Die CSU hat mit markigen Worten gegen Zuwanderer aus Südosteuropa eine hitzige Debatte ausgelöst. Jetzt bemühen sich Politiker und Experten darum, das Thema ohne bleibenden Schaden wieder einzufangen.
Der Präsident des Deutschen Städtetags, Ulrich Maly (SPD) warnte davor, das Problem als Massenphänomen zu dramatisieren. "Wir haben es nicht mit einer flächendeckenden Herausforderung zu tun. Die Schwierigkeiten konzentrieren sich auf etwa ein Dutzend große Städte", sagte der Oberbürgermeister von Nürnberg der "Passauer Neuen Presse". Und dort "ballen sich soziale Probleme in einigen wenigen Stadtteilen".
In der aktuellen Debatte werde "der fatale Eindruck erweckt, dass alle Bulgaren und Rumänen, die jetzt zu uns kommen, Armutszuwanderer sind und viele von ihnen auch Sozialbetrüger", kritisierte Maly.
Wo Fachkräfte fehlen
Die Branche fordert Rahmenbedingungen für Zuwanderer. Der Grund: Letzteren Erhebungen zufolge sind derzeit in Deutschland rund 39.000 Stellen für IT-Experten nicht besetzt, so das „Handelsblatt“. Gesucht würden vor allem Akademiker der Fachrichtungen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik.
Die Branche ist nach eigenen Angaben dringend auf Ausländer angewiesen. Schon heute haben 9,5 Prozent aller Beschäftigten im Bau einen ausländischen Pass. „Wir sind an Facharbeitern aus Rumänien und Bulgarien stark interessiert“, sagt Michael Knipper, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie gegenüber dem „Handelsblatt“. Die Leute seien motiviert und gut ausgebildet.
In Deutschland fehlen rund 50.000 Pflegekräfte – Tendenz steigend. Qualifizierte Zuwanderer sind daher ausdinglich erwünscht. In der Altenpflege ist – ähnlich wie in der Baubranche – jeder zehnte Mitarbeiter aus dem Ausland. In der Kinderbetreuung fehlen nach Schätzung der Arbeiterwohlfahrt rund 30.00 Erzieherinnen.
Auch die Bundesagentur für Arbeit (BA) sieht "derzeit nur punktuell Anzeichen für eine Armutszuwanderung aus Rumänien und Bulgarien" und blickt optimistisch in die Zukunft. "Wir rechnen damit, dass unter den Neuzuwanderern jeder zweite eine gute Ausbildung mitbringt", sagte BA-Vorstand Heinrich Alt der "Rheinischen Post".
Seit dem 1. Januar gilt für Bürger der beiden Staaten die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit in der EU. Das heißt, sie brauchen keine Arbeitserlaubnis mehr, um sich in Deutschland niederzulassen. Die CSU warnt davor, dass verstärkt gering qualifizierte Migranten kommen, die nach Einschätzung der Partei in Deutschland vor allem Sozialleistungen in Anspruch nehmen wollen, aber kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Die Partei will ihnen den Zugang zum deutschen Sozialsystem erschweren.
Experten halten es für ungerechtfertigt, pauschal von Armutszuwanderung aus den beiden Ländern zu sprechen. Nach Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung waren zur Jahresmitte 2013 nur 0,6 Prozent der Hartz-IV-Bezieher Bulgaren und Rumänen. Obwohl die Zuwanderer aus diesen Ländern im Schnitt geringer qualifiziert sind, lag die Arbeitslosenquote für beide Nationalitäten Mitte 2013 unter dem Schnitt der Gesamtbevölkerung und deutlich unter der anderer Migrantengruppen.
"Rumänien wird zum Einfallstor in die EU"
Der Regensburger Sozialrechtsexperte Thorsten Kingreen kritisierte die aktuelle Debatte als "politisch gezüchtet, um vor der Europawahl gezielt das europakritische Publikum anzusprechen". "Das Ganze erinnert irgendwie an die Mautdebatte: Es wird so getan als könnte man eine komplexe Sachfrage nach bayerischem Landrecht lösen", sagte er der "Frankfurter Rundschau".
Derweil meldet die "Welt", dass Rumänien massenhaft Bewohner seiner Nachbarrepublik Moldau einbürgert – gegen Gebühr. Die Bürger Moldaus können sich so einen Freifahrschein für die EU mit sämtlichen Vorteilen, die Arbeitserlaubnis und Reisefreizügigkeit erwerben.
"In Chișinău, der Hauptstadt Moldaus, besorgen Händler die nötigen Unterlagen und Siegel. Für ihre guten Kontakte zu rumänischen Beamten muss man allerdings das Portemonnaie öffnen", berichtet die Zeitung.
Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU), der den schwarz-roten Koalitionsvertrag in Berlin mitverhandelt hatte, warnte mit Blick auf Rumänien in der "Welt": "In den Koalitionsverhandlungen war für beide Seiten klar, dass die EU-Freizügigkeit nicht zu einem windigen Geschäftsmodell werden darf."
Die Deutschen würden von der neuen Bundesregierung "klare Regeln und Kontrollen" erwarten. "Es ist Aufgabe der EU, junge Mitgliedstaaten wie Rumänien beim Aufbau einer korrekten und rechtsstaatlichen Verwaltung zu unterstützen", betonte Ulbig. Er glaubt, dass die generelle Akzeptanz der EU durch Nachlässigkeiten in Sicherheitsfragen gefährdet würde.