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Arbeitsmarkt 100-Euro-Minijobs sind der falsche Ansatz

Die Grünen wollen die Minijobs-Grenze von 450 auf 100 Euro drücken - weil sie nicht als Brücke in den Arbeitsmarkt taugen, sagt Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt. Dieses gravierende Problem sollte man besser anders lösen.

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Wo Schwarzarbeit weit verbreitet ist
Rang 21: USADass die Arbeitslosigkeit in den Vereinigten Staaten auf hohem Niveau stagniert, hat keine gravierenden Auswirkungen auf die Schwarzarbeit. Das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) hat die Entwicklung der Schattenwirtschaft in ausgewählten OECD-Ländern untersucht. Das Ergebnis: Den geringsten Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) macht Schwarzarbeit – also Tätigkeiten, die im Prinzip auch legal ausgeübt werden könnten, die jedoch den öffentlichen Stellen nicht gemeldet werden, damit keine Steuern und Sozialbeiträge gezahlt werden müssen – in den USA aus. Nach Prognosen des IAW wird der Anteil der Schwarzarbeit am BIP 2012 wie im Vorjahr bei 7,0 Prozent liegen – und damit einen Wert von deutlich über eine Billion US-Dollar betragen. Quelle: AP
Platz 9: FinnlandFinnland hat die Schwarzarbeit in den vergangenen Jahren etwas eingedämmt. 2003 lag ihr Anteil am finnischen BIP bei 17,6 Prozent. 2011 lag der Wert nur noch bei 13,7, im kommenden Jahr soll der Anteil gar auf 13,3 Prozent sinken. Dennoch gehen dem Euro-Land damit Steuereinnahmen in Milliardenhöhe verloren. Schließlich wurden Arbeitsleistungen im Wert von rund 24 Milliarden Euro dem Finanzamt vorenthalten. Quelle: dpa
Platz 8: DänemarkWie Deutschland wird auch in Dänemark in diesem Jahr die Schwarzarbeit einen Anteil von 13,4 Prozent am BIP einnehmen. Die Schattenwirtschaft summiert sich damit auf einen Wert von über 30 Milliarden Euro. 2009 lag der Anteil der illegalen Wertschöpfung am BIP noch bei 14,3 Prozent. Quelle: REUTERS
Platz 8: DeutschlandWie 2012 landet Deutschland auf Rang 8. Dank der positiven Wirtschaftsentwicklung und der positiven Lage auf dem Arbeitsmarkt wird sich der Umfang der Schattenwirtschaft in Deutschland laut IAW weiter reduzieren. Die Modellschätzungen sagen für 2013 voraus, dass die Schwarzarbeit von 13,4 Prozent im Jahr 2012 auf 13,2 Prozent zurückgeht. Das ist immerhin das niedrigste Niveau seit 20 Jahren. Quelle: dpa
Platz 6: Norwegen und SchwedenIn Skandinavien ist der Anteil der Schwarzarbeit am BIP insgesamt überraschend hoch, auch in Norwegen und Schweden. Er wird in beiden Ländern laut IAW-Prognose für 2012 bei 14,3 Prozent liegen. In Norwegen werden damit Arbeitskosten in Höhe von etwa 44 Milliarden Euro am Finanzamt vorbeigeschmuggelt, in Schweden in Höhe von rund 50 Milliarden Euro. Quelle: dapd
Platz 6: SchwedenBei Norwegens Nachbar Schweden ist die Schwarzarbeit sogar noch etwas weiter verbreitet. Im laufenden Jahr erwarten die Experten einen Anteil der Schattenwirtschaft am BIP von 13,9 Prozent. Im Vergleich zu 2012 ist das aber ein leichter Rückgang um 0,4 Prozent. Quelle: AP
Platz 5: BelgienSeit 2009 ist in Belgien der Anteil der Schwarzarbeit am Bruttoinlandsprodukt kontinuierlich gesunken. Waren es 2009 noch 17,8 Prozent, so sollen es 2013 nur noch 16,4 Prozent sein. Quelle: dpa

Das Problematische an den Minijobs ist ihr Erfolg: Rund 7,4 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland für maximal 450 Euro Monatslohn, brutto für netto. Minijobber, das kann so ziemlich jeder sein, von der mitverdienenden Hausfrau (oder dem Ehemann) und Studenten mit Nebenjob, über aufstockende Rentner und zeitungsaustragende Schüler bis hin zu Putzfrauen und Kellnern.

Je nach Perspektive sind die Minijobs dann ein passgenaues, attraktives Modell für all jene, die nicht mehr arbeiten können, wollen oder müssen. Oder ein Lohndrücker-und Mehrarbeitverhinderungs-Instrument, das Schwarzarbeit nur kaschiert, Arbeitnehmerrechte schleift und Aufstiege verbaut.

Katrin Göring Eckardt, die grüne Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl, hat nun ihre dezidiert negative Sicht der Dinge vorgetragen, verbunden mit dem Vorschlag, die abzugsfreie Verdienstgrenze von 450 auf 100 Euro herunterzudrücken – mit Ausnahme des „haushaltsnahen Bereiches“, vulgo: Putzhilfen. „Als wir die Minijobs eingeführt haben, dachten wir, sie seien eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt“, sagt sie. Diese Hoffnung habe sich aber nicht erfüllt.

Die grüne Frontfrau hat durchaus recht, wenn sie auf Probleme mit den Minijobs hinweist: Gerade Frauen, die fast 60 Prozent dieser Arbeitsverhältnisse besetzen, bleiben oft in ihnen gefangen. Bei einer durchschnittlichen Dauer von sechs Jahren und sieben Monaten kann man nicht mehr von einem Sprungbrett sprechen, sondern höchstens von einem Sammelbecken. Von den Frauen, für die der Minijob nicht nur eine Nebenbeschäftigung war, fanden laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums nur 14 Prozent eine Vollzeitstelle. Von „ausgeprägten Klebeeffekten“ sprachen die Autoren. Das ist erschreckend.

Was Göring-Eckhardt allerdings verschweigt, ist: Laut Befragungen sind rund 80 Prozent der Frauen in Minijobs gar nicht unzufrieden mit ihrer Lage. Für nicht wenige also passen Minijobs zum eigenen Leben.

Wer explizit etwas für mehr Beschäftigung der Frauen tun will (und alles spricht dafür), sollte weniger die Minijobs selbst regulieren, sondern die Grundlagen für den vollen Arbeitsmarkteintritt verbessern. Bei einer 100-Euro-Grenze dürften viele Tätigkeiten, die eben etwas, aber nicht viel mehr bringen, wieder in der Schwarzarbeit verschwinden. Das kann nicht Sinn der Sache sein.

Wer explizit Menschen unterstützen will, die aus der Minijob-Falle heraus wollen, der muss andere Hebel betätigen. Der Übergang im deutschen Abgaben- und Steuersystem bei Löhnen ab der Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro ist zu hart. Die Schwelle sollte flexibler werden, damit die volle Last nicht sofort jede Motivation zur Mehrarbeit erdrückt. Noch entscheidender aber ist ein anderer Punkt: gute und flächendeckend verfügbare Kinderbetreuung. Nur so können in Familien zukünftig beide Elternteile oder Alleinerziehende alle Chancen in ganzem Umfang nutzen. Hier schlummert das größte Potenzial.

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