursen negative Einstellungen gegenüber Flüchtlingen und Ausländern?

Ich bin optimistisch, dass sich ein Großteil der Aufregung relativeren wird – wie wir es beispielsweise immer wieder bei Terroranschlägen erleben. Irgendwann kehrt die Normalität zurück. Trotzdem beobachte ich derzeit einen Stimmungswandel im Land. Viele Menschen, die bislang liberal gegenüber Ausländern eingestellt waren, geben ihre liberale Grundhaltung Stück für Stück auf. Je länger die Flüchtlingskrise dauert und je drängender die Probleme werden, desto mehr steigt die Fremdenfeindlichkeit. 

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