Anschlag von Ansbach Terroropfer könnten Entschädigung erhalten

Würzburg, München, Reutlingen, Ansbach: Eine Serie von Gewalttaten erschüttert Deutschland. Was nur wenige wissen: Die Opfer können für ihr erlittenes Leid Entschädigung verlangen – vom Bund und den Ländern.

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Nach dem Selbstmordanschlag: Spuren am Tatort vor

Berlin Die Opfer der jüngsten Attentate in Bayern und Baden-Württemberg können vom Bund den Ländern nach dem sogenannten Opferentschädigungsgesetz finanziell entschädigt werden. „Opfer terroristischer Übergriffe können als Entschädigung für körperliche Schäden einmalig Kapitalleistungen erhalten. Auch Hinterbliebene und Nothelfer können Leistungen erhalten“, sagte Bianca Biwer, Bundesgeschäftsführerin des Weißen Rings, dem Handelsblatt. „Opfer extremistischer Übergriffe können zudem eine Geldentschädigung für Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erhalten", fügte Biwer hinzu. Sie nahm dabei Bezug auf die Zug-Attacke bei Würzburg, den Amoklauf in München, den Messer-Angriff in Reutlingen und den Bombenanschlag in Ansbach.

Mit dem Opferentschädigungsgesetz, so Biwer, wolle der Staat diejenigen entschädigen, „die sich rechtmäßig in Deutschland aufhalten und infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gesundheitliche Schäden erlitten haben“.

Der Deutsche Bundestag stellt dafür seit 2010 Mittel zur Verfügung. Allerdings betont das Bundesjustizministerium, dass es sich dabei um eine „Härteleistung“ handle, die aus „Billigkeit“ gewährt und den Charakter einer Soforthilfe für das Opfer habe. „Auf diese freiwillig übernommene Leistung besteht kein Rechtsanspruch.“ Sie sei, heißt es auf der Webseite des Ministeriums, „als Akt der Solidarität des Staates und seiner Bürger mit den Betroffenen zu verstehen“. Zugleich solle mit ihr ein „deutliches Zeichen für die Ächtung derartiger Übergriffe gesetzt werden“.

Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) hatte die jüngsten Gewalttaten in einen kurzen Satz gefasst: „Bayern erlebt Tage des Schreckens“, sagt der CSU-Chef am Montag über die vergangene Woche, die in ihrem Grauen in der jüngeren Vergangenheit ohne Beispiel ist. Am Montag vergangener Woche die Axt-Attacke bei Würzburg, am Freitag der Amoklauf in München, und dann am Sonntagabend ein Bombenanschlag in Ansbach.

In Würzburg griff am 18. Juli ein 17-jähriger Flüchtling mit einer Axt und einem Messer Reisende in einem Regionalzug an und verletzte fünf Menschen schwer. Er hatte vermutlich islamistische Motive. Polizisten erschossen den Jugendlichen.

In München erschoss der 18-jährige Deutsch-Iraner David S. neun Menschen, verletzte 35 weitere und tötete sich dann selbst. Er wurde offenbar von Gleichaltrigen gemobbt und litt unter schweren psychischen Problemen. Dass viele seiner Opfer ausländischer Herkunft waren, ist nach Einschätzung der Ermittler Zufall.

Im baden-württembergischen Reutlingen ging ein 21-jähriger Syrer mit einer Machete auf eine 45-jährige Arbeitskollegin aus Polen los und tötete sie. Auf der Flucht verletzte der Mann fünf Menschen. Hinweise auf einen extremistischen Hintergrund gibt es nach den Erkenntnissen der Ermittler nicht, es könnte sich um eine Beziehungstat handeln.

Im bayerischen Ansbach sprengte sich ein 27-jähriger Syrer vor dem Gelände eines Musikfestivals in die Luft und verletzte 15 Menschen. In einem Video bekannte er sich zur IS-Miliz.


Weißer Ring beklagt Fokussierung auf die Täter

Die Schreckensnachrichten und Hiobsbotschaften prasseln seit einer Woche in atemberaubendem Stakkato auf die Menschen in Bayern und der gesamten Republik ein. Ein Land steht unter Schock. Und vergisst dabei oft die Leidtragenden.

Bianca Biwer vom Weißen Ring beklagt, dass Opfer in der Berichterstattung und in der öffentlichen Wahrnehmung oft keine große Rolle spielten. „Der Fokus liegt immer auf dem Täter, seinem Aussehen, seinen Motiven, seinen Gedankengängen.“ Das Opfer spiele dagegen eine Nebenrolle. „Seine Nöte, Belange und Bedürfnisse werden gern ausgeklammert.“ Die Berichterstattung zum jüngsten Amoklauf und zu den Terroranschlägen seien ein aktuelles Beispiel dafür. „Dies muss sich ändern.“

Die Opferentschädigungsleistungen richten sich laut Weißem Ring nach dem Bundesversorgungsgesetz und umfassen insbesondere Heilbehandlungen und Rehabilitationsmaßnahmen wie beispielsweise auch Psychotherapie. „Bei bleibenden gesundheitlichen Schädigungen werden Renten ausgezahlt, wenn die gesundheitlichen Folgen ein bestimmtes Ausmaß überschreiten“, erläuterte Verbandsgeschäftsführerin Biwer.

Auch für Hinterbliebene eines Straftatopfers wie zum Beispiel Witwen und Witwer, aber auch Waisen und Halbwaisen sehe das Gesetz Rentenleistungen vor. „Diese Dauerleistungen sind teilweise vom Einkommen unabhängig, darüber hinaus gibt es auch Rentenleistungen, die tatbedingte Einkommensverluste ausgleichen.“

Die Leistungen stünden Opfern zur Verfügung, die die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen oder Bürger eines EU-Staates sind, erklärte Biwer weiter. „Für andere Staatsangehörige gibt es abgestufte Leistungen – je nach Länge ihres Aufenthalts in Deutschland.“ Bei schweren bleibenden gesundheitlichen Folgen könnten Opfer, die sich als Touristen in Deutschland aufgehalten haben, zudem eine Einmalzahlung gemäß der gesetzlichen Härteregelung erhalten.

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