Die Arbeitswelt ist im Umbruch: Unternehmen suchen händeringend Arbeitskräfte, Langzeitarbeitslose finden dennoch keinen Job, parallel dazu werden Modelle wie die 4-Tage-Woche diskutiert und Künstliche Intelligenz nimmt immer mehr Einfluss auf die Art und Weise, wie wir arbeiten. Welche Folgen hat das auf den Arbeitsmarkt? Und was kommt da noch auf uns zu? Zum Tag der Arbeit hat die WirtschaftsWoche Ökonominnen und Ökonomen gefragt, wie sie auf den Arbeitsmarkt blicken, wie sie glauben, dass er sich entwickelt, wo Veränderungen notwendig sind und welche Probleme dringend angepackt werden müssen.
Arbeitskräftemangel als Herausforderung
In Deutschland gibt es knapp zwei Millionen offene Stellen – ein Allzeithoch. Fachkräfte, um sie zu besetzen, fehlen. Dieses Problem kennt auch Enzo Weber, Professor für empirische Wirtschaftsforschung an der Universität Regensburg und Bereichsleiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Er sagt: „Wir finden keine Leute mehr“ sei derzeit der meistgehörte Satz.
Holger Schäfer, Senior Economist für Beschäftigung und Arbeitslosigkeit am Institut der deutschen Wirtschaft (IW), meint, dass die Bewältigung des demografisch bedingten Arbeitskräftemangels „die zentrale Herausforderung“ in den kommenden Jahren sei. Inländisches Potenzial zu aktivieren, dafür sei es aber zu spät. Maßnahmen würden entweder nur in der langen Frist wirken oder könnten nicht kurzfristig umgesetzt werden. So werde die „Rente mit 67“, die vom Beschluss 2007 bis zur endgültigen Umsetzung 20 Jahre gebraucht haben. „Die Verrentung der Babyboomer wird aber schon um das Jahr 2030 ihren Höhepunkt erreichen.“
Fachkräftezuwanderung vorantreiben
Welche Auswirkungen hat aber der Arbeitskräftemangel und wie bekommt man ihn gelöst? Schäfer sagt: „Das Wachstumspotenzial und der Wohlstand Deutschlands werden in starkem Maße davon abhängen, inwieweit es uns gelingt, Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen.“ Enzo Weber wünsche sich, dass diese Herausforderung genutzt wird, „um Potenziale zu heben und Arbeitsbedingungen zu verbessern“. Dazu gehöre, Zugewanderten eine Perspektive zu geben, die berufliche Entwicklung von Frauen zu stärken, produktiv bis zur Rente zu arbeiten und Langzeitarbeitslosigkeit zu senken.
Veränderung durch Digitalisierung und KI
Künstliche Intelligenz wie ChatGPT hat das Potenzial, großen Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen. Melanie Arntz, stellvertretende Leiterin des Forschungsbereichs „Arbeitsmärkte und Sozialversicherungen“ am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und Leibniz-Professorin für Arbeitsmarktökonomie an der Universität Heidelberg, geht davon aus, dass sich folglich auch der Arbeitsmarkt der Zukunft durch die digitale und ökologische Transformation „spürbar verändern“ werde.
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Dadurch verschiebe sich die Beschäftigung hin zu Branchen, die in dieser doppelten Transformation zunehmend gefragt sind. Gleichzeitig wandeln sich auch die fachlichen und überfachlichen Anforderungen am Arbeitsplatz. „Der technologische Durchbruch im Bereich der KI wird in den nächsten Jahren beispielsweise viele Berufsbilder grundlegend verändern, die einen hohen Anteil analytischer Tätigkeiten ausführen“, prophezeit Arntz.
Die Generationen auf dem Arbeitsmarkt
Die Baby-Boomer (1946 – 1964) sind die älteste Generation auf dem Arbeitsmarkt. Diese Jahrgänge verzeichneten die höchste Geburtenrate, daher rührt auch der Name.
Die Jahrgänge der Generation X (1965 – 1979) haben einiges miterlebt: Wirtschaftskrisen, Techniksprünge, Arbeitslosigkeit, Umweltkatastrophen. Sie gilt als eine, die vor allem Wert auf ein gutes Einkommen und einen sicheren Arbeitsplatz legt.
Die Generation Y, auch Millennials genannt, wurde zwischen 1980 und 1995 geboren. Sie sind die erste Jahrgangskohorte, die als Digital Natives gelten.
Sie treten seit einigen Jahren in den Arbeitsmarkt ein: Die Generation Z, geboren von 1996 bis 2010. Sie sind von klein auf mit dem Internet aufgewachsen, digitale Medien haben ihr Leben von Beginn an geprägt.
Arbeitslosigkeit verliert an Bedeutung
Trotz der vielen offenen Stellen gibt es in Deutschland rund 2,6 Millionen Arbeitslose, eine Quote von 5,7 Prozent. Das gesellschaftliche Problem, das es einmal war, werde Arbeitslosigkeit aber „auf absehbare Zeit“ nicht mehr darstellen, prophezeit IW-Ökonom Holger Schäfer. „Das heißt auch, dass sich die Menschen in Deutschland beruflich weitestgehend frei entfalten können.“ Eine besonders gute Nachricht sei das für junge Menschen, die beruflich etwas bewegen wollen.
Inklusiven und durchlässigen Arbeitsmarkt schaffen
„Weiterbildung und (Neu-)Qualifizierung müssen ein integraler Bestandteil des Arbeitsmarktes werden, der keine Personengruppe außen vorlässt“, wünscht sich ZEW-Ökonomin Melanie Arntz. Man müsse weg von zu eng definierten Karrierewegen und hin zu einer größeren Flexibilität zwischen Berufen auch im mittleren und fortgeschrittenen Erwerbsalter.
Gleichzeitig fordert Arntz, dass es in Zukunft noch wichtiger werde, Arbeit inklusiv zu gestaltet. „Durch mehr lebensphasen- und diversitätsorientiertes Personalmanagement können auch Menschen für den Arbeitsmarkt gewonnen werden, die bisher eine geringe Erwerbsneigung aufweisen.“
Gute Arbeitsbedingungen sollten zudem dafür sorgen, dass Beschäftigungsfähigkeit erhalten bleibt und die Erwerbsbeteiligung älterer Beschäftigter weiter steigt. „Dazu ist eine Gestaltung von Arbeit gefragt, die mehr als bisher auf individuelle Bedürfnisse eingeht.“
Flexibilität und Chancenoffenheit fördern
Gibt es für offene Stellen zu wenig Arbeitskräfte, verändert sich auch das Machtverhältnis auf dem Arbeitsmarkt. „Wünschenswert wäre, wenn auch die Politik diese Veränderungen stärker zur Kenntnis nähme“, fordert IW-Ökonom Holger Schäfer. Denn der Arbeitsmarkt sei vom Gedanken geprägt, machtlose Arbeitnehmer zu schützen. Dieser Schutz gehe aber mitunter auf Kosten von Effizienz und Innovation. „In einem Arbeitsmarkt, in dem Arbeitnehmer selbstbewusst und machtvoll für ihre Interessen eintreten können, wäre auch das Verhältnis von Sicherheit für Arbeitnehmer versus Flexibilität und Chancenoffenheit neu zu justieren“, kommentiert Schäfer.
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