Arbeitskämpfe Zügel für Streikwütige

Das Bundesarbeitsgericht spricht Fraport nach einem Streik der Fluglotsen Schadensersatz zu. Nach Ansicht von Arbeitsrechtlern ein Urteil mit Signalwirkung. Gewerkschaften werden künftig zwei Mal überlegen müssen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
2012 hatten die Beschäftigten auf dem Vorfeld des Frankfurter Flughafens nach einem Aufruf der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) die Arbeit niedergelegt. Quelle: dapd

Berlin Streikrecht ist Richterrecht – und die Arbeitgeber beklagen schon lange, dass die Justiz sich in den vergangenen Jahren zunehmend auf die Seite der Gewerkschaften geschlagen hat. Die „Waffengleichheit“ in Arbeitskämpfen sei deshalb nicht mehr gewahrt.

Nun verschiebt ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts das Kräfteverhältnis wieder ein kleines Stückchen in Richtung der Arbeitgeber. Die Erfurter Richter sprachen dem Flughafenbetreiber Fraport Schadensersatzansprüche gegenüber der kleinen Gewerkschaft der Fluglotsen (GdF) zu. Die hatte im Jahr 2012 die Vorfeldlotsen am Frankfurter Flughafen zum Streik aufgerufen. Weil damals 1668 Flüge gestrichen werden mussten, hatten Fraport, aber auch die Fluggesellschaften Lufthansa und Air Berlin auf insgesamt mehr als neun Millionen Euro Schadenersatz geklagt.

Anders als die Vorinstanzen gab das Bundesarbeitsgericht nun zumindest dem Flughafenbetreiber Recht. In ihrem Arbeitskampf habe die GdF auch Forderungen durchsetzen wollen, die noch bis Ende 2017 in ungekündigten Tarifverträgen festgeschrieben sind. Damit habe die Gewerkschaft gegen die Friedenspflicht verstoßen, urteilten die Richter. Der Streik sei damit unrechtmäßig gewesen, Schadensersatz gerechtfertigt.

GdF-Chef Matthias Maas nannte die Gerichtsentscheidung enttäuschend. Gerade für kleine Gewerkschaften mit entsprechend wenigen Einnahmen können hohe Schadensersatzforderungen existenzbedrohend sein. Fraport allein hatte auf gut fünf Millionen Euro Entschädigung geklagt. Wie viel die Gewerkschaft zahlen muss, entscheidet nun das Landesarbeitsgericht Hessen. Maas erwartet, dass die Summe deutlich unter der Fraport-Forderung liegen wird. Um die Existenz seiner Gewerkschaft mit ihren knapp 4.000 Mitgliedern mache er sich deshalb keine Sorgen.

Heftige Kritik kam von Nicoley Baublies, dem Chef der neuen Luftfahrt-Dachgewerkschaft IGL. „Es ist ein politisches Urteil, das dem gegen schlagkräftige Berufsgewerkschaften stehenden Zeitgeist entspricht.“ Baublies spielt damit auf höchst umstrittene Arbeitskämpfe kleiner Gewerkschaften wie der GdF, der Pilotenvereinigung Cockpit oder der Lokführergewerkschaft GDL an. Treten ihre Mitglieder in den Ausstand, stehen schnell weite Teile des Luft- oder Zugverkehrs still.

Leidtragende sind dann regelmäßig die Reisenden als unbeteiligte Dritte. Die Bundesregierung hatte deshalb bereits das Tarifeinheitsgesetz beschlossen, um die Macht kleiner Spartengewerkschaften zu beschneiden. Das Bundesverfassungsgericht prüft aber noch, ob das Gesetz mit der vom Grundgesetz garantierten Koalitionsfreiheit vereinbar ist.


Einen Streik gibt es nicht zum haftungsrechtlichen Nulltarif

Die Gewerkschaften sehen bereits in dem nun ergangenen Erfurter Urteil eine deutliche Beschränkung ihrer Handlungsfähigkeit, weil sich das Streikrisiko deutlich erhöhe. „Es sollte nicht sein, dass man für eine relativ nebensächliche Forderung, die möglicherweise rechtlich angreifbar ist, ein hohes Risiko bei Streiks eingehen muss“, sagte GdF-Anwalt Dirk Vogelsang.

So bezog sich die laut Gericht noch der Friedenspflicht unterliegende Forderung auf den Gesundheitsschutz, einen absoluten Randaspekt des Arbeitskampfes. Auf jeden Fall werden die Arbeitnehmervertreter künftig noch sorgsamer bei der Formulierung ihrer Streikziele sein müssen. Wie wichtig das ist, hatte im September vergangenen Jahres auch die Pilotenvereinigung Cockpit erleben müssen. Damals untersagte das Landesarbeitsgericht Hessen ihren Streik bei der Lufthansa. Begründung: Der Gewerkschaft gehe es nur vordergründig um tarifvertragliche Ziele, in Wahrheit wolle sie den Aufbau der neuen Lufthansa-Billigtochter torpedieren. Damit sei der Streik illegal.

Nach dem Erfurter Urteil können sich die Arbeitgeber nun möglicherweise auf weniger Gegenwind von den Gewerkschaften freuen. Aus Unternehmersicht sei die Entscheidung voll zu begrüßen, sagte Tobias Brors, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Kanzlei Arqis. Dass die Richter Fraport nun Schadensersatz zugesprochen hätten, verpflichte die Gewerkschaft künftig zu stärkerer Rücksichtnahme. Die sei gerade in der arbeitsteilig vernetzten Luftverkehrsbranche wichtig. „Wenn in dieser Branche ein Zahnrad zum Stehen kommt, wird das gesamte Gefüge berührt und sofort sind mehrere Unternehmen und deren Kunden betroffen.“

Insoweit würden durch das Urteil indirekt auch die beiden klagenden Fluggesellschaften unterstützt. Lufthansa und Air Berlin hatten die Bundesarbeitsrichter keinen Anspruch auf Schadensersatz zugesprochen, weil sie anders als Fraport nicht direkt von der GdF bestreikt wurden, sondern nur mittelbar Betroffene waren.

Das Urteil dürfte im Ergebnis dazu führen, dass Gewerkschaften sich bei Streikaufrufen künftig umsichtiger und zurückhaltender verhalten, erwartet Arbeitsrechtler Brors. „Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts stellt insoweit klar, dass ein Streik nicht zum haftungsrechtlichen Nulltarif zu bekommen ist und daher nicht leichtfertig durchgeführt werden sollte.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%