




Es ist so eine Sache mit Momentaufnahmen, vor allem wenn sie ein so heikles Gebiet wie die soziale Gerechtigkeit betreffen. Im Oktober 2012, so meldete es die Bundesagentur für Arbeit (BA), erhielten etwa 83.000 Empfänger von Arbeitslosengeld I (ALG) auch noch Unterstützung der Jobcenter – also Hartz-IV-Leistungen. Das waren etwa 14 Prozent mehr als ein Jahr zuvor.
Das heißt erst einmal nichts anderes, als dass diese Jobsuchenden, die gerade erst arbeitslos geworden sind, aus ihren vormals eingezahlten Versicherungsbeiträgen Anspruch auf weniger Geld haben als Langzeitarbeitslose mit Hartz IV. Deshalb stockt der Staat auf. Wie kann das sein? Und ist das gerecht?
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Zunächst ein paar Daten zur Einordnung: Der Anteil der zusätzlich Hartz-Leistungen beziehenden ALG-I-Empfänger liegt bei rund 10 Prozent, und das durchaus konstant. Es handelt sich also nicht um ein Massenphänomen. Außerdem lag die Zahl der Aufstocker 2010 noch bei etwa 103.000. Das Problem war also auch in absoluten Zahlen schon größer, trotz der Steigerung des letzten Jahres.
Die guten sowie schlechten Seiten der Reformen
Das ändert jedoch nichts an den bisweilen paradoxen Effekten der Arbeitslosenversicherung. Wer weniger als 1.350 Euro brutto im Monat verdiente, bevor er arbeitslos wurde, hat in aller Regel weniger ALG-I-Anspruch als der durchschnittliche Hartz-IV-Bezieher; der kommt inklusive Miete und Heizung als Single auf eine Grundsicherung von rund 581 Euro.
Erregungsmaschinerie Hartz IV
Die guten und schlechten Seiten der politischen Reformen der letzten Jahre prallen hier direkt aufeinander. Es war ein erklärtes Ziel der Agenda-Gesetzgebung, den Arbeitsmarkt flexibler zu gestalten und gerade im Niedriglohnbereich zu öffnen. Auch das ist ein Grund für die im EU-Vergleich so gute wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands.
Es geht also um die Frage, welche Seite man betonen möchte. Präziser gesagt, welche politisch ausgeschlachtet werden soll: die sehr geringe Arbeitslosigkeit in Deutschland, wenn auch mit zum Teil kleinen Löhnen. Oder die Folgen dieser Arbeitsmarktpolitik, wenn der Job verloren geht. Zur Wahrheit gehört, dass einige der Aufstocker deshalb wenig verdient haben, weil sie Teilzeit arbeiteten – und das gänzlich freiwillig. Für die Gerechtigkeitsfrage ebenfalls relevant ist, ob diese Arbeitnehmer die einzigen Verdiener im Haushalt sind oder nicht. All das bedeutet unterm Strich weniger tatsächliches Erregungspotenzial.
Der deutsche Sozialstaat hat sich das Jobwunder auch über die Öffnung des Niedriglohnsektors erkauft. Bei den Aufstockern schlägt das Pendel nun ein Stück zurück. Damit kann man leben, solange die Arbeitslosigkeit die Ausnahme bleibt – und nicht die Arbeit. Und damit die Chance auf Teilhabe und Aufstieg gewahrt bleibt.