Arbeitsmarkt Flüchtlinge? Sehr gerne!

Wie kommen Arbeitgeber und geflüchtete potenzielle Arbeitnehmer zusammen? Bewerbungen über die Bundesagentur für Arbeit (BA) sind für Unternehmen wie auch für Geflüchtete der meistgenutzte Kanal, zeigt eine Studie von DIW Econ für die gemeinnützige Organisation Tent Partnership for Refugees. Aus der Ukraine geflüchtete Frauen informieren sich in Bernburg, Sachsen-Anhalt, an einer Tafel der BA über Arbeitsangebote. Quelle: dpa

Die Produktivität steigt, Kosten sinken: Die Mehrheit deutscher Unternehmen macht positive Erfahrungen damit, Geflüchtete zu beschäftigen, zeigt eine neue Studie. Die meisten wollen weitere einstellen. Das lässt für die Integration von Ukraine-Flüchtlingen hoffen. 

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Wie findet ein mittelständisches Pflegeunternehmen aus dem nicht ganz so zentral gelegenen Südthüringen die Fachkräfte, die es so dringend benötigt? Die Geschäftsführerin versuchte es Anfang März mit einer Stellenanzeige auf einem Portal für Geflüchtete aus der Ukraine, das gerade aufgebaut worden war – und fand schon am nächsten Morgen zwei Nachrichten in ihrem Postfach.

Zwei von mehr als fünf Millionen Geflüchteten, die Halt jenseits der Heimat suchen. Mehr als 700.000 Geflüchtete aus der Ukraine haben allein die deutschen Behörden mittlerweile erfasst.

Und auch, wenn etwa 40 Prozent von ihnen Kinder und Jugendliche sind, und das Innenministerium davon ausgeht, dass womöglich „eine erhebliche Zahl“ von ihnen bereits in andere Länder der EU weitergereist oder sogar zurückgekehrt ist – es bleiben Hunderttausende Geflüchtete. Und eine der wichtigsten Lehren der Flüchtlingsbewegungen 2015 lautet: Je schneller geflüchtete Menschen Arbeit finden, desto rascher finden sie sich in der neuen Umgebung ein.

Erkenntnisse liefern, wie dies gelingen kann, will nun eine Studie: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von DIW Econ, des Dienstleisters des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, haben im Auftrag der gemeinnützigen Organisation Tent Partnership for Refugees 100 deutsche mittlere und große Unternehmen verschiedenster Branchen befragt, welche Erfahrungen sie zwischen 2015 und 2021 bei der Einstellung von Geflüchteten gemacht haben. Drei Viertel der befragten Unternehmen nahmen in diesem Zeitraum zum ersten Mal Geflüchtete unter Vertrag.

Es sind die Jahre nach den großen Fluchtbewegungen, als zahlreiche Menschen vor dem Krieg in Syrien, der zunehmenden Gewalt in Afghanistan und Irak flohen. Gemäß Zahlen der Bundesagentur für Arbeit (BA) hat Deutschland bis Ende 2020 von allen europäischen Ländern die meisten Geflüchteten aufgenommen – seit 2015 etwa 1,9 Millionen Menschen.

Geflüchtete treffen auf ein Land, dem die Fachkräfte ausgehen

Sie treffen auf ein Land, in dem dem Arbeitsmarkt die Fachkräfte ausgehen. Die geburtenstarken Jahrgänge gehen allmählich in den Ruhestand. Fünf Millionen Menschen verlassen den Arbeitsmarkt in den kommenden Jahren. Schließt Deutschland die Lücke nicht, drohen Wohlstandsverluste in Höhe von vielen Hundert Milliarden Euro, erwarten Forscherinnen und Forscher des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).

Um dem entgegenzuwirken, müssen Eltern mit besseren Kindertagesstätten aus der Teilzeit geholt werden, möglichst viele Babyboomer ein paar Jahre länger arbeiten, Maschinen Jobs übernehmen – und Zuwanderer fürs Land gewonnen werden. Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge, bräuchte es eine Nettozuwanderung von 400.000 Menschen im Jahr, um das Arbeitskräfteangebot langfristig konstant zu halten.

Schon jetzt blieben zu Beginn des vergangenen Ausbildungsjahres fast 40 Prozent der Plätze unbesetzt. Und die Pandemie verstärkt den Arbeitskräftemangel: Wo Betriebe schlossen – und ohnehin eher niedrige Löhne gezahlt werden – suchten sich viele Arbeitnehmer Alternativen und kommen beispielsweise nicht in Gastronomie und Handel zurück.

Da verwundert es nicht, dass Unternehmen sich auch Geflüchteten als möglichen künftigen Fachkräften zuwenden: Die Beschäftigungsquote der Menschen, die 2015 und 2016 nach Deutschland kamen, liegt inzwischen bei etwa 50 Prozent. „Der Arbeitsmarkt ist sehr aufnahmefähig“, sagt Herbert Brücker, Ökonom am IAB in Nürnberg.

Und die meisten Arbeitgeber sind zufrieden, wie die Studie von DIW Econ zeigt: 64 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, positive Erfahrungen mit der Einstellung Geflüchteter gemacht zu haben – und zwar unabhängig davon, wie groß die Betriebe, welcher Branche zugehörig und wo sie angesiedelt sind. Fast ein Viertel der Unternehmensvertreterinnen bewertete die Zusammenarbeit mit geflüchteten Mitarbeitern als „sehr gut“, 40 Prozent als „eher gut“. Knapp neun von zehn Betrieben planen aufgrund ihrer Erfahrung, im kommenden Jahr weitere Geflüchtete einzustellen.

Unternehmen nennen wirtschaftliche Vorteile

Mehr als die Hälfte der Unternehmen stellte demnach fest, dass sich die durchschnittliche Betriebszugehörigkeit aller Mitarbeitenden erhöhte – womit die Kosten für Neueinstellungen sanken. Mehr als die Hälfte sagte auch, dass die Produktivität im Unternehmen stieg und sich die Ergebnisse verbesserten: weil unterschiedliche Erfahrungen von Mitarbeitenden deren Entscheidungen optimieren und sie gemeinsam auf bessere Ideen kommen.

Vier Fünftel der Antwortenden berichteten zudem davon, als attraktivere Arbeitgeber wahrgenommen zu werden und 60 Prozent gaben an, dass sie auf internationalen Märkten erfolgreicher handeln.

Was nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass es natürlich zunächst auch Schwierigkeiten mit sich bringt, Geflüchtete einzustellen. Für drei Viertel der Unternehmen zählen dazu fehlende Sprachkenntnisse. Beispiel Auszubildende: Selbst wer sein Fach praktisch beherrscht, steht vor der Herausforderung, in der Berufsschule dem Unterricht zu folgen und theoretische Prüfungen abzulegen.

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Dazu kommt, dass Geflüchtete verglichen mit anderen Zugewanderten meist weniger gut ausgebildet sind. Von den Menschen, die zwischen 2013 und 2016 nach Deutschland flüchteten, hatten 35 Prozent keine Schule besucht oder nur eine Grundschule abgeschlossen. Das Bildungsniveau von Geflüchteten sei besonders dann niedrig, schreiben die Autorinnen und Autoren der Studie, „wenn das Herkunftsland schon länger von Krieg und politischer Verfolgung betroffen ist“.

Doch selbst wenn das Ausbildungsniveau der Menschen hoch ist, wie nun bei den Geflüchteten aus der Ukraine, bleibt das Problem der Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Zu uneinheitlich, zu langwierig, zu unwägbar – so lautet bisher die einhellige Kritik an den Verfahren. Im Kern geht es um die Frage, ob der ausländische Abschluss gleichwertig mit dem heimischen ist – und das Ergebnis der Bewertung hängt oft genug von dem einen Beamten oder der anderen Beamtin ab.

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