Anti-Terror-Kampf Hilflosigkeit in Berlin

Nach den islamistischen Anschlägen legt der Bundesinnenminister ein Sicherheitskonzept vor. Dieses enthält viel Symbolisches und Unausgegorenes. Doch mehr war im längst begonnenen Wahlkampf nicht drin. Eine Analyse.

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Das 16-seitige Papier des Innenministers ist trotz sorgfältiger Analyse ein Dokument der Hilflosigkeit. Quelle: dpa

Berlin Thomas de Maizière hat nach den islamistischen Anschlägen von Würzburg und Ansbach einige Zeit verstreichen lassen. Schnellschüsse des Gesetzgebers verböten sich schon aus Respekt vor den Opfern, sagte der Bundesinnenminister damals. Erst die sorgfältige Analyse, für die de Maizière eigens seinen Sommerurlaub abgebrochen hatte, dann das Handeln. Da bleibt der CDU-Politiker sich treu.

Doch das 16-seitige Papier, das der Innenminister knapp drei Wochen nach Ansbach nun vorgelegt hat, ist trotz sorgfältiger Analyse ein Dokument der Hilflosigkeit. Und ein indirektes Eingeständnis, dass der Staat sich auch weiter schwer tun wird, die Bürger vor Axt-Attentätern oder Sprengstoffanschlägen zu schützen. 

Bei den Haushältern will der Innenminister noch mehr Geld für die Sicherheitsbehörden heraushandeln. Er weiß aber auch, dass Bundespolizei, Verfassungsschutz oder das Bundeskriminalamt nur begrenzte Ausbildungskapazitäten haben, selbst wenn plötzlich mehr Geld fließen sollte. Die Aufrüstung der Behörden für den Kampf gegen Cyberkriminelle ist lobenswert, aber angesichts der Tiefen des „Darknets“ kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Den Waffenhandel will der Innenminister erschweren, aber dazu erst die von der EU ohnehin geplante Waffenrichtlinie abwarten.

Ganz schwierig wird es dort, wo der Innenminister auf mehr Prävention setzt. Es dürfe nicht sein, dass die Sicherheitsbehörden wie im Fall Ansbach erst von belastendem Material erfahren, wenn ein Anschlag passiert ist, sagt de Maizière. Mitarbeiter des Flüchtlingsamtes BAMF oder Psychologen sollen deshalb die Behörden informieren dürfen, wenn ihnen im Asylverfahren oder bei der Trauma-Behandlung eines Flüchtlings ein Terrorverdacht kommt.

Wie das alles praktisch bewerkstelligt werden soll, ohne gegen die Schweigepflicht des Mediziners oder Datenschutzbestimmungen zu verstoßen? Das, sagt de Maizière, müsse mit dem Koalitionspartner oder Ärzteverbänden erst noch ausgehandelt werden. Selbst wenn eine rechtssichere Lösung gelingt: Nicht aus jedem Asylbewerber, der im vertraulichen Gespräch Verzweiflung und Suizidgedanken äußert, wird später auch ein Selbstmordattentäter. Der Grat für Ärzte und BAMF-Mitarbeiter, das Vertrauen ihrer Schützlinge zu missbrauchen oder sich strafbar zu machen, wird noch schmaler.


Der kleinste gemeinsame Nenner

De Maizière weiß auch, dass die Bürger wenig Verständnis dafür haben, dass der Attentäter von Ansbach schon mehrfach mit dem Gesetz in Konflikt gekommen war und trotzdem bleiben durfte. Oder dass viele Nordafrikaner illegal ins Land kommen und erst einen Asylantrag stellen, nachdem sie bei einer Straftat erwischt wurden. Doch selbst wenn es ihm gelingen sollte, im Aufenthaltsrecht nun eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ als neuen Haftgrund zu verankern, wird er solche Probleme kaum lösen.

Stellt der Ladendieb oder der kleine Drogendealer schon eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar und kann künftig in Abschiebehaft genommen werden? Wohl kaum. De Maizière denkt an „gefährliche Räuber“ oder Flüchtlinge, die einen Anschlag begehen könnten, weil sie zur Ausreise aufgefordert wurden. Ist also jeder abgelehnte Asylbewerber jetzt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit? Jurist de Maizière begibt sich hier auf unsicheres Terrain.

Erfolgversprechender ist da schon die „Duldung light“. Wer eine Abschiebung verhindert, weil er seinen Pass wegwirft oder wer hier Straftaten begeht, soll nur noch kurz vor Abschiebung geschützt sein und nur das Minimum zur Sicherung des Lebensunterhalts erhalten. Doch der Katalog der Straftaten muss auch hier erst mühsam ausgehandelt werden. Und daran, dass es bei Abschiebungen vor allem ein Vollzugsdefizit gibt, ändert auch die „Duldung light“ nichts.

Ob aus de Maizières Vorschlägen in dieser Legislaturperiode tatsächlich noch Gesetze werden, bleibt abzuwarten. Auf weitergehende Forderungen der Unions-Hardliner, etwa nach einer weitergehenden Vorratsdatenspeicherung, hat er von vornherein verzichtet. Er weiß, dass allein das Stichwort bei der SPD einen Pawlow‘schen Beißreflex auslöst. Auch will er alles so formulieren, dass die Länder nicht zustimmen müssen.

Die machen längst Druck. Schon Ende kommender wird sich der Innenminister von seinen Amtskollegen in den unionsgeführten Ländern anhören müssen, dass die CDU/CSU mit seinem Katalog allein das verlorene Vertrauen als Partei der inneren Sicherheit kaum zurückgewinnen wird. Auch beim CDU-Parteitag im Dezember dürfte es kontroverse Diskussionen über das Thema geben. De Maizières Forderungskatalog ist also der kleinste gemeinsame Nenner, der sich im längst begonnenen Antiterrorwahlkampf vielleicht noch ziehen lässt. Wenn er nicht im Überbietungswettbewerb untergeht.

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