Arbeitsmarkt Unternehmer setzen auf Osteuropäer

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Fest im Sessel Quelle: Simon Koy für WirtschaftsWoche

An diesem Aprilmorgen ist er nach München gefahren, um Personalagenturen aus den Nachbarländern kennenzulernen. Am besten funktioniert das in der Kaffeepause eines Seminars, das der polnische Anwalt Tomasz Major veranstaltet. „Entsendung polnischen Personals nach Deutschland“, heißt es auf der Einladung.

Kaum jemand kennt sich im polnischen Arbeitsrecht besser aus als Major, für juristische Fachverlage hat er alle Gesetze ins Deutsche übersetzt. Seit zwölf Jahren berät er Unternehmen, die ihre Mitarbeiter ins Ausland schicken, seit 2005 gehört ihm die Kanzlei Brighton & Wood, die sich auf das Thema spezialisiert hat. Derzeit sind seine Kurse ziemlich überlaufen.

In Majors Seminare drängen sich süddeutsche Handwerksmeister, die nach polnischen Schlossern fahnden, brandenburgische Kleinunternehmer, die ein paar Euro bei den Löhnen herausquetschen wollen, Rechtsexperten großer Baukonzerne wie Bilfinger Berger und polnische Personalvermittler.

Legaler Wettbewerb

Die deutschen Teilnehmer erkennt man am dunklen Sakko, polnische am pragmatischen Strickpulli-Ensemble. Für beide ist die Materie so komplex wie tückisch. Denn der 1. Mai hat zwei rechtliche Dimensionen: Es gibt Unternehmer, die Mitarbeiter in Osteuropa suchen und diese nun ohne Arbeitserlaubnis direkt einstellen dürfen. Fertig, aus.

Es gibt aber auch Betriebe, die jetzt nach Osteuropa expandieren, um zu Hause bei Löhnen und Sozialabgaben zu sparen. Dazu muss man eine Niederlassung in Polen gründen und sein Personal von dort nach Deutschland entsenden. Wer nachweisen kann, dass er mindestens ein Viertel seines Umsatzes jenseits der Grenze erwirtschaftet, zahlt die Sozialabgaben für seine Mitarbeiter in Polen – und nicht an ihren Einsatzorten in Kiel oder Koblenz. Für jeden Beschäftigten kann ein Arbeitgeber auf diese Weise Hunderte Euro im Monat sparen. „Aus finanzieller Sicht ist die Entsendung immer interessant“, lautet Majors Botschaft.

Dieses Konstrukt war zwar auch bisher schon möglich, allerdings nicht in allen Branchen. Von Mai an dürfen etwa auch die Reinigungs- oder Zeitarbeitsunternehmen polnische Mitarbeiter über die Grenze schicken. Vor dieser Liberalisierung hatten die Gewerkschaften gewarnt. Major sieht darin nichts als Wettbewerb: „Solange die Staaten ihr Recht nicht vereinheitlichen, ist es völlig legal und betriebswirtschaftlich sinnvoll, die Unterschiede zu nutzen. So funktioniert Europa.“

Die polnischen Arbeitskräfte jedenfalls lassen sich nicht abschrecken. „Unsere Kandidaten strömen derzeit in Deutschkurse“, sagt Zeitarbeitsmanagerin Alicja Maszota-Gierko. Vor allem Schweißer und Elektriker könnten sich ein Leben jenseits der Oder vorstellen. Und inzwischen melden sich auch viele Polen, die vor Jahren nach Großbritannien oder in die Niederlande zogen, jetzt aber lieber in Deutschland leben wollen – nah der Heimat.

So gleicht sich Europa zumindest in einer Frage an: Sorgen um ihre Arbeitskräfte haben jetzt auch die polnischen Nachbarn. Im nächsten Jahr richtet das Land die Fußball-Europameisterschaft aus. Bis dahin müssen noch viele Straßen und Brücken gebaut werden. Und niemand würde bislang darauf wetten, dass die Betonprojekte pünktlich fertig werden.

Neulich erst bat ein großes Bauunternehmen Tomasz Major, bei der Suche nach Mitarbeitern zu helfen. Am Ende heuerte er 500 neue Straßenbauer an.

Er flog dafür bis nach Nepal.

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