Arbeitsmarkt Warum 90 Prozent der Firmen keine Flüchtlinge einstellen

Als die Flüchtlinge kamen, war der Optimismus der deutschen Wirtschaft groß. Eine Umfrage der WirtschaftsWoche zeigt nun, dass neun von zehn Konzernen und Firmen keine Flüchtlinge einstellen. Was sich ändern muss, damit aus Zuwanderern Arbeitskräfte werden.

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Integration auf dem Arbeitsmarkt. Quelle: dpa Picture-Alliance

Abdella Hussein und Daniel Yasser Mohibi sind auf ihrem Weg aus Eritrea und Afghanistan dort gelandet, wo Schafferei und Tüftlergeist noch etwas gelten. Die beiden 25 Jahre alten Männer stehen im Stuttgarter Stammwerk des Autozulieferers Mahle, sie feilen und bohren im dunkelblauen Firmenshirt mit dem Mahle-Aufdruck.
Derzeit arbeiten sie als Praktikanten, im Frühsommer soll sich entscheiden, ob sie als Lehrlinge beim Mittelständler mit weltweit 75 000 Mitarbeitern anfangen können. Man könnte auch sagen: ob sie wirklich ankommen und nicht nur gelandet sind.

An der Motivation der beiden wird es nicht scheitern. Ihr Deutsch ist manchmal noch holprig, in der Berufsschule können sie nicht mithalten. Aber ihr Ausbilder Hans Jikeli, der fünf Flüchtlinge neben den jüngeren deutschen Lehrlingen anleitet, ist voll des Lobes: „Sie sind hoch motiviert. Ich muss sie manchmal zwingen, Pause zu machen oder nach Hause zu gehen.“ Der Afghane Mohibi sieht seine Chance gekommen: „Ich habe fast zwei Jahre auf einen Deutschkurs gewartet und mich um Kontakt zu einer Firma gekümmert.“ Nun will er endlich beweisen, was er kann.

Mohibi klingt fast neun Monate nach dem berühmten „Wir schaffen das“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel weiter so optimistisch wie damals Deutschlands führende Wirtschaftsbosse. Dax-Vorstände zeigten sich als Verfechter der „Willkommenskultur“, manche beschworen einen regelrechten Boom durch die Flüchtlinge herauf. Daimler-Chef Dieter Zetsche schwärmte von einer „Grundlage für das nächste deutsche Wirtschaftswunder“, Post-Chef Frank Appel erkannte „Mehrwert für unser Land“. Die Wirtschaft ließ keinen Zweifel daran, dass sie das schaffen kann.

Was Flüchtlinge dürfen

2015 kamen mehr als eine Million Menschen nach Deutschland, viele werden dieses Jahr Arbeit suchen. Doch die Euphorie der Wirtschaft ist längst verflogen, und das Engagement vieler Dax-Unternehmen bleibt höchst bescheiden, wie Anfragen der WirtschaftsWoche bei den 30 größten Konzernen ergeben. Der Siemens-Konzern will 2016 zumindest Praktika für 166 Flüchtlinge anbieten. Softwareriese SAP erklärt, 64 Praktikanten und zwölf Azubis anzuheuern. Autogigant Daimler gewährt 300 Asylbewerbern ein Praktikum und 50 zusätzliche Lehrstellen. Chemieriese BASF hat 53 sogenannte „Förderplätze“ vergeben. Andere Konzerne mochten sich auf Nachfrage nicht zu Flüchtlingen als Beschäftigte äußern.

Überreguliertes Deutschland

Große Ankündigungen, kleine Schritte – das ist die ernüchternde Bilanz, wie auch eine von der WirtschaftsWoche in Auftrag gegebene Umfrage des Münchner ifo Instituts unter knapp 500 Firmen aus Industrie, Bau, Handel und Dienstleistung ergab. Knapp 90 Prozent von ihnen haben noch keine Flüchtlinge eingestellt. Besonders Industrieunternehmen entscheiden sich bestenfalls für Hilfskräfte.

Rainer Dulger, Chef des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, klingt entsprechend verhalten. Geflüchtete seien „bestenfalls die Fachkräfte von übermorgen“, sagt er. Die Probleme des alternden Deutschlands, das vor allem Fachkräfte benötige, könnten sie schon mangels Qualifikation nicht lösen. Schlimmer noch: Zahlreichen Flüchtlingen bleibe schwer zu vermitteln, dass eine Ausbildung mehr lohne als ein Hilfsarbeiterjob.

Manche Eingliederungsprobleme sind in Deutschland zudem hausgemacht. Mahle-Ausbildungsleiter Martin Thum sagt: „Deutschland ist überreguliert. Wir sind hilflos, wenn einer nicht in die Schublade passt.“ Wer zum Beispiel am Ende einer Ausbildung bei der Gesellenprüfung durchfalle, bleibe ganz ohne Abschluss. Thums Alternativvorschlag: „Es wäre sinnvoll, die Ausbildung in kleinere Schritte zu unterteilen.“ Wer einzelne Abschnitte bestehe, solle mehr Zeit für den Rest bekommen.

Die zweite Erkenntnis Thums lautet: „Wir müssen diese Menschen sehr intensiv betreuen.“ Der Alltag in Deutschland und im Betrieb ist ihnen fremd. Bei Mahle verletzte sich ein Flüchtling in der Werkstatt, er war nicht gegen Tetanus geimpft. Also brachten die Mahle-Leute gleich alle Flüchtlinge in der Werkstatt zum Impfen. In der Kantine bezahlte ein junger Mann vor Kurzem nicht, was er auf den Teller lud. Es war keine böse Absicht, nur Unkenntnis. Im Flüchtlingsheim ist das Essen schließlich umsonst.

Thum weiß um die Mühen der Integration – dabei landen bei ihm ohnehin die Motiviertesten und Lernbegierigen. „Sechs bis sieben Jahre dauert es von der Ankunft in Deutschland, bis jemand im Beruf ankommt“, schätzt er.

Reicht dafür die Geduld der Flüchtlinge? Schon jetzt bricht eine alarmierend hohe Zahl von ihnen die oft schwer erkämpfte Lehre ab, hat die Handwerkskammer München festgestellt. Von jenen Neuankömmlingen, die im Herbst 2013 eine Ausbildung begannen, hätten 70 Prozent aufgegeben. Viele scheiterten am fremden Alltag, ein wichtiger Grund ist aber auch der geringe Lehrlingslohn. Der schreckt junge Menschen ab, die eine Familie versorgen müssen. Gelegenheitsjobs zum Mindestlohn wirken dann häufig attraktiver.

In Stuttgart arbeitet deshalb Mahle mit ehrenamtlichen Helfern und der örtlichen Industrie- und Handelskammer (IHK) zusammen. Die IHK betreibt die Beratungsstelle KAUSA, ursprünglich um Einwandererkindern bessere Ausbildungschancen zu geben. Beratungsleiter Muhammet Karatas bemüht sich nun bei der neuen Kundschaft, Erwartungen zu zügeln. „Ich kann nicht jedem zum Traumjob verhelfen“, sagt er offen. Zugleich hält Karatas wenig von einer zu ausgeprägten Vorzugsbehandlung: „Es kann nicht sein, dass Flüchtlinge ohne schriftliche Prüfung bestehen. Dann fühlen sich andere benachteiligt.“

Die Allerwenigsten finden gleich einen Job

Deutschlands oberster Integrationsbeauftragter Frank-Jürgen Weise weiß, wie knifflig Integration ist. Der Doppel-Chef des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und der Bundesagentur für Arbeit vermeidet daher übertriebenen Optimismus. Zwar wird Weise nicht müde zu betonen, ein Drittel der Neuankömmlinge sei zwischen 18 und 25 Jahre alt – der ideale Zeitpunkt für eine Ausbildung. Dafür Geld in die Hand zu nehmen bleibe „die beste Investition“, sagt Weise. Doch nur jeder zehnte erwachsene Flüchtling könne wohl schnell in den Arbeitsmarkt integriert werden, sagt der Amtschef, einem Drittel dürfte das mit Hilfe in den ersten fünf Jahren gelingen.

Helmut Peter will beweisen, dass das möglich ist. Ihm gehören 15 Autohäuser in Thüringen und Niedersachsen, 700 Mitarbeiter hören auf ihn, darunter 120 Azubis. Peter ist ein zupackender Typ, er sagt: „Wenn alle nur warten, dass die anderen etwas tun, dann wird es nie etwas.“ Und als er im Oktober vorigen Jahres Kanzleramtschef Peter Altmaier bei einer Veranstaltung erlebte, in der es um Flüchtlingspolitik ging, mochte Peter nicht länger warten. Er ging nach dessen Rede auf den mächtigen Besucher aus Berlin zu und sagte ihm: „Gib mir Flüchtlinge – und ich probiere es.“

Seit Jahresbeginn hat Peter also 14 Flüchtlinge nach Nordhausen an den Stammsitz seines Unternehmens geholt, fünf Iraker, vier Syrer, fünf Männer aus Eritrea, einer von ihnen ist Biniam Teklay. Der 27 Jahre alte Mann fand den Weg aus einer Sammelunterkunft in Suhl in Peters Kfz-Werkstatt. Hier lernt der Praktikant nun, wie man Motorenöl tauscht und Reifen wechselt. Genau wie seine Kollegen erhält Teklay besondere Unterstützung der Arbeitsagentur, um später in einer Ausbildung klarzukommen.

Allerdings ist der zupackende Unternehmer Peter eher die Ausnahme, wie die Umfrage des ifo Instituts belegt. Knapp 90 Prozent der befragten Firmen haben eben noch keine Erfahrung mit Flüchtlingen. Mehr als die Hälfte der Betriebe, die sich Flüchtlingen öffnen, gewähren zunächst ein Praktikum. 40 Prozent stellen Hilfskräfte ein. 18 Prozent der Dienstleistungsunternehmen haben Flüchtlinge als Angestellte gewonnen, in der Gesamtwirtschaft trifft dies auf zwölf Prozent zu. Ihre Erwartungen an die Neuen sehen Arbeitgeber in der Industrie und auf dem Bau zu einem Drittel nicht erfüllt. Besser sind die Erfahrungen im Handel und bei Dienstleistern, die zu knapp zehn Prozent enttäuscht, häufiger aber positiv überrascht wurden.

Fehlende Deutschkenntnisse und mangelnde Qualifizierung

Hürden sehen die befragten Unternehmer vor allem durch zu viel Bürokratie und die Politik. Knapp ein Drittel beurteilt Vorschriften als hinderlich bei der Integration. Auch der Mindestlohn verhindere passende Jobs, sagen 37 Prozent am Bau und 16 Prozent aller Befragten. Am schwierigsten sei aber, dass viele Flüchtlinge kaum Deutsch könnten (76 Prozent) und eher schlecht ausgebildet seien (49 Prozent).

Autohausbesitzer Peter will dennoch versuchen, Chancen zu eröffnen. Sein Praktikant Teklay ist davon angetan: „Es gefällt mir sehr gut hier“, sagt er. „Keine Arbeit, das war Stress.“ Doch viel Zeit zur Eingewöhnung in der Werkstatt bleibt ihm nicht. Das Ausbildungsjahr beginnt zum 1. August. Schaffen Peters Flüchtlinge dann nicht den Einstieg, ist ihre Zukunft Ende des Jahres wieder ungewiss, denn ihre Einstiegsqualifizierung dauert höchstens zwölf Monate.

„Wenn sie nur wollen, schaffen sie das“, sagt Peter und berichtet, wie ein Flüchtling im lokalen Fußballverein kickt und ein anderer mit eingegipstem Bein zur Arbeit kam.

Danach erzählt Peter seine Lebensgeschichte, es ist selbst eine Art Flüchtlingsgeschichte: Mit 32 Jahren, als die Mauer fiel, musste der junge Ostdeutsche ein neues Land für sich ganz neu entdecken, es hieß BRD. Alles war fremd. „Natürlich konnte ich Deutsch, aber sonst hatte ich nur meinen Ehrgeiz.“ Warum sollten ihm nun Teklay und andere seine Erfolgsgeschichte nicht nachmachen, fragt Peter. „Als ich die Flüchtlinge einstellte, haben viele gesagt, die laufen dir bald eh weg.“ Bislang ist aber noch niemand weggelaufen.

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