Arbeitszeit Wackelt die 35-Stunden-Woche?

Die IG Metall wertet gerade ihre Beschäftigtenbefragung aus, mit der sie für flexiblere Arbeitszeiten werben will. Nun kommen die Arbeitgeber mit einer eigenen Umfrage zuvor. Sie zielen auf das starre Arbeitszeitgesetz.

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Der Kunde bestimmt, wann wie viel gearbeitet wird. Quelle: dpa

Berlin Die IG Metall sammelt bereits Munition. Wie schon vor vier Jahren hat die Gewerkschaft wenige Monate vor der Bundestagswahl eine große Beschäftigtenbefragung gestartet. Sie will wissen, was die Mitarbeiter in der Metall- und Elektroindustrie bewegt und wie sie künftig arbeiten wollen. Derzeit läuft die Auswertung, im April kommen die Ergebnisse. Sie werden – so viel steht heute schon fest – die Kampagne „Mein Leben, meine Zeit“ untermauern, mit der die IG Metall für mehr Entscheidungsspielraum der Beschäftigten bei Lage und Dauer der Arbeitszeit trommelt.

Das Thema ist nicht nur bei Gewerkschaftern populär. Arbeitsministerin Andrea Nahles fordert schon seit längerem einen „neuen Flexibilitätskompromiss“ ein, der den Wunsch der Beschäftigten nach größerer Zeitsouveränität mit den Erfordernissen der Betriebe in Einklang bringt. Familienministerin Manuela Schwesig wirbt weiter für ihr Modell einer Familienarbeitszeit, bei der sich Mütter und Väter mit finanzieller Unterstützung vom Staat Beruf und Kindererziehung gleichberechtigt aufteilen.

Und SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz verlangt, dass die Früchte der Digitalisierung auch den Angestellten zugutekommen müssten, etwa durch kürzere Arbeitszeiten. Die IG Metall ist überzeugt, der Politik mit ihrer Befragung überzeugende Argumente für flexiblere Arbeitszeiten liefern zu können. Schließlich seien auch der Mindestlohn oder die Rente mit 63 erst durch den Druck der Beschäftigten Gesetz geworden, schreibt sie in der „Gebrauchsanweisung“ zur Beschäftigtenbefragung.

Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall will der Gewerkschaft aber nicht allein das Feld überlassen und hat beim Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW) und Emnid selbst eine Befragung unter Unternehmern und Beschäftigten zum Thema Arbeitszeit in Auftrag gegeben. Wenig überraschendes Ergebnis: „Die Situation ist rundweg gut“, sagt Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger.

So könnten 93 Prozent der Arbeitnehmer ihre tägliche Arbeitszeit kurzfristig an persönliche Bedürfnisse anpassen – etwa wenn die Kita mal früher schließt. Sieben von zehn Befragten sind zwar für das Unternehmen auch nach Feierabend erreichbar, aber nur bei zwei Prozent der Arbeitnehmer legt der Chef Wert auf permanente Erreichbarkeit. Nur drei Prozent der Beschäftigten werden von ihren Vorgesetzten mehrmals pro Woche auch außerhalb der üblichen Arbeitszeit kontaktiert. Bei der Frage, ob sie lieber eine höhere Bezahlung oder mehr Spielraum bei der Arbeitszeitgestaltung hätten, entscheiden sich 64 Prozent der Beschäftigten für mehr Geld und nur 30 Prozent für mehr Zeitsouveränität.


Ideologische Schlachten der Vergangenheit

Natürlich liefert die Umfrage auch den Arbeitgebern Munition für ihre schon länger erhobene Forderung nach Lockerungen beim starren Arbeitszeitgesetz. So sprechen sich knapp 45 Prozent der befragten Unternehmen dafür aus, auf jeden Fall die tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden auf eine wöchentliche Basis umzustellen. Weitere rund 24 Prozent schließen sich der Forderung an, wenn der Arbeitnehmer die Lage der Arbeitszeit selbst bestimmen kann, zum Beispiel durch mobiles Arbeiten. Die gesetzliche Ruhezeit von mindestens elf Stunden halten sechs von zehn der befragten Arbeitgeber für überholt. Offenheit für beide Vorhaben gibt es laut der Befragung auch bei den Beschäftigten. Demnach sind 77 Prozent durchaus bereit, auch mal länger als zehn Stunden am Tag zu arbeiten. An der gesetzlichen Ruhezeit wollen dagegen immerhin 44 Prozent der Arbeitnehmer nicht rütteln lassen.

Gesamtmetall-Präsident Dulger fürchtet, dass in der politischen Debatte über Wahlarbeitszeiten und mehr Flexibilität am Ende die Belange der Unternehmen unter die Räder geraten. Die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie in Deutschland hätten schon die weltweit kürzesten tariflichen Arbeitszeiten bei vergleichsweise hohen Einkommen.

Und letzten Endes entschieden Kunden und Auftragseingang darüber, wann wie viel gearbeitet werden müsse. „Wir müssen die Interessen von Beschäftigten und den Bedarf der Unternehmen auch in Zukunft in einer ausgewogenen Balance halten“, fordert Dulger. Die Antwort auf den demografischen Wandel könne auf jeden Fall nicht sein, dass die weniger werdenden Fachkräfte auch noch weniger arbeiten. Vor allem die von Ministerin Schwesig geplante Familienarbeitszeit, mit der die SPD wohl auch in den Wahlkampf ziehen will, ist für den Gesamtmetall-Präsidenten „der denkbar größte Unsinn: Wir können doch in Zeiten einer alternden Gesellschaft nicht ernsthaft Menschen auch noch dafür bezahlen, nicht arbeiten zu gehen.“

Dulger stellt sich im Gegenteil vor, dass Beschäftigte in manchen Lebensphasen vielleicht ganz gerne auch mal länger arbeiten würden, etwa wenn sie ein Häuschen abzubezahlen hätten. An der 35-Stunden-Woche werde man aber nicht rütteln: „Es hilft niemandem, ideologische Schlachten der Vergangenheit noch einmal schlagen zu wollen.“ Geht es nach der IG Metall, soll das Thema Arbeitszeit nicht nur bei der Bundestagswahl, sondern auch in der kommenden Tarifrunde eine zentrale Rolle spielen. Dulger warnt hier allerdings vor überzogenen Erwartungen auf eine schnelle Einigung und mahnt zur Zurückhaltung: „Das ist ein so grundlegendes Thema, das verträgt keinen Druck von der Straße."

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