Den etwa 2,3 Millionen Kindern von Alleinerziehenden in Deutschland droht deutlich häufiger Armut als ihren Altersgenossen in Paarfamilien. Wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung zeigt, sind mehr als ein Drittel aller Alleinerziehenden (37,6 Prozent) auf Hartz-IV-Leistungen für ihre Familien angewiesen. Damit sind sie fünf Mal häufiger Empfänger als Familien mit zwei Elternteilen (7,3 Prozent).
Kinderarmut sei damit in wesentlichem Maße auf die Armut von Alleinerziehenden zurückzuführen: Jedes zweite Kind im Hartz-IV-Bezug lebt mit nur einem Elternteil.
„Hat man die Verantwortung für Erwerbsarbeit, Haushalt und Fürsorge und Erziehung der Kinder ganz alleine, ist es sehr schwierig, ein Einkommen zu erwirtschaften, das für die Familie reicht. Bleibt dann der Unterhalt aus, rutschen viele unter die Armutsgrenze“, erläutert Studienautorin Antje Funcke. Obwohl die Zahl der Alleinerziehenden seit Jahren steigt und mittlerweile jede fünfte Familie eine Ein-Eltern-Familie sei, gelinge es der Familienpolitik bislang nicht, Armut wirksam zu bekämpfen, heißt es in der Studie.
Armutsgefährdung in Deutschland
Wer in Deutschland allein mit weniger als 979 Euro netto im Monat auskommen muss, gilt nach der EU-Statistik als armutsgefährdet. Bei einer vierköpfigen Familie liegt die Grenze bei 2056 Euro im Monat. Nach dieser Rechnung sind 13 Millionen Menschen in der Bundesrepublik von Armut bedroht. Der Anteil an der Bevölkerung von rund 16 Prozent ist seit Jahren relativ stabil. Armutsforscher Hans-Ulrich Huster warnt jedoch: „Etwa die Hälfte davon hat keine Chance mehr, da raus zu kommen.“ Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband ergänzt: „Wir haben immer mehr Erwerbstätige, aber trotzdem schützt dies nicht mehr vor Armut.“
Die Statistiker sprechen von „Armutsgefährdung“ oder einem „relativen Armutsrisiko“. Nach der Definition der EU-Statistik ist von Armut bedroht, wer von weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung seines Landes lebt. „Armut“ ist nach Ansicht des Armutsforschers Christian Arndt „ein Zeichen dafür, dass etwas Wesentliches zum Wohlergehen fehlt“. Dies betreffe aber nicht alle, die über ein Einkommen unterhalb der „Armutsrisikoschwelle“ verfügten. „So ist dies sicher nicht der Fall für einen Studierenden mit geringem Einkommen, kann aber sehr wohl für ein schwerwiegendes Problem für eine alleinstehende Rentnerin sein.“
Mit einer Armutsgefährdungsquote von 16,1 Prozent schneidet Deutschland 2013 um 0,6 Prozentpunkte besser ab als der Anteil aller EU-Länder zusammen. Allerdings fehlen für den exakten Mittelwert noch einige Zahlen, etwa die von Irland und Kroatien. Besonders hoch ist der Anteil der von Armut bedrohten Menschen in Griechenland (23,1 Prozent), Rumänien (22,4 Prozent) und Bulgarien (21,0 Prozent). Am niedrigsten ist das Armutsrisiko in der Tschechischen Republik (mit einem Anteil von 8,6 Prozent), Island (9,3 Prozent), den Niederlanden (10,4 Prozent) und Norwegen (10,9 Prozent).
„Armut ist immer noch weiblich“, sagt die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher. Frauen aller Altersgruppen sind stärker von Armut bedroht als Männer. Besonders betroffen sind Alleinerziehende und Frauen im Rentenalter. Und: Fast 70 Prozent der Arbeitslosen sind armutsgefährdet. Nach Einschätzung von Armutsforscher Hans-Ulrich Huster haben auch Menschen mit Migrationshintergrund und alleinlebende junge Leute unter 30 Jahren ein erhöhtes Risiko.
Das Armutsrisiko hat nach Darstellung des Volkswirts und Armutsforschers Christian Arndt zwischen 1999 und 2005 stark zugenommen. Seitdem aber nicht mehr. In der seit 2008 erhobenen EU-Statistik stieg die Quote für Deutschland von 15,2 Prozent auf 16,1 Prozent. „Hier könnte man einerseits von einer Manifestation des Armutsrisikos sprechen. Die Botschaft ist aber die, dass das Armutsrisiko im Gegensatz zu einigen anderen Ländern nicht weiter zugenommen hat.“ Armutsforscher Hans-Ulrich Huster stellt fest: „Die Reichen werden reicher. Das Einkommen der Armen sinkt relativ gesehen zu den Einkommen der mittleren und oberen Einkommensbezieher.“
Der für 2015 geplante Mindestlohn ist nach Einschätzung des Sozialverbands VdK und des Paritätischen Wohlfahrtsverband ein richtiger Schritt. „8,50 Euro ist aber hart auf Kante genäht, das ist genau für einen Alleinlebenden die Armutsschwelle“, sagt der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider. Armutsforscher Hans-Ulrich Huster betont: „Nicht der Facharbeitermangel ist das Problem, sondern dass wir uns zu wenig darum kümmern, dass die Jugendlichen, die da sind, eine entsprechende Ausbildung bekommen.“
Im Gegenteil: Der Anteil der Alleinerziehenden, die als armutsgefährdet gelten, ist 2014 auf 42 Prozent angestiegen, 6,6 Prozentpunkte mehr als noch 2005. Entsprechend gängiger Armuts-Definitionen sind davon Familien betroffen, die weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommen zur Verfügung haben. Nach Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung lag diese Schwelle 2014 für eine Alleinerziehende mit einem Kind unter 7 Jahren bei etwa 1150 Euro. Der Anteil armutsgefährdeter Paarfamilien dagegen ist um 11,7 Prozentpunkte zurückgegangen.
Die Studienautorinnen sehen vor allem Reformbedarf bei den Regelungen für den Kindesunterhalt. Die Hälfte aller Alleinerziehenden erhalte gar keinen, weitere 25 Prozent nur unregelmäßig oder zu wenig Geld vom unterhaltspflichtigem Elternteil. Der Staat springt dann über einen Vorschuss ein - allerdings nur sechs Jahre lang und nur für Kinder unter zwölf Jahren. „Das ist eine Regelung, die die Kinder überhaupt nicht im Blick hat“, kritisierte Antje Funcke. Auch brauche es bessere Mechanismen, um die Ansprüche auf Unterhalt durchzusetzen.