IZA-Vorstand Schneider widerspricht: „Mindestlöhne erweisen jenen Beschäftigten einen Bärendienst, denen sie eigentlich dienen sollen.“ Der Ökonom verweist auf die Geringverdiener: „Schließlich sind das genau die Menschen, die früher gar keine Arbeit hatten.“
Die Politik ist längst dabei, Teile der Reform zurückzudrehen. Was noch vor zehn Jahren als Chance galt, wertet die Öffentlichkeit heute als „prekäre Beschäftigungsform“. Ausgerechnet in der Regierungszeit von Konservativen und Liberalen gibt es einen neuen Regulierungsrekord: Mindestlöhne herrschen inzwischen in elf Branchen. Bundeskanzlerin Angela Merkel ist daran gelegen, weil sie der SPD damit ein Thema für den Bundestagswahlkampf stiehlt. Ihre Bundesarbeitsministerin sagt, dass in den vergangenen Jahren die Tarifbindung abgenommen habe. „Deswegen benötigen wir unter anderem eine verbindliche Lohnuntergrenze, die auch in tariffreien Zonen Ausreißer nach unten verhindert.“
Leitplanken für die Zeitarbeit
Vor allem die Boombranche Zeitarbeit, die inzwischen mehr als 900.000 Menschen beschäftigt, könnte bald vor einem Problem stehen. Ursula von der Leyen will die Unternehmen dazu verdonnern, die Leiharbeiter künftig so wie Stammbeschäftigte zu bezahlen. Experten nennen das „equal pay“. Um einer gesetzlichen Vorschrift zu entgehen, handelt die Branche nun eigene Tarifverträge für die gleiche Bezahlung von Stammbelegschaft und Leiharbeitern aus. „Auch die Zeitarbeit hat viele in Arbeit gebracht, die vorher kaum Chancen auf einen sozialversicherungspflichtigen Job hatten“, räumt von der Leyen ein. Es gebe aber „notwendige Leitplanken, um Auswüchse zu verhindern, die die Planer der Reform nicht vorausgesehen hatten.“
Michael Pottel schweigt lange auf die Frage, ob er sich jemals prekär beschäftigt gefühlt hat. Ihm war selten in den Sinn gekommen, dass man seinen alten Job in der Zeitarbeit auch kritisch sehen könnte. Immerhin war es ein Job und dazu noch einer „auf fairem Niveau“. Und ohne diesen Job hätte er heute vermutlich keinen unbefristeten Vertrag bei seinem neuen Arbeitgeber.
Für Pottel war vor allem eines wichtig: „Ich möchte nie wieder als Arbeitsloser in diesem Seminarraum sitzen und Hartz-IV-Anträge ausfüllen.“ Das, sagt er, sei der schwärzeste Tag seines Lebens gewesen.