Arzneimittelreform „Bei der Pharmaindustrie knallen jetzt die Sektkorken“

Die Krankenkassen kritisieren den Koalitionskompromiss bei der Arzneimittelreform. Die Einigung gehe eindeutig zu Lasten der gesetzlich Versicherten, profitieren würden davon nur die Arzneimittelhersteller.

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Die Preise für Medikamente könnten in Zukunft wieder steigen. Quelle: dpa

Berlin Die Nachrichten-Agenturen sprachen am Montagabend von einem Durchbruch. Union und SPD hätten sich nun doch bei den offenen Streitfragen zum Arzneimittelstärkungsgesetz geeinigt. Inzwischen ist vor allem bei den Krankenkassen Ernüchterung eingekehrt. Zwar sei richtig, dass nun wichtige Streitpunkte beseitigt seien, sagte KKH-Chef Ingo Kailuweit. Doch leider gehe die Einigung einseitig zu Lasten der gesetzlich Versicherten, Profitieren von der Einigung würden nur die Arzneimittelhersteller „Bei der Pharma-Lobby dürften jetzt die Champagner-Korken knallen“, sagte Kailuweit.

Was ist passiert? Gegenstand der monatelangen Meinungsverschiedenheiten sind die Preisverhandlungen zwischen Pharmaherstellern und dem Spitzenverband der Krankenkassen über die Preise neuer Medikamente. Hier gilt bisher die Regel, dass die Hersteller die Preise im ersten Jahr völlig frei festlegen dürfen. In diesem Jahr müssen die Hersteller Gutachten zum Nutzen ihrer heuen Präparate vorlegen. Auf deren Basis werden dann neue meist niedrigere Preise ausgehandelt. Dies hat dazu geführt, dass die Preise für neue Medikamente im ersten Jahr seit Start der Preisverhandlungen stark gestiegen sind. Die Krankenkassen hatten daher gefordert, in Zukunft nach einem Jahr die ausgehandelten Preise rückwirkend in Kraft zu setzen.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe hatte diesen Vorschlag nur zum Teil aufgegriffen. Sein Gesetzentwurf für das Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz sah vor, dass der ausgehandelte Preis nur dann rückwirkend in Kraft gesetzt wird, wenn der Hersteller mit dem neuen Medikament im ersten Jahr einen Umsatz von über 250 Millionen Euro gemacht hat. Schon von dieser Regelung wären nur wenige Hersteller betroffen gewesen. Doch nun haben sich SPD und Union darauf verständigt, auf die Rückwirkung ganz zu verzichten.

Im Gegenzug wird ein anderer Wunsch der Arzneimittelhersteller nicht erfüllt. Sie hatten verlangt, dass die im ersten Jahr ausgehandelten niedrigeren Preise geheim bleiben. Dies sollte ihnen bessere Chancen geben, im Ausland bei den dortigen Preisverhandlungen mit Regierung oder Sozialversicherungen höhere Preise durchzusetzen. In vielen Ländern sind die deutschen Arzneimittelpreise nämlich Referenzgrößen für solche Verhandlungen. Nun soll es dabei bleiben, dass diese Preise auch weiter veröffentlicht werden


„Kostenanstieg im Gesundheitswesen“

Der Verzicht auf die Rückwirkung der ausgehandelten Preise bedeute, „dass Arzneimittelhersteller für ein neues Medikament im ersten Jahr weiterhin astronomische Fantasiepreise von den Kassen verlangen können, unabhängig vom Nutzen ihres Produktes für die Patienten“, kommentiert Kailuweit diesen Kompromiss. Auch der Chef des Bundesverbands der Ortskrankenkassen Martin Litsch übte Kriitik. Für das Problem der Mondpreise gebe es nun weiter keine Lösung. „Die Umsatzschwelle hätte ein erster Schritt hin zu rückwirkenden Preisvereinbarungen sein können, auch wenn sie eher Placebo-Wirkungen entfaltet hätte. Was wir in der nächsten Legislaturperiode nun dringend benötigen, sind keine Platzhalter auf dem Papier, sondern echte Regulierungsmöglichkeiten für die Arzneimittelpreise im ersten Jahr nach Markteintritt", sagte Litsch.

Auf Unverständnis stößt bei der Kaufmännischen Krankenkasse auch das Vorhaben, Ausschreibungen für Impfstoffe durch die Krankenkassen in Zukunft zu untersagen. Die Begründung, hierdurch Lieferengpässe zu vermeiden, sei an den Haaren herbeigezogen. Vielmehr könne es auch ohne Ausschreibungen bei der Produktion von neuen Impfstoffen vereinzelt zu Engpässen kommen. „Die Veränderungen des Gesetzes werden zu einem weiteren Kostenanstieg im Gesundheitswesen führen, für die unterm Strich die Beitragszahler aufkommen müssen“, warnte KKH-Chef Kailuweit.

Das gleiche gilt für Ausschreibungen der Krankenkassen für die Zubereitung der Chemotherapie gegen Krebs bei dazu ermächtigten Apotheken. Diese Ausschreibungen werden nicht nur für die Zukunft verboten. Es werden auch bereits abgeschlossene Ausschreibungen, die bereits umgesetzt werden, im Nachhinein für ungültig erklärt. AOK-Chef Litsch kritisierte dieses Vorgehen als unverständlich. „Man erwartet von den Krankenkassen, dass sie Versorgung gestalten. Hier werden funktionierende wettbewerbliche Instrumente, die nachweislich zu einer besseren Versorgung führen, einzelnen Lobbyinteressen geopfert. Die Krankenkassen werden damit als verlässlicher Vertragspartner in Frage gestellt. Das ist ein sehr schwerer Einschnitt für die GKV.“

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