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Arbeitslosenzahlen Hartz-IV-Debatte – Arbeitsminister Heil lässt viele Fragen offen

Hubertus Heil selbst hat die Diskussion über ein Ende von Hartz IV als „notwendige Debatte“ bezeichnet. Doch was dann kommen soll, sagt er nicht.

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Hartz-IV-Debatte – Hubertus Heil lässt viele Fragen offen Quelle: epd

Die Erwartungen sind hoch, als der neue Arbeitsminister Hubertus Heil am Donnerstag zum ersten Mal die aktuellen Arbeitsmarktzahlen kommentiert. Nicht, weil Überraschungen bei den Daten zu erwarten wären. Die Beschäftigung steigt, die Arbeitslosigkeit sinkt, alles wie gewohnt.

Aber weil die SPD in den vergangenen Tagen und Wochen über nichts anderes so hitzig diskutiert hat wie über Hartz IV, wollen nun alle wissen, wie der zuständige Minister zum verhassten Erbe der Partei steht. Hartz IV ganz abschaffen oder weiterentwickeln? Ein solidarisches Grundeinkommen einführen oder gar ein Recht auf Arbeit? Wo will die SPD hin?

Heil verspricht das, was im Koalitionsvertrag steht: einen sozialen Arbeitsmarkt und langfristige Betreuung, damit Langzeitarbeitslose nicht von einer Kurzfristmaßnahme in die nächste gejagt werden und am Ende doch am staatlichen Tropf hängen zu bleiben. „Es geht um das Prinzip, besser Arbeit zu finanzieren als Arbeitslosigkeit“, sagt Heil.

So oder ähnlich hatte man das in den Vortagen auch schon von Parteifreunden gehört. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller begründet damit seine Idee eines solidarischen Grundeinkommens. Arbeitslose sollen sich als Schulhausmeister oder Hausaufgabenbetreuer verdingen und dafür vom Staat 1.500 Euro im Monat erhalten, was etwa dem Mindestlohn entspricht.

Andere SPD-Politiker hatten aber auch über das Ende von Hartz IV philosophiert – jener Erblast von Gerhard Schröders Agenda-Reformen, die die SPD bis heute für ihre niederschmetternden Wahlergebnisse verantwortlich macht.

Heil selbst war nicht unschuldig daran, dass der Geist aus der Flasche entwich, den er am Donnerstag nun wieder mühsam einzufangen versucht. In der „Bild“-Zeitung hatte er zu Wochenbeginn die Diskussion über ein Ende von Hartz IV als „notwendige Debatte“ bezeichnet, „die wir führen müssen“.

Nur Stunden vor der Präsentation der Arbeitsmarktdaten legte er in einem Gastbeitrag für die „FAZ“ nach: Der soziale Arbeitsmarkt sei „ein wichtiger Schritt auf dem Weg hin zu einem solidarischen Grundeinkommen“, schrieb er. Und: „Weitere müssen folgen.“

Was genau das bedeutet, bleibt auch am Donnerstag vor der blauen Wand im Pressesaal des Arbeitsministeriums unklar. Klar ist nur, dass Heil rasch einen Gesetzentwurf für den Sozialen Arbeitsmarkt vorlegen will.

Möglichst bis zur Sommerpause soll das Geschehen. Nur zweieinhalb Stunden vor dem Auftritt des Arbeitsministers hatte der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, der Politik ungewöhnlich deutlich die Leviten gelesen. Statt abstrakte Systemdebatten zu führen, solle sie lieber rasch die geplanten Verbesserungen für Langzeitarbeitslose auf den Weg bringen.

Hier hat Heil konkrete Pläne: Damit Privatunternehmen, der öffentliche Dienst oder gemeinnützige Einrichtungen schwer vermittelbaren Langzeitarbeitslosen eine Chance geben, soll der Staat bis zu fünf Jahre lang große Teile des Lohns übernehmen. Der Zuschuss schmilzt aber im Laufe der Zeit ab. Einen großen öffentlichen Beschäftigungssektor will der Arbeitsminister dabei nicht. Ziel müsse sein, die Menschen, wo immer es gehe, an den Arbeitsmarkt heranzuführen.


Doch was ist mit dem solidarischen Grundeinkommen

So weit so gut, aber was ist mit den weiteren Schritten, die folgen müssen, wie Heil selbst gesagt hat? Was ist mit Müllers solidarischem Grundeinkommen. Der Vorschlag sei „interessant“, aber er sehe noch „Erörterungsbedarf“, erklärt der Fachminister.

Was ist mit den Hartz-IV-Regelsätzen und den Sanktionen, die gegen viele Empfänger verhängt werden? Schließlich hat der Minister eingangs selbst erklärt, dass die Debatte nicht nur entlang „abstrakter Zahlenkolonnen“ geführt werden dürfe, sondern dass dahinter Einzelschicksale stünden.

Das Schicksal des Vaters, der nach der Insolvenz seiner Firma die Familie nicht mehr ernähren könne. Von der alleinerziehenden Mutter, die ihrer Tochter nicht das geben könne, was für deren Altersgenossen selbstverständlich sei.

Über die Praxis der Sanktionen könne man an der einen oder anderen stelle sicher reden, aber an den Mitwirkungspflichten beim Hartz-IV-Bezug werde er nicht rütteln, sagt Heil. Und man werde immer wieder darüber reden, wie hoch das materielle und sozioökonomische Existenzminimum sein müsse. Dazu gebe es eine einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und er habe nicht vor, kurzfristig an den Berechnungsgrundlagen etwas zu ändern.

Das „Recht auf Arbeit“, das Berlins Regierungschef Müller zu Beginn der Debatte auch einmal ins Spiel gebracht hatte? „Ich will keine abstrakte verfassungsrechtliche Debatte führen“, sagt Heil. Die Frage sei vielmehr, was die Politik mit Arbeitgebern und Gewerkschaften zusammen tun könne. „In allererster Linie schaffen in diesem Land Arbeitsplätze Unternehmen.“ Er begreife sein Ministerium deshalb auch als Haus der Sozialen Marktwirtschaft, das sich für die Stärkung der Sozialpartnerschaft einsetze.

Am Ende bleiben also viele Fragen offen. Man werde in dieser Wahlperiode die Debatte über die Zukunft der Arbeit und der sozialen Sicherungssysteme fortsetzen. Aber zunächst gehe es darum, den Sozialen Arbeitsmarkt zu etablieren. Da sei er mit BA-Chef Scheele völlig einer Meinung, dass die Zeit drängt.

In einem Punkt dagegen dürfte es zwischen dem Minister und dem Behördenleiter noch hitzige Diskussionen geben. Wenn die vier Milliarden Euro, die die Große Koalition in dieser Wahlperiode in die Jobcenter investieren will, für den sozialen Arbeitsmarkt reserviert seien, müsse der Bund weiteres Geld zur Verfügung stellen.

Denn die Jobcenter seien gezwungen, immer größere Anteile ihrer Finanzmittel in den Verwaltungsetat umzuschichten. Die chronische Unterfinanzierung der Jobcenter gehe zu Lasten der aktiven Arbeitsmarktpolitik und der intensiven Betreuung von Arbeitslosen.

Hier allerdings hält Heil seinem Parteifreund, Finanzminister Olaf Scholz, den Rücken frei. „Ganz klar ist, dass wir mit den vier Milliarden Euro die Lohnkostenzuschüsse nicht allein, sondern auch die Betreuung, die Unterstützung, die Qualifizierung, das Coaching unterstützen.“ Soll heißen: Zusätzliches Geld obendrauf gibt es nicht. 

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