Arbeitsmarkt Kosten für die Eingliederungshilfe explodieren

Seite 5/5

Nachlassendes Engagement in Unternehmen

Ein Passant neben dem Logo der Konzernzentrale der Bayer AG Quelle: dapd

Doch mit dem technischen Fortschritt sind viele einfache Tätigkeiten verschwunden, mit den Kriegsversehrten ist zudem irgendwann in den Achtziger- oder Neunzigerjahren die Solidarität gestorben. Schon 1953 führte der Bund die „Ausgleichsabgabe“ ein, sie verpflichtete Unternehmen, mindestens sechs Prozent behinderte Menschen zu beschäftigen, später sank die Grenze auf fünf. Wer drunter bleibt, muss zahlen. So sollten die Unternehmen genötigt werden, das aufrechtzuerhalten, was sie lange freiwillig taten. Vergebens.

Nur 7 von 30 Dax-Konzernen erfüllen heute die vorgeschriebene Quote. Giganten wie Bayer, deren Beschäftigtenzahl die Einwohnerschaft einer Kleinstadt locker übertrifft, stellen weniger als eine Handvoll Schwerbehinderte im Jahr ein. Adidas gibt zwar viel Geld für das Sponsoring der Paralympics, die Olympischen Spiele für behinderte Menschen, aus, beschäftigt mit knapp 2,5 Prozent der Belegschaft zugleich aber so wenige Schwerbehinderte wie kaum ein anderer Konzern im Land.

Werkstätten als Lückenschließer

Die Lücke, die das nachlassende Engagement der Unternehmen gerissen hat, mussten die Werkstätten schließen. Im Laufe der Jahre ist ihre Zahl deshalb immer weiter gewachsen. Zwar wird es immer Menschen geben, die dauerhaft Hilfe brauchen. Doch es gibt auch die, die fähig wären, ins normale Leben zurückzufinden. Für sie ist die Behindertenwerkstatt ganz offensichtlich der falsche Ort.

Laumann fordert deshalb, mit der seit einigen Jahren von der Politik propagierten „Inklusion“ Behinderter endlich auch auf dem Arbeitsmarkt ernst zu machen. Bei der immer größeren Zahl von Grenzfällen, von nicht im klassischen Sinne geistig behinderten Menschen, die dennoch in der Werkstatt landen, sei „das menschliche Leid am größten“. Dafür jedoch müsse der Bund „mehr finanzielle Verantwortung übernehmen“, schließlich sei offensichtlich, wie überfordert viele Gemeinden bereits seien.

Arbeit wie in einem richtigen Unternehmen

Wie es gehen könnte, zeigt wiederum Abdulhady. Seit knapp einem Jahr arbeitet er in einem sogenannten Integrationsunternehmen, der Gewürzmanufaktur Fortkamp und Wiegers in Gelsenkirchen. „Er macht einen gewissenhaften und zuverlässigen Job“, sagt Lothar Puzicha. Der Betriebsleiter kennt den jungen Mann schon aus seiner Zeit in der Gelsenkirchener Werkstatt, wo Puzicha, 65, sich nach einer langen Unternehmerkarriere bis zum vergangenen Jahr um die Arbeitsmarktintegration kümmerte. Abdulhady sei geradezu aufgeblüht, seitdem er nicht mehr in der Werkstatt arbeitet. „Man merkt ihm an, dass er sich zum ersten Mal in seinem Leben selbst etwas zutraut.“ Einmal in der Woche übt Abdulhady inzwischen nach der Arbeit Lesen in der Volkshochschule, außerdem nimmt er Fahrstunden.

Das Integrationsunternehmen gehört zwar zu den Gelsenkirchener Werkstätten, hier hat jedoch nur die Hälfte der Beschäftigten eine Behinderung. Dafür bekommt das Unternehmen Zuschüsse, einen Teil des Lohns übernimmt der Landschaftsverband. Ansonsten muss es aber selbstständig am Markt bestehen. Für Abdulhady bedeutet das, dass sich arbeiten hier fast wie in einem richtigen Unternehmen anfühlt. Für den Landschaftsverband, dass er nur noch die Hälfte kostet. Das Modell ist zwar nur ein erster Schritt. Aber im Gegensatz zur Behindertenpolitik der vergangenen 30 Jahre geht er wenigsten in die richtige Richtung.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%