WirtschaftsWoche: Herr Weber, Sie erwarten in Ihrem neuen Konjunktur– und Arbeitsmarktbericht für 2015 ein BIP-Wachstum von 1,4 Prozent und einen Zuwachs bei den Erwerbstätigen um 270.000 Personen. Für nächstes Jahr prognostizieren Sie allerdings eine Stagnation bei der Arbeitslosigkeit. Wie kann das sein?
Enzo Weber: Dieses scheinbare Paradox ist nichts Neues. Seit Jahren lässt sich dieser Trend steigender Beschäftigung und stagnierender Arbeitslosigkeit beobachten. Der Widerspruch lässt sich aber erklären.
Und wie?
Die Beschäftigungszuwächse sind in Deutschland nicht mehr so eng an die Konjunktur gebunden. Die Konjunkturentwicklung war in den letzten Jahren schließlich auch eher schwach und trotzdem ist die Beschäftigung gestiegen. Damit geht einher, dass sich kein großer Einstellungsboom beobachten lässt. Vielmehr gibt es einfach weniger Entlassungen. Unternehmen möchten qualifizierte Leute halten. Ein weiterer Punkt betrifft die Teilnehmer an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Menschen, die zum Beispiel Weiterbildungsmaßnahmen absolvieren, gelten nicht als arbeitslos. Die Teilnehmerzahl ist aber über Jahre gesunken. In der Summe war die Entwicklung also besser, als der Blick allein auf die Arbeitslosigkeit suggeriert.
Über Prof. Enzo Weber
Prof. Enzo Weber (33) leitet den Forschungsbereich "Prognosen und Strukturanalysen" des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit. Zugleich ist er Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Wirtschaftsforschung, insbesondere Makroökonometrie und Arbeitsmarkt, an der Universität Regensburg.
Glaubt man dem OECD-Beschäftigungsausblick, dann versagt Deutschland vor allem bei der Lösung von Langzeitarbeitslosigkeit. Woran liegt das?
Es gibt in Deutschland strukturelle Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Viele Arbeitslose haben keine abgeschlossene Ausbildung oder Schulbildung. Überdies gibt es Passungsprobleme: Arbeitslose passen mit ihrer Qualifikation oft nicht zu dem, was Arbeitgeber suchen. Geringqualifizierte etwa werden immer weniger gesucht. Aber man darf die OECD-Zahlen auch nicht überbewerten.
Wieso nicht?
Die internationale Vergleichbarkeit ist eingeschränkt. Zum Beispiel gelten Menschen, die in Deutschland als arbeitsfähig eingestuft werden, in anderen Ländern nicht mehr als arbeitsfähig - und damit auch nicht als arbeitslos. Obwohl die Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland hoch ist, sind die Länderunterschiede nicht so groß wie es die OECD-Zahlen suggerieren.
Woher kommen die vielen neuen Erwerbstätigen? Aus der stillen Reserve – wie Hausfrauen, Rentner, Studenten – oder aus dem Ausland?
Es gibt zwar eine steigende Erwerbsbeteiligung vor allem von Frauen und Älteren, aber der Großteil des Zuwachses kommt aus dem Ausland. 2015 erwarten wir eine Nettozuwanderung von 450.000 Personen. Wenn man den gegenläufigen Trend der demografischen Entwicklung einbezieht, lässt sich immer noch eine Zunahme des Erwerbspersonenpotenzials um 120.000 Personen prognostizieren. Das bedeutet einen nie dagewesenen Wert des Erwerbspersonenpotenzials in Deutschland von 45,87 Millionen Personen.
Die Arbeitslosigkeit in einigen OECD-Ländern
Insgesamt sind 45 Millionen Menschen im OECD-Raum derzeit ohne Arbeit – sieben Millionen mehr als noch 2007.
Die durchschnittliche Arbeitslosenrate liegt bei 7,4 Prozent. Bis Ende 2015 soll sie auf 7,1 Prozent sinken.
Griechenland hat immer noch die höchste Arbeitslosenquote im OECD-Raum. Sie beträgt 26,8 Prozent.
In Spanien wird die Arbeitslosenquote in absehbarer Zeit über zehn Prozent liegen. Derzeit beträgt sie 25,1 Prozent. Damit hat Spanien die zweithöchste Quote aller OECD-Länder. Die Löhne sind seit 2009 jährlich um zwei bis fünf Prozent gesunken.
In Portugal sind 14,3 Prozent der Erwerbstätigen ohne Arbeit.
In Italien ist die Arbeitslosenquote seit Krisenbeginn um über drei Prozent gestiegen, sodass sie derzeit bei 12,6 Prozent liegt.
Die Arbeitslosenquote in Irland liegt bei zwölf Prozent. Bis Ende 2015 fällt sie laut OECD-Ausblick auf unter zehn Prozent.
Frankreichs Arbeitslosenquote liegt bei über 10,1 Prozent. Bis 2015 könnte sie auf 9,8 Prozent fallen.
Die Arbeitslosenquote liegt in Deutschland derzeit bei 5,1 Prozent. Ende 2015 dürfte sie auf unter fünf Prozent fallen. Das entspricht der Hälfte des Euroraumdurchschnitts – der liegt derzeit bei 11,6 Prozent.
In den USA ist die Arbeitslosenquote 2014 auf 6,1 Prozent gefallen. Das sind 3,9 Prozentpunkte weniger als am Höhepunkt der Krise.
In Japan liegt die Arbeitslosenquote bei 3,5 Prozent.
Trotzdem beklagen viele Unternehmen hierzulande einen steigenden Fachkräftemangel. Wie kann das sein?
Einen flächendeckenden Fachkräftemangel sehen wir nicht. In bestimmten Berufsgruppen und Regionen beobachten wir aber durchaus Engpässe. Zum Beispiel ist Baden-Württemberg stärker betroffen oder es fehlen in Bereichen wie der Elektrotechnik und der Gesundheitsbranche qualifizierte Menschen. Engpässe gibt es, aber es ist ein sektoren- und regionenspezifisches Problem. Und auch gerade weil sich Unternehmen Sorgen um einen Fachkräftemangel machen, sichern sie sich qualifizierte Arbeitnehmer. Die Knappheit von Arbeitskräften führt dazu, dass Unternehmen auch dann Beschäftigung aufbauen, wenn die aktuelle Konjunkturlage es eigentlich nicht zwingend erfordert. Das Phänomen lässt sich seit Jahren beobachten.
Haben wir bei den Zuziehenden ein hohes Qualifikationsniveau? Das könnte ja Sorgen gegenüber Fachkräftemangel zumindest lindern.
Das Qualifikationsniveau der Zuwanderung hat sich in Deutschland deutlich verbessert. So sind unter den Zuwanderern mehr Hochschulabsolventen als unter den in Deutschland Beschäftigten. Gerade bei Engpässen ist das für die deutsche Wirtschaft sehr wertvoll. Allerdings dürfte es schwer werden, die hohen Zuwanderungszahlen zu halten.
In Ihrer Studie haben Sie auch herausgefunden, dass die Anzahl der Personen, die einer Nebenbeschäftigung nachgehen, weiter zunimmt und ihr Anteil an den Beschäftigten bei 7,2 Prozent liegt. Ist dies dadurch zu erklären, dass ein Job bei vielen Menschen nicht mehr zum Lebensunterhalt reicht?
Das kann ein Grund sein. In der Regel sind aber die Nebenjobber gut qualifiziert und verdienen im ersten Job auch gut. Diese gut Qualifizierten nehmen dann einen Nebenjob als nettes Zubrot an. Sicherlich gibt es auch Beschäftigte, die aus wirtschaftlichen Gründen einen Nebenjob annehmen müssen. Aber die Mehrheit bei den Nebenjobbern ist das nicht.