ARD-Talkshow Große Groko-Lustlosigkeit bei Anne Will

Heiko Maas und Grünen-Chef Habeck diskutieren über den Stand der Regierungsbildung. Um "verpennte" Digitalisierung geht es nur kurz.

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Berlin Vermutlich war die "Anne Will"-Show am Sonntagabend termingenau zum zunächst auch am Sonntag erwarteten Abschluss der Koalitionsverhandlungen gedacht. Die Verhandlungen gehen aber noch mindestens bis Montag weiter, das hatte sich bereits im Lauf des Tages gezeigt. Die "länger und länger werdende Geschichte der Regierungsbildung in Deutschland", wie die Moderatorin einleitend sagte, wurde in der ARD dennoch um ein Stündchen verlängert. Immerhin quietschte die Sendung mit dem Titel "Verhandeln bis es quietscht - kann eine neue GroKo überzeugen?" nicht, sondern verlief sachlich. Das lag wohl daran, dass nicht nur die Groko-Verhandler Heiko Maas von der SPD und Armin Laschet von der CDU, sondern auch der frisch gewählte Grünen-Parteivorsitzende Robert Habeck einen authentisch müden Eindruck machten.

Da wirkte es fast ein bisschen ironisch, dass Will zunächst fragte, warum die Bundesregierung in spe keinen "mitreißenden Aufbruch" verkörpere. Maas betonte daraufhin, dass eine Regierung "nicht unbedingt Lust versprühen" müsse.

Den Grünen Habeck fragte Will, ob er noch einmal wiederholen würde, was er zuletzt schon bei ihrer ZDF-Kollegin Maybrit Illner gesagt hatte – die langen Regierungsbildungs-Versuche wurden schon lang und breit "betalkt", und von den immer gleichen Teilnehmern kann scheinbar niemand verlangen, dass sie immerzu etwas Neues sagen. Habeck aber brachte in seiner Antwort die Lust-Frage prägnant auf den Punkt: "Herr Maas hat keine Lust, Herr Laschet hat keine Lust, ich habe keine Lust" auf eine Groko, aber alle "latschen da so rein".

Einen Pfeil im Köcher hatte Anne Will aber doch noch: einen Kommentar, den Leitartikler Heribert Prantl für die Montags-Ausgabe der "Süddeutschen Zeitung" geschrieben hat. "Würde Emmanuel Macron so ein Programm präsentieren, wie es CDU, CSU und SPD gerade ausgehandelt haben: Es würde wohl allgemein mit Respekt aufgenommen", heißt es da. Viel Feuer brachte jedoch auch das nicht in die Talkrunde. Die kleinen Dinge würden groß gemacht, die eigentlichen Strukturprobleme der Zukunft nicht angegangen, sagte Habeck und nannte Beispiele wie die Beitragsstabilität der Rente nach 2025.

Das liege an der Übergangsphase, in der beide großen Parteien sich sowohl personell als auch politisch befänden, analysierte Elisabeth Niejahr, die Chefreporterin der "Wirtschaftswoche" (Verlagsgruppe Handelsblatt). So werde das Thema Digitalisierung entweder "ganz wolkig oder ganz kleinteilig" vorgetragen, dabei sei es von denselben Parteien in der letzten Groko "lange verpennt" worden.

Nur der nordrhein-westfälische Ministerpräsident hatte am Anfang im Rahmen einer Aufzählung wichtiger Themen von Digitalisierung gesprochen. Armin Laschet machte keinen Hehl daraus, dass er auch gerne mit Habeck koaliert hätte, und gab dem "kompliziertesten Wahlergebnis" der deutschen Nachkriegsgeschichte die Schuld am langen Verhandeln.

Fünfter Gast im Studio war die AfD-Bundestagsfraktionsvorsitzende. Alice Weidel schickte als erstes einen "Gruß nach Cottbus", an zumindest eine von zwei Demonstrationen, die es am Sonntag in der brandenburgischen Stadt gab. Später sprach sie vom "ubiquitären Rechtsbruch an unseren Grenzen" und lobte die SPD – dafür, über den vermutlich bald ausgehandelten Koalitionsvertrag ihre Mitglieder abstimmen zu lassen. Offenkundig in der Erwartung, dass die nächste Groko ihrer Partei nützen wird, gab Weidel sich mit einem geringen Wortanteil zufrieden.

Zum Ende der Sendung verdichtete sich die Diskussion zu einem weiteren Austausch der bekannten Standpunkte über die deutsche Flüchtlingspolitik im Jahr 2015. Laschet erwähnte en passant das im neuen Koalitionsvertrag vorgesehene Einwanderungsgesetz. Dazu hätten viele Zuschauer vermutlich gerne Konkretes erfahren – oder auch, apropos Digitalisierung, über das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das Justizminister Maas am Ende der vergangenen Legislaturperiode noch durch den Bundestag gebracht hatte. Seit Anfang 2018 ist es in Kraft und enorm umstritten.

Doch solche konkrete Fragen wurden nicht gestellt. Und als Habeck im Herbst-2015-Zusammenhang von der damaligen Flüchtlingshilfe als "linkem Patriotismus" sprach, bei dem "auch Fehler" gemacht worden seien – von denen mehr zu hören spannend gewesen wäre – war die Sendezeit vorbei und Anne Will musste zu den "Tagesthemen" überleiten.

"Viele haben das Gefühl, dass wir in der Politik nur noch über das große Ganze reden" – hatte Heiko Maas Habecks Vorwurf gekontert, dass die Groko die kleinen Dinge groß mache. Was Talkshows betrifft, liegt die Wahrheit ziemlich in der Mitte: Über allgemeine große Themen wie über konkrete Detailfragen wird, mehr oder weniger munter, meistens derart durcheinander diskutiert, dass am Ende der Sendung nichts davon wirklich geklärt ist. Schade.

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