Arme Exportweltmeister Die Deutschen und das Geld: Hohe Einkommen, aber kaum Vermögen

Volle Container-Schiffe im Hamburger Hafen: Weshalb ist Deutschland wirtschaftlich so erfolgreich, aber in der Vermögensbildung offensichtlich nicht? Quelle: dpa

Die Deutschen haben im internationalen Vergleich weniger Vermögen als die Bewohner vieler anderer Länder. Außerdem ist der Anteil der Bürger mit wenig Vermögen besonders groß. Wie passt das zum angeblichen wirtschaftlichen Erfolg des Exportweltmeisters? Die Gastautoren Jörg Finsinger und Urs Fischer begeben sich auf Spurensuche.

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Wer Länder nach ihren Vorzügen vergleichen will, steht schnell vor einer unlösbaren Aufgabe. Das Spieglein an der Wand („Wer ist die Schönste?“) dafür gibt es nicht. Auswahlkriterien könnten die Landschaft, Qualität der Infrastruktur, das Klima, Rechtssicherheit, Aufstiegschancen, die demografische Entwicklung oder das Bildungs- und Gesundheitswesen sein. Eine recht umfassende Darstellung aus der Sicht der Bewohner eines Landes findet sich in den OECD Social Indicators. Wichtige finanzielle Größen analysieren wir im Folgenden mit eigenen Berechnungen und aktuellen Daten des Credit Suisse „Global Wealth Report 2018“ und der OECD-Studie „Taxing Wages 2019“.

Das Vermögen spielt eine große Rolle. Es gibt an, über wie viel Geld ein Bürger verfügen kann, wenn er alle seine Besitztümer zu Geld macht. Es symbolisiert auch die Freiheit, dieses Geld so auszugeben, wie es das Streben nach Glück und Zufriedenheit erfordert. Mehr ist natürlich besser, wenn alle anderen Lebensumstände gleich sind. Daher ist eine Studie, wie sie die Credit Suisse jährlich erstellt, nicht nur für Statistiker interessant. Für eine große Anzahl von Ländern werden das Durchschnittsvermögen sowie das Medianvermögen pro Erwachsenen aufgeführt. Darüber hinaus findet man auch Angaben über den Anteil der Bevölkerung in verschiedenen Vermögensklassen.

Mit den Arbeiten des französischen Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty, allen voran seine Veröffentlichung „Capital in the 21st Century“, ist die Vermögensverteilung der Bürger stärker ins Blickfeld gerückt. Behauptet wird eine über die Jahre zunehmende Ungleichheit der Vermögen. Eine wichtige Komponente der Vermögensbildung sind die Einkommen. Entscheidend ist der Medianlohn. Das ist der mittlere Lohn, der von jeweils 50 Prozent der Personen übertroffen oder unterschritten wird. Der Durchschnittslohn liegt durchweg über dem Medianlohn, im OECD-Durchschnitt ist er 22,5 Prozent höher, weil einige wenige Haushalte sehr hohe Einkommen beziehen, die Einkommen also ungleich verteilt sind. Die Ungleichheit ist in einigen Ländern niedrig. So weist Kanada mit 12 Prozent die geringste Differenz zwischen mittlerem Lohn und Durchschnittslohn auf. Die USA erreichen mit 39 Prozent eine der höchsten Abweichungen. Insgesamt ist jedoch die Ungleichheit der Einkommen viel kleiner als die der Vermögen.

von Benedikt Becker, Malte Fischer, Martin Gerth, Dieter Schnaas, Christof Schürmann, Cornelius Welp

Ein Teil der Einkommen wird gespart und bildet Vermögen. Die beiden anderen Komponenten der Vermögensbildung sind Erträge sowie die „Anfangsausstattung“, also zum Beispiel eine Erbschaft. Aufgrund des Zinseszinseffektes der unterschiedlichen Vermögenserträge und den unterschiedlich hohen Ersparnissen verliert die „Anfangsausstattung“ mit der Zeit an Bedeutung. Langfristig dominieren vor allem der Vermögensertrag und die Ersparnisrate. In der Summe aller aufgeführten Länder liegt das durchschnittliche Vermögen 260 Prozent über dem Medianvermögen, dem mittleren Vermögen (sprich: 50 Prozent der Bürger haben weniger und 50 Prozent mehr). Diese Ungleichheit der Vermögensverteilung variiert stark. Gering ist sie zum Beispiel in der Slowakei mit nur 64 Prozent, sehr hoch in den USA (555 Prozent) und Deutschland (511 Prozent). In den USA sind die Reichen viel reicher als die Armen. Von Deutschland ist weniger bekannt, dass es in dieser „sozialen“ Dimension mit den USA verwandt ist.

In der Wirtschaftswissenschaft wird oft der Gini-Koeffizient als Maßstab für die Einkommens- und Vermögensverteilung einzelner Länder verwandt. Der Gini-Koeffizient nimmt einen Wert zwischen 0 (bei einer Gleichverteilung) und 1 (wenn nur eine Person das komplette Vermögen erhält, das heißt bei maximaler Ungleichverteilung) an. Je nachdem, welche Sicht man einnimmt – die der sozialen Utopie einer Gesellschaft von gleich reichen Bürgern oder die Sicht der Leistungsgerechtigkeit, dass Fleiß und Anstrengung belohnt werden müssen – wird man jeweils andere Maßzahlen heranziehen und andere Niveaus der Maßzahlen als gerecht ansehen. Man sollte also nicht glauben, es gebe nur eine Bewertung der sozialen Gerechtigkeit. So sind in der nachfolgenden Tabelle 1 verschiedene Angaben gemacht. So zum Beispiel auch, welcher Anteil der Bevölkerung über weniger als 10.000 Dollar Vermögen verfügt.

Der Gini-Koeffizient bezieht sich auf die Ungleichheit über die ganze Vermögensverteilung. Bei der Beurteilung der Gerechtigkeit in einer sozialen Marktwirtschaft ist aber weniger relevant, wie ungleich die sehr hohen Vermögen verteilt sind. Wichtiger ist, welcher Anteil am Gesamtvermögen der ärmeren Hälfte der Bürger zukommt. In der Tabelle 1 wird dieser Anteil in der letzten Spalte angegeben.

LandMedian = Mittleres Vermögen
(in Dollar) 
Durchschnitts-
vermögen
(in Dollar) 
Anteil der Bürger mit
Vermögen
unter 10.000 Dollar 
Gini-KoeffizientAnteil der ärmeren 50% am
Gesamtvermögen*
Island203.847 555.72617,0%73,1%11,2%
Australien191.453 411.0606,1%65,8%18,5%
Schweiz183.339530.24413,7%74,1%11,5%
Luxemburg164.284412.1270,0%66,3%17,9%
Belgien163.429313.04517,0%65,9%16,0%
Niederlande114.935253.20515,0%73,6%14,8%
Frankreich106.827280.58013,9%68,7%12,8%
Kanada106.342288.26320,7%72,6%10,4%
Japan103.861227.2355,3%63,1%18,6%
Neuseeland98.613289.79810,5%70,8%12,4%
Großbritannien97.169279.04817,5%74,7%10,7%
Singapur91.656283.11813,8%75,8%11,0%
Spanien87.188191.17717,2%69,7%14,3%
Norwegen80.054 291.10327,6%79,1%6,4%
Italien79.239217.7878,0%68,9%14,1%
Taiwan78.177212.37515,7%73,0%12,0%
Malta76.116140.62914,0%63,1%18,4%
Irland72.473232.95234,0%83,0%5,8%
Österreich70.074231.36825,2%76,4%7,7%
Südkorea65.463171.7392,0%67,0%16,6%
USA61.667403.97428,4%85,2%3,6%
Dänemark60.999 286.71235,6%83,6%3,9%
Katar59.978121.63812,0%61,5%17,8%
Hong Kong58.905244.67215,0%81,9%8,1%
Israel54.966174.12917,8%76,6%10,1%
Finnland45.606161.06221,0%76,7%8,6%
Griechenland40.789108.12714,0%68,2%13,4%
Schweden39.709249.76536,0%86,5%3,3%
Deutschland35.169214.89340,6%81,6%3,1%
Slowenien34.043 79.09713,5%64,6%15,7%
Portugal31.313109.36219,9%73,6%9,4%
Libyen26.939 61.70128,2%66,5%12,7%
Kuwait26.27891.37434,5%80,9%7,4%
Ver. Arab. Emirate25.26788.17335,5%81,4%7,4%
Chile23.81262.22236,0%77,3%10,0%
Seychellen21.34948.65235,0%67,9%12,4%
Slowakei21.20334.78119,4%49,8%21,8%
Estland18.89557.80631,5%71,1%10,3%
Kroatien17.13135.95133,5%63,1%15,5%
Tschechien17.01861.48930,7%75,8%9,3%
Mauritius16.47235.66837,0%64,0%14,7%
*konservative Schätzung; Quelle: Credit Suisse Report Wealth Distribution, Jörg Finsinger, Urs Fischer

Einige überraschende Verhältnisse fallen einem ohne weitere Analyse ins Auge.

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