
Angela Merkel, man kann es nicht anders sagen, ist ein Phänomen. Die präsidiale Unangreifbarkeit, das Schweben über dem politischen Kampfgetümmel, ihr absolut makel- wie meinungsloses, unfassbares und gleichzeitig so gefasstes Tun ist in ihrem Wesen immer noch unentschlüsselt. Man kann diese Aura sehen, aber keiner kann sie erklären. Wahrscheinlich könnte nicht einmal Angela Merkel sich selbst beibringen, wie sie das macht: das Merkelsein.
Dieses Merkelsein ist nun, Paradoxie der Geschichte, zur größten Gefahr für die Kanzlerin geworden. Seit Monaten schon verschärft die Bundesregierung Gesetz für Gesetz, Asylpaket für Asylpaket (heute im Bundestag war es wieder soweit) ihre Flüchtlingspolitik. Von der Willkommenskultur, erst recht vom Merkelschen Selbstanspruch – der Welt ein „freundliches Gesicht“ zeigen zu dürfen, nein: zu müssen – ist so gut wie nichts mehr übrig. All das ist nicht gegen den Willen der Bundeskanzlerin passiert. Es ist ihre Koalition, und es ist ihre Politik der Abschreckungskultur.
Nur: Merkel hilft das nicht. Weil diese Politik sich zu ihr verhält wie immer: seltsam unverbunden. Nie blieb an Merkel der entstellende Dreck des Regierungsalltags hängen, und das ist bis heute so. Weshalb die Kanzlerin in der Wahrnehmung vieler ihrer eigenen Parteigenossen und unter tätiger Mit-Inszenierung der CSU nicht die kaltherzige Realpolitikern von mittlerweile zwei Asylpaketen und Türkei-Scheckbuch-Verlockungen ist – sondern immer noch die Hier-stehe-ich-ich-kann-nicht-anders-Angela. Luther in Kanzlerinnengestalt.
Sie ist jetzt die Frau, die keine Grenzzäune ziehen will. Die Frau, die an Europa glaubt. An gemeinsame Lösungen. Immer noch. Mutti haben sie sie in der Union genannt. Das war stets eine respektlose Respektsbezeichnung für die kinderlose Über-Chefin. Aber Mutti existiert gar nicht mehr im parteiinternen Sprachgebrauch. Merkel ist jetzt wirklich nur noch „die Frau“. Die Frau, die wegmuss.
Status und Schutz von Flüchtlingen in Deutschland
Immer mehr Flüchtlinge kommen nach Deutschland. Viele von ihnen dürfen nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl aus unterschiedlichen rechtlichen Gründen bleiben. Dabei reicht die Spannbreite vom Asylstatus bis zu einer befristen Duldung mit drohender Abschiebung.
Flüchtlinge, die in ihrem Heimatländern politisch verfolgt werden, haben laut Artikel 16 a des Grundgesetzes Anspruch auf Asyl. Hierfür gibt es allerdings zahlreiche Schranken, die Ablehnungsquote bei Asylanträgen liegt bei 98 Prozent. Schutz und Bleiberecht etwa wegen religiöser Verfolgung oder der sexuellen Orientierung wird auf Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention gewährt. Für die Praxis spielt die genaue rechtliche Grundlage allerdings keine Rolle: Anerkannte Asylberechtigte erhalten gleichermaßen eine Aufenthaltserlaubnis, die nach drei Jahren überprüft wird. Auch bei den staatlichen Unterstützungsleistungen, etwa Arbeitslosengeld II oder Kindergeld, gibt es keine Unterschiede.
Sogenannten subsidiären, also nachrangigen, Schutz erhalten Flüchtlinge, die zwar keinen Anspruch auf Asyl haben, in ihrer Heimat aber ernsthaft bedroht werden, etwa durch Bürgerkrieg oder Folter. Sie sind als „international Schutzberechtigte“ vor einer Abschiebung erst einmal sicher und erhalten eine Aufenthaltserlaubnis für zunächst ein Jahr. Die Erlaubnis wird verlängert, wenn sich die Situation im Heimatland nicht geändert hat.
Eine Duldung erhält, wer etwa nach einem gescheiterten Asylantrag zur Ausreise verpflichtet ist, aber vorerst nicht abgeschoben werden kann. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn kein Pass vorliegt oder es keine Flugverbindung in eine Bürgerkriegsregion gibt. Fällt dieses sogenannte Hindernis weg, droht dem Betroffenen akut die Abschiebung. Zu den Hindernissen für eine Abschiebung zählt unter anderem auch der Schutz von Ehe und Familie. Beispielweise kann ein Ausländer, der hier mit einer Deutschen ein Kind hat, nicht ohne weiteres abgeschoben werden.
Genau genommen ist dieses Wahrnehmungsproblem sogar ein Doppeltes: Was vielen in der eigenen Partei zu überzeugt, zu gesinnungs-humanitär ist – genau dasselbe Handeln ist vielen Bürgern nicht überzeugend genug, zu inkonsistent, zu unentschlossen. Das Gefühl, bei Merkel gut aufgehoben und in Sicherheit gewogen zu sein, schwindet zulasten einer aufkeimenden Ahnung, die man bislang eher bei anderen Politikern hatte: Sie hat also auch keinen Plan.
Was sogar demoskopisch ziemlich eindeutig belegbar ist. Quasi auf den Tag genau, seit Angela Merkel „Wir schaffen das“ sagte, reagieren die jeweiligen Wahlumfragen von Union und AfD wie kommunizierende Röhren. Wobei das Kommunizieren bislang nur eine Richtung kennt: hoch für die AfD, runter für die Union.
Merkel gilt als mächtigste Politikerin der Welt, Europas sowieso. In der Flüchtlingskrise ist Merkel den Beweis dieser Kraft bislang schuldig geblieben. Mehrere intensive Monate voller Gipfel und Konsultationen haben weder bei der Befriedung Syriens noch bei der EU-Asylpolitik irgendwelche greifbaren Erfolge gezeitigt. Das ist zuallererst ein Debakel für die gesamte Europäische Union, dann aber schon eines für Merkel, die vermeintliche „Kanzlerin der freien Welt“ (Time).
Denn: Engagierte und moralisch-integre Machtlosigkeit mögen die Deutschen bei ihrem Außenminister. Nicht bei einer Kanzlerin.