Atomare Hinterlassenschaften „Am Ende kommt es hart auf hart“

Wohin mit dem Atommüll? Union, SPD und Grüne haben jetzt einen Gesetzentwurf für die Suche nach einem Ort für verstrahlen Müll in den Bundestag eingebracht. Keine Region wird von vornherein ausgeschlossen.

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Die bisherige Suche nach möglichen Endlagerstandorten in Deutschland war von heftigen Auseinandersetzungen begleitet - und am Ende erfolglos. Quelle: dpa

Berlin Die Vorbereitungen waren zeitintensiv - aber jetzt soll alles ganz schnell gehen. Bereits bis Ende des Monats soll das novellierte Standortauswahlgesetz vom Bundestag verabschiedet werden - die Grundlage dafür, dass die Suche nach einem Endlager für Deutschlands verstrahlten Müll gestartet werden kann. Am Mittwoch brachten CDU/CSU, SPD und die Grünen einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf in das Parlament ein.

„Die Novellierung des Standortauswahlgesetzes ist das vielleicht wichtigste umweltpolitische Gesetz in dieser Legislaturperiode“, sagte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) dazu am Mittwoch. „Es ist der Startschuss für eine neue, offene und transparente Suche nach einem Endlagerstandort für die hochradioaktiven Hinterlassenschaften der Atomenergienutzung in Deutschland.“ Bis heute gibt es in Deutschland kein Endlager für das strahlende Erbe des Atomzeitalters. Als sie vor etwas mehr als drei Jahren ins Amt kam, sagte Hendricks, „war der Atomausstieg beschlossen, aber längst nicht organisiert." Jetzt könne eine faire, wissenschaftsbasierte Suche starten. Leitprinzip sei die weiße Landkarte, so die Ministerin. „Wir betrachten das gesamte Bundesgebiet. Wir bevorzugen keine Regionen. Wir schließen keine Regionen von vornherein aus. Wir beziehen die Öffentlichkeit in jeder Stufe des Verfahrens ein.“

Die bisherige Suche nach möglichen Endlagerstandorten in Deutschland war von heftigen Auseinandersetzungen begleitet - und am Ende erfolglos. Die 1979 begonnene Erkundung des niedersächsischen Salzstocks Gorleben beispielsweise führte zu massiven Protesten, wurde mehrfach unterbrochen und schließlich beendet. Bei der neuerlichen Standortsuche wird der Salzstock jedoch bewertet und behandelt wie jedes andere Gebiet in Deutschland auch - eine Entscheidung, die durchaus umstritten war. Eine politische Vorfestlegung von Gorleben schloss Hendricks aber ebenfalls aus. „Wir beenden heute die politische Vorfestlegung auf Gorleben“, sagte die Ministerin. Sie betonte, dass bis 2031 ein Endlagerstandort mit der bestmöglichen Sicherheit gefunden werden solle. 2051 solle dann mit der Einlagerung begonnen werden können. Das sei ein ehrgeiziger Zeitplan, sagte die 64-Jährige, aber vorläufig sei sie nicht bereit, sich davon zu verabschieden.

Eine 34-köpfige Expertenrunde, die Kommission „Lagerung hochradioaktiver Abfallstoffe, hatte nach zwei Jahren Arbeit im vergangenen Sommer ihren Abschlussbericht mit Empfehlungen für die Suche nach einem Endlager vorgelegt. Das jetzt vorgelegte Gesetz basiert auf den Empfehlungen dieser Gruppe, die aus Politikern, Naturwissenschaftlern, Ingenieuren, Juristen und Umweltschützern bestanden hatte. Steffen Kanitz (CDU) lobte den „großen, politischen Konsens“. Es gebe jetzt ein klares Verfahren, dass sich an der Wissenschaft orientiere. Es sei ein Glück, dass es in Deutschland drei potenziell geeignete Wirtsgesteine gebe, nämlich Salz, Ton und Kristallin (Granit). Damit ist es bislang völlig unklar, welche Regionen in Frage kommen könnten. „Wir suchen in allen Wirtsgesteinen und zwar gleichberechtigt“, sagte auch Sylvia Kotting-Uhl (Grüne).

Matthias Miersch (SPD) erklärte, es gebe zwar die weiße Landkarte, „die aber durchsetzt ist mit unterschiedlichen Interessen“, die allesamt in den nächsten Monaten und Jahren zu Tage treten würden. Es sei die Grundlage für ein faires Verfahren geschaffen worden, aber am Ende, konstatierte Hendricks, komme es „hart auf hart“. Trotz eines wissenschaftlich basierten Entscheidungsprozesses, trotz vieler Partizipationsmöglichkeiten der Bürger, die vorgesehen seien, müsse am Ende eine eine politische Entscheidung getroffen werden. Kritik kam von den Linken. Die Fraktion kritisiert unter anderem, dass Gorleben nicht aus dem Verfahren genommen wurde.

Zentrale Empfehlung der Kommission und nun Bestandteil des Gesetzesentwurfs ist die Endlagerung in tiefen geologischen Formationen in einem Bergwerk - nicht im Weltraum, nicht im Ozean, nicht im antarktischen oder grönländischen Eis, allesamt Möglichkeiten, die in den vergangenen Jahren immer wieder diskutiert, dann aber verworfen worden waren. Das Konzept soll zu jedem Zeitpunkt reversibel sein, das beinhaltet die Bergbarkeit der Abfälle für zumindest 500 Jahre, falls eines Tages doch noch unerwartete Sicherheitsrisiken auftauchen sollten oder bessere Lagermöglichkeiten gefunden werden. Keine Region, kein Standort ist tabu, bevor nicht intensive geologische Prüfungen vorgenommen wurden.

Das passiert in drei Phasen, inklusive einer obertägigen- und untertägigen Erkundung der Standorte. Auch Bayern und Sachsen mit ihren Granitstandorten bleiben im Verfahren. Die beiden Länder hatten argumentiert, das Gestein eigne sich schlechter als Salz oder Ton. Dem haben Wissenschaftler widersprochen. Ein Export der atomaren Hinterlassenschaften soll grundsätzlich nicht in Frage kommen. Es sei ihr Ziel, die politischen Grabenkämpfe rund um die Atomkraft zu beenden und hoffe deswegen auf eine breite Mehrheit für das Gesetz in Bundestag und Bundesrat, sagte Umweltministerin Hendricks. Sie selbst sei, wenn frühestens Mitte des Jahrhunderts mit der Einlagerung begonnen werden könne, 98 Jahre alt. „Dann komme ich mal gucken.“

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