Appell der Grünen Lammert soll Koalition beim Betreuungsgeld bremsen

Noch im Juni soll der Bundestag den Weg für das umstrittene Betreuungsgeld endgültig frei machen. Doch die Bedenken gegen das Gesetz nehmen zu. Die Grünen hoffen, mit Hilfe des Bundestagspräsidenten das Projekt zu verzögern.

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Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Quelle: dapd

Berlin Die Grünen haben Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) aufgefordert, sich für ein ordentliches parlamentarisches Verfahren beim Betreuungsgeld einzusetzen. „Rechtliche, haushalts- und familienpolitische Fragen zu diesem Gesetz müssen im Parlament angemessen beraten werden“, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck, Handelsblatt Online. Ein solches Beratungsverfahren lasse dann aber eine Verabschiedung des Gesetzentwurfes vor der Sommerpause nicht zu.

Beck unterstrich in diesem Zusammenhang, dass auch Koalitionsabgeordnete „massive verfassungsrechtliche Bedenken“ angemeldet hätten. „Diese müssen im Familien-Ausschuss mit Sachverständigen erörtert werden können“, sagte er. „Für ein parlamentarisches Hopplahopp beim Betreuungsgeld gibt es keinen Grund. Wir sind ja nicht auf der Flucht und es gibt auch keinen Staatsnotstand.“

Harsche Kritik äußerte Beck an Unions-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU), der Kritik an einem „Durchpeitschen“ des Gesetzes durch den Bundestag zurückgewiesen und erklärt hatte: „Gerade weil wir schon so lange darüber diskutieren, sollten wir jetzt endlich mal entscheiden.“

Beck sagte dazu: „Wenn Grosse-Brömer jetzt künstlich beim Tempo Druck macht, zeigt das nur eines: Die Koalition ist auf der Flucht vor gesellschaftlichem Widerstand und hat Angst vor einer öffentlichen Diskussion in der Sommerpause.“ Wer aber vernünftige Politik mache, müsse die Diskussion nicht scheuen.

„Wer aber nur der CSU ein milliardenteures Geschenk macht, muss fürchten, dass die Unterstützung in der Koalition für den Gesetzentwurf wie Butter in der Urlaubssonne dahin schmilzt“, so Beck.

Das vor allem von der CSU geforderte Betreuungsgeld, über das nach dem Willen der Koalition der Bundestag noch im Juni entscheiden soll, sollen Eltern erhalten, die ihre Kinder zu Hause betreuen oder die Betreuung privat organisieren.

Der Gesetzentwurf stößt allerdings auch in den Reihen von CDU und FDP auf Kritik. Gleichwohl sagte der Unions-Parlamentsgeschäftsführer Grosse-Brömer der „Rheinischen Post“ vom Samstag, er rechne nicht mehr mit größeren Veränderungen der Vorlage.

Am Wochenende war erneut auch aus der Wirtschaft scharfe Kritik am Betreuungsgeld gekommen. Das Geld setze falsche Anreize und fördere noch, dass Frauen zu Hause bleiben statt in die Arbeit zurückzukehren, sagte DIHK-Präsident Heinrich Driftmann der „Wirtschaftswoche“.


Kritik von allen Seiten

Die SPD äußerte sich empört über Drohungen von Familienministerin Kristina Schröder (CDU), bei einem Scheitern des Betreuungsgelds Mittel für den Kita-Ausbau zu kürzen. „Die 1,2 Milliarden Euro, die hier künftig ausgegeben werden sollen, sollte man besser nutzen, um die Kinderbetreuung wie versprochen auszubauen“, mahnte Driftmann.

„Das Betreuungsgeld setzt für den Arbeitsmarkt die falschen Signale“, kritisierte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages weiter. Gebraucht würden mehr Frauen in der Wirtschaft, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Dabei müssten Politik und Wirtschaft zusammenarbeiten, zum Beispiel um „bessere Rahmenbedingungen für berufstätige Frauen“ zu schaffen.

Der Koblenzer Sozialwissenschaftler Stefan Sell nannte das Betreuungsgeld einen „Irrsinn“, der „sozialpolitisch einen perversen Umverteilungscharakter“ habe. Auch er plädierte in der „Rhein-Zeitung“ vom Samstag dafür, die Mittel für das Betreuungsgeld dafür zu nutzen, die personelle Ausstattung von Kitas zu verbessern.

Kritik kommt auch von der OECD. Einer neuen Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zufolge kann das Betreuungsgeld nicht nur die Beschäftigungsquote von Frauen schwächen, sondern sich negativ auf die Integration von Zuwanderern auswirken. So sei in Norwegen die Quote der am Arbeitsmarkt beteiligten Zuwanderinnen in der Folge des Betreuungsgelds um 15 Prozent gesunken, wie die Zeitung „Die Welt“ berichtet. Die Studie „Jobs for Immigrants“ wird heute in Paris vorgestellt.


„Wer Kitaausbau sagt, muss auch Betreuungsgeld sagen“

Schröders Sprecher Christoph Steegmans hatte dagegen umgekehrt am Freitag mit Blick auf rechtliche Zweifel am Betreuungsgeld gesagt, dies stelle auch die Unterstützung des Bundes für den Kita-Ausbau in Frage. „Wer Kitaausbau sagt, muss auch Betreuungsgeld sagen“, sagte Steegmans.

Empört darüber äußerte sich SPD-Vize Manuela Schwesig. „Die Drohung des Familienministeriums zeigt, wie sehr Frau Schröder unter Druck steht“, erklärte Schwesig nach Parteiangaben am Samstag in Berlin. Sie solle „lieber etwas für den Kita-Ausbau tun, als mit den Säbeln zu rasseln“.

Angesichts der Rückstände beim Ausbau von Kita-Plätzen verlangen derweil einem „Spiegel“-Bericht zufolge CDU-Ministerpräsidenten weitere Finanzhilfen des Bundes. „Wir brauchen ein Ausbauprogramm West“, zitierte das Magazin Äußerungen des niedersächsischen CDU-Ministerpräsidenten David McAllister in der Sitzung des CDU-Präsidiums vom vergangenen Montag. Die saarländische CDU-Regierungschefin Annegret Kramp-Karrenbauer argumentierte demnach in derselben Sitzung, unionsregierte Länder dürften im Bundestags-Wahljahr 2013 beim Kita-Ausbau nicht die Schlusslichter sein.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wies die Nachforderungen aus den Ländern laut „Spiegel“ zurück. Die Länder müssten mit dem Geld auskommen, das der Bund bereits zur Verfügung stelle, obwohl der Kita-Ausbau eigentlich Ländersache sei. Um den Rechtsanspruch auf einen Kita-Platz ab August 2013 erfüllen zu können, fehlen nach Schätzungen des Familienministeriums derzeit noch rund 160.000 Plätze. Betroffen sind vorwiegend westdeutsche Länder.

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