Arbeitsmarkt Viele Jobs, wenige Gewinner

Hunderttausende neue Jobs, stabiles Wachstum, optimistische Mittelständler: Die Stimmung am deutschen Arbeitsmarkt ist gut. Doch der Aufschwung hilft vor allem den Hochqualifizierten – andere leiden.

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Quelle: dpa

Die Lage am deutschen Arbeitsmarkt ist so gut wie lange nicht mehr – allerdings profitieren davon nicht alle Arbeitnehmer in gleichem Maße. Das belegen mehrere Studien, die in den vergangenen Tagen erschienen sind. Laut einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) könnten in Deutschland bis zum Jahresende 500.000 neue Jobs entstehen. Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) prognostiziert sogar bis zu 760.000 neue Stellen.

Vom Boom am Arbeitsmarkt profitieren aber vor allem die Hochqualifizierten, wie aus dem Beschäftigungsausblick 2017 der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervorgeht. Arbeitsplätze für Menschen mit mittlerer Qualifikation sind dagegen von der Automatisierung bedroht.

In Deutschland ist der Anteil der Arbeitsplätze für Menschen mit mittlerer Qualifikation demnach zwischen 1995 und 2015 um 8,1 Prozent gefallen, während der Anteil der Hochqualifizierten um 4,7 Prozent stieg. Im Vergleich zu anderen OECD-Ländern findet diese Entwicklung in Deutschland relativ langsam statt. In Österreich sank der Anteil der Jobs für Mittelqualifizierte im gleichen Zeitraum um 16,8 Prozent.

Der Ökonom und Arbeitsmarktexperte Enzo Weber vom IAB beobachtet diese Entwicklung seit langem. „Die Polarisierung am Arbeitsmarkt ist kein neues Phänomen“, sagt er. Der Grund dafür liege vor allem in der Computerisierung. Die bedrohe in vielen Fällen keine körperliche Arbeit oder Helferjobs, sondern eher Routinejobs wie den des Buchhalters. „Dadurch nimmt der Anteil der Mittelqualifizierten am Arbeitsmarkt ab.“

Während Weber diese Polarisierung in vielen Ländern lehrbuchmäßig beobachten kann, finde sie in Deutschland aber nach einem anderen Muster statt. „Durch das duale Ausbildungssystem hat Deutschland seine Stärken bislang gerade bei den Mittelqualifizierten“, sagt Weber. Die OECD-Zahlen erklärt er durch die Entwicklung nach der Wiedervereinigung. Zudem könne es künftig für Meister, Techniker oder Pfleger zu wenige Lehrlinge geben. „Dadurch sinkt der Anteil dieser Jobs – obwohl es innerhalb der Berufe kaum Arbeitslosigkeit gibt.“

In der Zukunft könnte allerdings auch dieser Bereich von der Automatisierung betroffen sein. „Wenn die Digitalisierung voll durchschlägt, wird es in Deutschland auch im mittleren Bereich erhebliche Veränderungen geben“, prognostiziert Weber. In einer Studie hat er ausgerechnet, dass bis 2025 in Deutschland durch die Digitalisierung 770.000 Arbeitsplätze für Mittelqualifizierte verloren gehen könnten. Nach den Ergebnissen der Studie würde dieser Verlust aber durch einen gleichwertigen Zuwachs bei den komplexen Tätigkeiten ausgeglichen.

Aktuell sieht Weber das größte Problem am deutschen Arbeitsmarkt bei den Niedrigqualifizierten. „Da ist keine deutliche Verbesserung in Sicht“, sagt er. Damit sei der deutsche Arbeitsmarkt weniger durch Polarisierung als durch Höherqualifizierung charakterisiert.

Der Arbeitsmarktexperte Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin hat ähnliche Beobachtungen gemacht. „In Deutschland bauen wir überall Jobs auf – nur nicht bei den Geringqualifizierten.“ In den vergangenen sechs Jahren sei der Arbeitsmarkt für Geringqualifizierte daher immer schwieriger geworden. „Da bewerben sich heute schon Dutzende Menschen auf eine Arbeitsstelle – und das wird nicht besser werden“, sagt Brenke.

Die OECD hält noch zwei weitere Dinge am deutschen Arbeitsmarkt für verbesserungswürdig. "Zwei Schwächen der Entwicklung in Deutschland sind der höhere Anteil von Arbeitsplätzen mit starkem arbeitsbedingtem Stress und eine große Lohndifferenz zwischen den Geschlechtern", erklärte sie.

Insgesamt fällt das OECD-Urteil aber positiv aus. Bis Ende 2018 werde die nach internationalen Standards berechnete Arbeitslosenquote in Deutschland auf 3,7 Prozent sinken. Das sei weniger als die Hälfte des Niveaus von 2007.

Jobchancen für Arbeitslose: So stehen die Chancen in den einzelnen Bundesländern

Mit Material von dpa und Reuters.

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