Arztbehandlung per Video Warum der große Boom in der Telemedizin wohl ausbleiben wird

Am heutigen Mittwoch will der Deutsche Ärztetag in Erfurt den Weg frei machen für die Telemedizin. Große rechtliche Hindernisse werden aber bleiben.

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Zahlreiche rechtliche Hindernisse bleiben auch nach der Aufhebung des Fernbehandlungsverbots bestehen. Quelle: imago/Jochen Tack

Berlin Als David Meinertz im Jahr 2010 zusammen mit einem Kompagnon seine Online-Praxis Dr. Ed in London gründete und wenig später auch für die Fernbehandlung deutscher Patienten öffnete, war der Aufschrei in der deutschen Politik gewaltig. Vor allem Johannes Singhammer, seinerzeit stellvertretender Vorsitzender der Unions-Fraktion und ihr Gesundheitsexperte, legte sich gewaltig ins Zeug, um dem Pionier der Telemedizin das Handwerk zu legen.

Da half es auch wenig, dass Meinertz der Sohn des sehr angesehenen Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Herzstiftung, Thomas Meinertz, war. Singhammer setzte 2013 eine neue Bestimmung im Arzneimittelrecht durch, nach der Arzneimittel nur verordnet werden dürfen, wenn vorher ein direkter Kontakt zwischen Arzt und Patient stattgefunden hat.

Zum berufsrechtlichen Fernbehandlungsverbot auf deutschem Boden kam so das gesetzliche Fernverschreibungsverbot.

Ein wenig war Dr. Ed auch selbst daran schuld, dass er den Unmut der Politik so massiv auf sich zog. Die Online-Praxis hatte Frauen Rezepte für die Pille danach ausgestellt, nachdem eine Reihe katholischer Krankenhäuser Missbrauchsopfern ein entsprechendes Rezept verweigert hatte.

Die Pille danach gibt es heute ohne Rezept. Und auch das Fernverschreibungsverbot hat Dr. Ed nicht aufhalten können. Wie die anderen Praxisportale im Ausland, die es inzwischen gibt, arbeitet Dr. Ed mit Versandapotheken im EU-Ausland zusammen und unterläuft so einfach das nur für das deutsche Hoheitsgebiet geltende Verbot.

Die Praxis mit 100 Mitarbeitern und etwa 15 Ärzten, die hauptberuflich in der Regel in andere Gesundheitseinrichtungen in London und Umgebung arbeiten, hat nach eigenen Angaben bis Ende 2017 rund 400.000 Patienten behandelt – eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr.

Das Fernverschreibungsverbot könnte nun aber zu einem großen Hindernis werden, wenn es in Zukunft darum geht, die lange auch in der Ärzteschaft verpönte Erstbehandlung eines Patienten per Telefon oder Video in Deutschland zum festen Bestandteil ärztlicher Versorgung zu machen.

Genau dafür will nämlich am heutigen Mittwoch nach jahrelangen kontroversen Debatten der Deutsche Ärztetag in Erfurt votieren und das berufsrechtliche Fernbehandlungsverbot im Erstkontakt, soweit medizinisch verantwortbar, aufheben. Andernfalls könnte – wenn die Ferndiagnose dem Arzt in Zukunft erlaubt ist – aufgrund eines weiter bestehendem Fernverschreibungsverbot anschließend kein Rezept ausgestellt werden.

„Es muss noch viel mehr passieren“

Das meint zumindest Eckhart Weber, Betreiber des Telemedizin-Anbieters Fernarzt.com. Er glaubt nicht, dass Dr. Ed, Doktor online und sein eigenes Unternehmen bald nach Deutschland umziehen werden. „Wir würden ja gerne sofort mit deutschen Ärzten und deutschen Apotheken zusammenarbeiten. Und wir finden es ja auch großartig, dass jetzt die ersten Schritte in Richtung Liberalisierung unternommen werden“, sagt Weber im Gespräch mit dem Handelsblatt. „Aber es muss noch viel mehr passieren, bis wir unseren telemedizinischen Service von Deutschland aus anbieten können.“

Das Fernverschreibungsverbot ist das erste, was seiner Ansicht nach fallen müsste. Erst wenn Apotheker Rezepte von Telemedizinanbietern einlösen dürfen, mache die Übersiedlung nach Deutschland Sinn. Aber auch deutsche Hausärzte würden in der Fernbehandlung keine sinnvolle Erweiterung ihre Behandlungsmöglichkeiten finden, wenn der Patient am Ende für das Rezept doch in die Praxis kommen muss, mutmaßt Philipp Hinz von Heartbeatlaps, einem Unternehmen, das sich auf die Entwicklung auch von anderen digitalen Lösungen im Sozialbereich spezialisiert hat.

Doch das ist nicht das einzige Hindernis, das den schnellen Siegeszug der Telemedizin verhindern dürfte. Da ist zunächst einmal das weitere Prozedere: Die ärztlichen Berufsordnungen, die die Fernbehandlung beim Erstkontakt verbieten, sind Landesrecht.

Dies bedeutet, ein positiver Beschluss des Ärztetages muss anschließend Bundesland für Bundesland erst einmal umgesetzt werden. Ein Selbstläufer ist das aber keineswegs. So hat sich gerade erst die Ärztekammer des Saarlandes gegen eine entsprechende Lockerung gestellt.

Wie ein Damoklesschwert schwebt außerdem der Plan der neuen Bundesregierung über dem ganzen Projekt Telemedizin, den Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Medikamenten in Zukunft generell zu verbieten, weil man meint, nur so ließe sich das Geschäftsmodell der Präsenzapotheken in Deutschland wirksam schützen.

Käme das Verbot, könnte man sich die Aufhebung des Fernverschreibungsverbots schon fast schenken. Denn die Fernbehandlung bliebe dann per Gesetz erst recht ohne therapeutische Konsequenzen.

Nicht besonders hilfreich ist außerdem, dass nach geltendem Recht jede Werbung für Fernbehandlung strikt untersagt ist. „Ich stelle mir durchaus die Frage, wie wir Hausärzte dafür gewinnen sollen, sich das teure Equipment für eine Fernbehandlung per Video zuzulegen, wenn er für sein neues Angebot nicht einmal maßvoll werben darf“, fragt Hinz. Am Ende kann er sich nur auf die klassischen Arztportale im Internet wie Yameda verlassen.

Keine Krankschreibung möglich

Ein gewaltiges Handicap ist auch, dass der Telemediziner nach erfolgter Ferndiagnose den Patienten nicht einmal „krankschreiben“ kann. Eine solche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann nach geltendem Recht nämlich nach wie vor erst nach einer persönlichen Untersuchung durch den Arzt ausgestellt werden.

Scheitern könnte das Projekt Telemedizin schließlich an der eher mageren Vergütung. Zwar hat der Gemeinsame Bundesausschuss im vergangenen Jahr endlich Vergütungssätze für die Videosprechstunde mit einem Patienten, der schon länger in Therapie ist, beschlossen.

Aber die gilt als kaum kostendeckend. Der Arzt darf den Videokontakt nämlich nur mit den recht niedrigen Sätzen abrechnen, die er schon immer für eine telefonische Beratung ansetzen kann. Hinzu kommt lediglich ein Technik-Zuschlag von einigen Euro.

„Als im vergangenen Jahr die Video-Sprechstunde als Kassenleistung aufgenommen wurde, gab es großen Jubel“ sagt dazu Weber. Bis heute würden die Videosprechstunden wegen der niedrigen Vergütung aber kaum angeboten werden.

Das gleiche könnte sich nun bei der Erstbehandlung per Video wiederholen. Schlecht wäre das vor allem für die vielen Patienten in ländlichen Regionen, für die es in Zukunft immer seltener eine Arztpraxis in der Nähe geben dürfte.

Man konnte am Dienstag in Erfurt aber auch den Eindruck gewinnen, dass es der Bundesärztekammer ganz Recht wäre, wenn der Zug in Richtung Telemedizin nicht ganz so schnell Fahrt aufnimmt. Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery war besonders wichtig in seiner Auftaktrede zu betonen, dass mit Hilfe der Telemedizin Patienten nun nicht in „vermeintlich einfache und kostengünstige Lösungen gedrängt werden“.

Vielmehr müsse der Patient in jedem Fall zustimmen, „wissend um Risiken und Chancen“. Goldstandard bleibe zudem auch in Zukunft, dass flächendeckend „die Möglichkeit des direkten Arzt-Patienten-Kontakts gewährleistet ist“. Es gehe bei dem Beschluss des Ärztetags zur Lockerung des Fernbehandlungsverbot am Ende vor allem darum gesetzlichen Regelungen für eine Liberalisierung, wie sie auf EU-Ebene drohen, zuvorzukommen. „Wenn wir diese Behandlungsform nicht gestalten, wird sie wohl dennoch auf anderem Wege zu uns kommen.“ Helle Begeisterung sieht anders aus.

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