Antisemitismus in der AfD Offenbarungseid für Meuthen & Co.

Rückschlag für AfD-Chef Meuthen: Seine Fraktion in Baden-Württemberg schließt einen Holocaust-Verharmloser nicht aus. Experten sollen die Vorwürfe erst prüfen. Das spielt Co-Parteichefin Petry in die Hände. Eine Analyse.

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Im Antisemitismus-Streit eingeknickt: Der Stuttgarter AfD-Fraktionsvorsitzende und Bundesparteichef Jörg Meuthen. Quelle: dpa

Berlin Was sich in diesen Tagen in der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) abspielt, erinnert stark an eine längst überwunden geglaubte Zeit. Damals, vor einem Jahr, stand die Partei bedenklich am Abgrund. Die Intrigenspiele der damaligen Vorsitzenden Frauke Petry und Bernd Lucke gipfelten in einem heftig geführten Schlagabtausch – öffentlich aufgeführt auf dem als „Spaltungsparteitag“ in die Geschichte der Partei eingegangenen Mitgliedertreffen in Essen.

Das Ergebnis ist bekannt. Petry jagte ihren Rivalen Lucke mit Stimmen des rechtsnationalen Flügels vom Hof und nahm die Zügel der Partei selbst in die Hand. Als Co-Vorsitzender rückte der wirtschaftsliberale Ökonomieprofessor Jörg Meuthen an ihre Seite.

Heute nun scheint sich die Geschichte zu wiederholen. Wieder kracht es heftig in der Parteiführung. Und wieder stehen sich, diesmal mit Petry und Meuthen, zwei Parteivorsitzende unversöhnlich gegenüber, die einander mit unsauberen Mitteln den Boden unter den Füßen wegziehen wollen. Was als Konflikt darüber begann, wer die Partei als Spitzenkandidat in den Bundestagswahlkampf führen soll, mündete schließlich in ein deutlich brisanteren Streit. Dabei geht es nicht nur um Köpfe, sondern vor allem um die Gesinnung dahinter. Es geht um die Frage, wie es die AfD mit dem Antisemitismus hält.

Die Antwort darauf gab die Partei am Dienstag im Stuttgarter Landtag, indem sie Meuthen, der die Fraktion anführt, auflaufen ließ. Der hatte sich vehement für einen Ausschluss des wegen antisemitischer Äußerungen umstrittenen Abgeordneten Wolfgang Gedeon eingesetzt. Gedeon hatte etwa den Holocaust als „gewisse Schandtaten“ bagatellisiert.

Doch zu der Abstimmung über den Rauswurf kam es erst gar nicht. Vielmehr wurde entschieden, nun doch, wie von Fraktionsvorstandsmitgliedern und Petry zuvor schon eingefordert, eine Untersuchungskommission einzusetzen, die die Antisemitismus-Vorwürfe prüfen sollen. Bis zum Vorliegen der Ergebnisse, geplant ist der Herbst, soll Gedeon seine Mitgliedschaft in der Landtagsfraktion ruhen lassen.

Für Meuthen und seine Unterstützer ist das eine herbe Niederlage. Denn dass er nun plötzlich umschwenkt und das Einholen eines Gutachtens unterstützt, entspricht dem genauen Gegenteil dessen, was er angekündigt hatte. Da für ihn außer Frage stand, dass Gedeon ein Antisemit ist, wollte er ihn loswerden. Meuthen knüpfte sogar sein politisches Schicksal an die Personalie, indem er erklärte: „Wenn meine Fraktion mir hier nicht folgt, muss und werde ich den Fraktionsvorsitz niederlegen und die Fraktion verlassen.“ Bizarr ist in diesem Zusammenhang, wie er den Vorgang nach der Fraktionssitzung auf einer Pressekonferenz bewertet hat: „Ich denke, dass ich mich klar durchgesetzt habe.“

De facto ist es aber genau so gekommen, wie es die Co-Vorsitzende Petry haben wollte. Der Antisemitismus-Streit ist nicht gelöst, sondern nur vertagt und ihr parteiinterner Kontrahent damit schwer beschädigt.


Empfindliche Schrammen für den liberalen Ruf

Für die AfD kommt das Lavieren bei dem Vorgang  einem Offenbarungseid gleich. Denn nun bestätigt sich einmal mehr der schon lange bestehende Eindruck, sie grenze sich nicht klar und deutlich von Rassisten und Antisemiten in den eigenen Reihen ab.

Zur Erinnerung: Gedeon hatte schon 2012 ein Buch mit antisemitischen Thesen veröffentlicht, das er „Der grüne Kommunismus und die Diktatur der Minderheiten“ nannte. Darin schrieb der pensionierte Arzt unter anderem: „Wie der Islam der äußere Feind, so waren die talmudischen Ghetto-Juden der innere Feind des christlichen Abendlandes.“ An anderer Stelle unterstellt er dem Judentum, an einer „Versklavung der Menschheit im messianischen Reich der Juden“ zu arbeiten.

Dass Meuthen vor diesem Hintergrund klare Kante zeigen wollte, ohne sich den offenkundigen Antisemitismus noch vorher wissenschaftlich bescheinigen zu lassen, ist mehr als nachvollziehbar. Andernfalls wäre er als liberales Aushängeschild der AfD „endgültig verbrannt“ gewesen. Nun hat sein liberaler Ruf zumindest empfindliche Schrammen bekommen.

In die verfahrene Situation hat sich Meuthen selbst hineinmanövriert. Politische Beobachter fragen sich schon länger, warum er nicht schon viel früher gegen Gedeon durchgegriffen hat. Hier offenbart sich eine eklatante Schwäche des AfD-Chefs. Denn auch in anderen Fällen, in denen es zu Grenzüberschreitungen am rechten Rand seiner Partei kam, reagierte Meuthen lax und ließ die Akteure gewähren.

Anfang Juni besuchte Meuthen sogar eine Veranstaltung des rechten AfD-Flügels. Unter den Teilnehmern waren auch bekannte Partei-Rechtsausleger wie die Landeschefs Björn Höcke (Thüringen), Alexander Gauland (Brandenburg) und André Poggenburg (Sachsen-Anhalt) und der Magdeburger Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider teilnahmen. Allesamt AfD-Akteure, die immer wieder mit völkischen und rassistischen Aussagen sowie Stimmungsmache gegen Flüchtlinge für Aufsehen sorgen.


Selbstbeschädigung Meuthens dürfte Petrys Position eher festigen

Andererseits unternimmt auch Petry nichts gegen die rechten Umtriebe in ihrer Partei. Das könnte sich noch rächen. Denn etliche Bundesvorstandsmitglieder, darunter die AfD-Vizechefs Beatrix von Storch und Alexander Gauland, hatten das Vorgehen Meuthens im Fall Gedeon öffentlich unterstützt. Und sich damit von Petry abgegrenzt.

Damit wird nun offenkundig, was hinter vorgehaltener Hand schon länger als Faktum gilt: Petry ist im Bundesvorstand isoliert. Das hat auch mit der Kritik an ihrem gelegentlich etwas aggressiven Auftreten zu tun. Zudem ziehen manche Vorstandsmitglieder in Zweifel, ob die von Petry vorgebrachten Ideen von ihr selbst stammen oder von ihrem Lebensgefährten, dem AfD-Landeschef in Nordrhein-Westfalen, Marcus Pretzell.

Gleichwohl ist die AfD-Chefin für die Parteibasis immer noch eine Identifikationsfigur. Deshalb gibt es wohl bislang auch keine ernsthaften Versuche, Petry zu stürzen. Die Vorstandskollegen bemühen sich aber, ihre Macht zu beschneiden. Gelingt es, wie von Meuthen, Höcke, Gauland und anderen bei einem jüngst anberaumtem Hinterzimmergespräch ersonnen, Petry als Spitzenkandidatin zu verhindern, stünde ihr Verbleib an der Parteispitze über kurz oder lang zur Debatte. Doch dazu dürfte es nunmehr kaum kommen. Die Selbstbeschädigung Meuthens dürfte Petrys Position in der AfD-Führung eher festigen.

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