Anschlag in Berlin "Wenn wir nichts tun, drohen uns französische Zustände"

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Eine gemeinsame Datenbank könnte die Fahndungsarbeit erleichtern

Was wären aus Ihrer Sicht sinnvolle Maßnahmen für die Sicherheitsbehörden?
Wichtig ist es, die Fahndungs- und Aufklärungsarbeit im Vorfeld zu verbessern. Durch die föderale Struktur bestehen dort viele Probleme. Die Abstimmung zwischen den Bundesländern, aber auch auf europäischer Ebene, ist nicht gut. Eine gemeinsame Datenbank, die von den europäischen Partnern auch wirklich gepflegt wird, könnte dafür sorgen, dass Gefährder, die sich innerhalb Europa bewegen, rechtzeitig entdeckt werden können. All das ist nicht besonders teuer, aber sehr effektiv.

In Folge eines Attentats schnellen die Sicherheitsausgaben kurzfristig in die Höhe. Welche gesamtwirtschaftlichen Kosten hat die Serie von Attentaten?
Wirtschaftlich betrachtet hat die IS-Terrorkampagne keine echten Auswirkungen, dafür sind unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft momentan zu stark. Der Dax hat auf keinen der Anschläge in den vergangenen Monaten reagiert. Natürlich werden wir kurzfristige Effekte sehen: Weihnachtsmärkte dürften am stärksten betroffen sein. Auch die Tourismus-Branche in Berlin könnte leichte Einbußen verspüren, weil Menschen, die ihren Urlaub für nächstes Jahr dort buchen wollten, jetzt zweifeln. Gesamtwirtschaftlich betrachtet werden wir diese Delle aber nicht spüren.

Frankreich hat unter der Terrorserie der vergangenen beiden Jahre auch wirtschaftlich stark gelitten. Im Vergleich zum Vorjahr waren acht Prozent weniger Touristen im Land, trotz der Fußball-Europameisterschaft. Warum ist das in Deutschland anders?
Das Niveau der Anschläge, die wir in Deutschland erleben mussten, ist nicht mit Niveau der Anschläge in Frankreich zu vergleichen. Dort gingen die Terroristen sehr viel professioneller, aber auch brutaler vor und es gab viel höhere Opferzahlen. Damit will ich das Grauen der Taten hier keineswegs relativieren. In Deutschland haben wir es bis jetzt aber vor allem mit Einzeltätern zu tun, in Frankreich teilweise mit ganzen Kommandoeinheiten. Dadurch ist die Schreckenswirkung sehr viel größer. Zudem wirkte die Polizei hier nie überfordert, was wohl auch von potentiellen Touristen registriert wird.

Große Terroranschläge in Europa

Im Gegensatz zu Deutschland sind die Terroristen in Frankreich dort oder in Belgien aufgewachsen und haben sich zum Teil sogar in Europa radikalisiert. In Deutschland dagegen ist es bis dato eine kleine Zahl von Asylsuchenden, die sich radikalisiert haben.
In den Pariser Vororten tummeln sich heute viele Sozialfrustrierte, vor allem Nordafrikaner, die bis in die Achtzigerjahre hinein in Frankreich eine Perspektive und Arbeit hatten. Mit dem Erlahmen der Konjunktur verlangsamte sich auch der Integrationsprozess. Viele in den Vororten sind heute wirtschaftlich und sozial abgehängt. Aus ihrer persönlichen Lage heraus sind manche deswegen anfällig für die Beeinflussung durch Islamisten. Frankreich muss im sozialpolitischen Bereich einiges tun. Es braucht mehr Sozialarbeiter in den Vororten, einen Ausbau der Deradikalisierungs-Maßnahmen und vor allem mehr Chancengleichheit. Denn das größte Problem sind Gruppen, die innerhalb einer Gesellschaft keine Perspektive mehr zu haben glauben.

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