Arte-Dokumentation Das nationalistische Europa von heute

Rechtspopulisten könnten das Projekt Europa zum Scheitern bringen: Die Arte-Dokumentation „Rechts, zwo, drei – Driftet Europa ab?“ zeigt die besorgniserregende Lage in vielen Ländern. Warum dieser Film sehenswert ist.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Während eine rechte Gesinnung in Deutschland eine Randerscheinung darstellt, ist sie in anderen europäischen Ländern gesellschaftsfähig. Quelle: Arte Sendeanstalt/Copyright

Düsseldorf Ein voll besetztes Flüchtlingsboot, das über das offene Meer treibt. Szenenwechsel: Eine deutsche Frau, die gegen ein Flüchtlingsheim demonstriert: „Wer gibt mir was? Niemand. Und die kommen hierher und bekommen alles in den Hintern gesteckt.“ Wieder wechselt die Szene: Sie zeigt Bernd Höcke (AfD), wie er ruft: „Erfurt ist schön deutsch und soll schön deutsch bleiben.“ Dann eine Flüchtlingsfrau, die ihre Dankbarkeit auf Deutsch – in einer für sie komplizierten Fremdsprache – mühevoll in Worte fasst. Andere Bilder zeigen jubelnde AfD-Anhänger bei einer Wahlparty, die sich in die Arme fallen. Und die Reaktion einer erschütterten Passantin in Frankfurt: „Dafür haben wir 70 Jahre lang für Demokratie gekämpft.“

Nie wieder wollten wir gegeneinander Krieg führen. Deswegen gibt es die EU, das Erasmus-Programm – und deswegen verstehen wir uns als Europäer. Doch nach 70 Jahren bröckelt unsere Demokratie, die europäischen Werte verschwinden. Europa steht vor der größten Flüchtlingskatastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg – und droht daran zu scheitern. Denn der rechte Rand wächst – in manchen Ländern bis zur Mitte.

Das ist das Thema der Arte-Dokumentation „Rechts, zwo, drei – Driftet Europa ab?“, die der Sender am Dienstagabend ausstrahlt. Sie gibt einen umfassenden Überblick über rechtspopulistische Bewegungen in Europa und analysiert, woher das rechte Gedankengut kommt und wie tief es in der Gesellschaft sitzt. Der Film ist ein Streifzug durch Europa: Von der fremdenfeindlichen Bürgerwehr Pro Chemnitz zu kroatischen Militärparaden. Vom panischen Wutbürger zu verklärender Geschichtsumdeutung.

Dass die Dokumentation jetzt veröffentlicht wird, ist fast schon zu spät. Denn sie erscheint zu einer Zeit, in der der Wählerzulauf in Deutschland zu der AfD bedrohliche Ausmaße annimmt und in anderen EU-Staaten rechte Parteien schon an der Macht sind. Umso wichtiger ist es, dass viele Zuschauer sie sehen. Denn die rechte Stimmung in Europa darf nicht unterschätzt werden. Und sie darf nicht gewinnen.


„Amtlich verordneter Rassismus mitten in Europa“

In anderen europäischen Ländern hat sie gewonnen: Fremdenfeindlichkeit ist dort längst gesellschaftsfähig. Beispiel Kroatien, das jüngste EU-Mitglied: Zerfallene Häuser, aus denen die Serben vertrieben wurden, beschmiert mit faschistischen Symbolen. Niemand entfernt sie. Eine stille Duldung, eine Zustimmung durch Untätigkeit. „Es gibt keine Berührungsängste mit dem faschistischen Erbe“, sagt die kroatische Schriftstellerin und Journalistin Slavenka Drakulić. Und der BBC-Journalist Allan Little ergänzt: „Der offene fremdenfeindliche Nationalismus ist niemals offiziell verurteilt worden.“ Bis heute feiert Kroatien am 5. August den Tag, an dem sie die Serben aus dem Land vertrieben haben. Während in Kroatien Militärparaden aufziehen, läuten in Serbien die Trauerglocken. Ein gemeinsames Europa ist dort ganz weit entfernt.

Der Film zeigt, wie die polnische Regierung die öffentlich-rechtlichen Medien in ein Sprachrohr der nationalkonservativen und populistischen PiS-Partei verwandelt. In Ungarn werden die Roma systematisch diskriminiert. „Amtlich verordneter Rassismus mitten in Europa“, sagt der Doku-Sprecher. Die osteuropäischen Staaten wenden sich von Supranationalität ab und hin zum Nationalismus.

87 Minuten, die aufwühlen, erschüttern und anstrengen. Der demokratische Zuschauer ärgert sich über die abstrusen Argumente der rechen Anhänger und betrachtet kopfschüttelnd die Zustände, die in unserer modernen Zeit längst überwunden sein sollten. Trotzdem lohnt sich die Auseinandersetzung. Denn der Erkenntnisgewinn ist groß – vor allem durch die Beiträge über die osteuropäischen Staaten, die gegenüber Nationalismus nicht so stark sensibilisiert sind wie die Deutschen.

Die Dokumentation liefert eine umfassende Analyse der rechten Bewegungen in verschiedenen europäischen Ländern: Wissenschaftler sowie Politiker und Bürger verschiedener Einstellungen kommen zu Wort, erklären jeweils ihre Sicht der Dinge. Driftet Europa ab? Zerteilt es sich selbst? Die Gefahr dafür ist groß. Und das ist der Tenor des Films.

„Rechts, zwo, drei – Driftet Europa ab?“ ist ein wichtiger Beitrag in unserer heutigen Zeit. Er offenbart, was in Europa brodelt und droht überzukochen. Was dann passieren kann, hat uns die Vergangenheit bereits gezeigt.

„Rechts, zwo, drei – Driftet Europa ab?“, Dokumentation, Ausstrahldatum: Dienstag, 5. April, 20:15 Uhr bei Arte, Wiederholung: 8.4 und 14.4. jeweils um 08:55 Uhr 

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%