Atomkraft Olaf Scholz: Der Abrüstungskanzler?

Die drei noch verbliebenen Atomkraftwerke in Deutschland laufen nach den Worten von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bis Mitte April 2023 weiter - so Scholz am Dienstag in Berlin nach einem Treffen der „Allianz für Transformation“. Quelle: REUTERS

Bis vor kurzem ist Olaf Scholz als Bundeskanzler hauptsächlich in seiner Eigenschaft als Abkanzler und Schattenkanzler hervorgetreten. Jetzt könnte eine neue Beschreibung hinzukommen. Ein Gastbeitrag.

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Das vermeintliche „Machtwort“ des Kanzlers in Sachen Atomkraftwerke ist eher ein minimaler Formelkompromiss, um seine Ampelkoalition zu retten. Ob er mit dieser Maßnahme Schaden vom deutschen Volk abwendet, wie es sein Amtseid von ihm verlangt, ist eine sehr offene Frage.

In jedem Fall hat der Kanzler mit seinen großen Zugeständnissen an die Grünen jetzt die politische Verantwortung dafür übernommen, falls es zu Ausfällen bei der ausreichenden Energieversorgung unseres Landes kommt. Denn mit seiner Richtlinienentscheidung hat er sich der grünen Philosophie, alles extrem auf Kante zu nähen, angeschlossen.

Ob das angekündigte „energiepolitische Sofortprogramm“ daran etwas ändern wird, ist bei den mittlerweile für Deutschland typischen Verzögerungen bei der Umsetzung von wichtigen Maßnahmen in die Realität zu bezweifeln. Bis in dieser Hinsicht das Gegenteil bewiesen ist, wirkt das Vorhaben wie eine neue Runde der Ankündigungsmeierei.

Kanzler Olaf Scholz spricht im Streit um den Weiterbetrieb der drei verbleibenden Kernkraftwerke ein Machtwort und düpiert seine Koalitionspartner, allen voran die Grünen bei ihrem Symbolthema Atomausstieg.
von Daniel Goffart

All dies ist umso frappierender, als Olaf Scholz, bevor er Bundeskanzler wurde, zuvor unter anderem Generalsekretär der SPD, Bundesarbeitsminister, Hamburgs Erster Bürgermeister und Bundesfinanzminister war. All diesen Posten sollten ihn als einen kompetenten Krisenmanager qualifiziert haben, sollte man meinen.

Aber weit gefehlt. Merkelsches Aussitzen, wie dies auch Scholz verfolgt, ist schlicht nicht länger möglich. Der Grund? Die Bundesrepublik Deutschland hat in den Merkel-Jahren ihr Tafelsilber weitgehend aufgebraucht.

Die unendliche Zögerlichkeit des Olaf Scholz könnte dazu führen, dass er als Abrüstungskanzler in die Annalen unseres Landes eingehen wird. Das bezieht sich allerdings nicht auf die Form von Abrüstung, mit der seine Partei seit Jahrzehnten liebäugelt: Es geht weder um Atomwaffen noch ums Militär.

Scholz rüstet Industrie und Sozialstaat ab

Die Abrüstung, auf die Scholz wie ein ahnungsloser Steuermann in seiner ewigen Passivität zusteuert, ist die Abrüstung der deutschen Industrie. Und damit weitergedacht auch das unweigerliche Ende des deutschen Sozialstaates, der ja erst durch erfolgreiche Wirtschaftstätigkeit ermöglicht wird.

Gewiss, die Abrüstung der deutschen Wirtschaft ist teils selbstverschuldet. Viele Manager in den Unternehmen haben zu lange auf billige Energie als zentrales Geschäftsmodell gesetzt.
So gingen die Grundsätze des Realismus, der Machbarkeit und der Maximen der Risikominimierung in Deutschland in den letzten zwei Jahrzehnten Stück für Stück verloren. Stattdessen haben wir uns gemütlich in einem Wolkenkuckucksheim der Wunschvorstellungen eingerichtet.

Wer in der Energiepolitik nicht rechtzeitig das Richtige tut, den bestraft sowohl die Geschichte – als auch der Markt.
von Stephan-Götz Richter

Unter diesen Vorzeichen haben wir auch mit Deutschlands Vorreiterrolle in den frühen 2000er Jahren beim Übergang zu den erneuerbaren Energien Schindluder getrieben. Unseren technologischen Vorsprung auf diesem Gebiet, aus dem wir dauerhaft weltwirtschaftliche Vorteile ziehen wollten, haben wir verspielt. Grund hierfür sind bis heute anhaltende, lähmende Verfahrenslängen bei der Bewilligung und dem Bau von Anlagen sowie die mangelnde politische Bereitschaft, unserer Industrie zu erlauben, international relevante neue Technologien auch im Inland verfolgen zu können.

Viel von der im Bereich der erneuerbaren Energien eingesetzten Technik wird mittlerweile in China produziert. Auch wenn diese Produktionsverlagerung jetzt im Sinne des „friend shoring“ korrigiert wird, gibt es doch keine klimapolitisch relevanten Zukunftstechnologien, bei denen wir Weltmarktführer sind.

Weil viele der mit der Energiewende versprochenen Entwicklungen in Deutschland bisher nicht Wirklichkeit geworden sind, versuchen ihre Apologeten – wie zum Beispiel Claudia Kemfert vom DWI – in TV-Talkshows zweierlei: Erstens die Tatsache zu verdecken, dass wir mit den Erneuerbaren trotz aller Anstrengungen bisher nur 16 Prozent unseres Primärenergieverbrauchs abdecken können.

Und zweitens geht es darum, das stetige Verschieben des Zeithorizonts nach hinten zu übertünchen. Von den Grünen wird mantrahaft permanent so getan, als stünde der große Durchbruch spätestens morgen bevor. Aber leider ist die rhetorisch flammende Verkündigung eines Willens etwas ganz anderes als der Eintritt des verheißenen Ergebnisses in der Wirklichkeit. Die Energiepreise steigen stetig, obwohl uns doch die Sonne und der Wind angeblich keine Rechnung schicken.

Und selbst trotz der aktuellen Krisensituation wird es Jahre dauern, bis sich der Verwaltungsstau bei all den Genehmigungsverfahren auflöst, falls dies überhaupt je passieren wird.

Die wahre Tragik besteht darin, dass wir in unserer Politik so gut wie keine Menschen mehr haben, die sich trauen, sich den säuselnden Verheißungen entgegenzustellen. Diese butterweiche Haltung resultiert aus der Logik unserer Wahlarithmetik. Denn solange die AfD existiert, kennen sowohl die SPD wie auch die CDU nur ein machtpolitisches Ziel, nämlich sich aus koalitionstaktischen Gründen den Grünen anzudienen.

Und diese Grünen sind von ihren Parteimitgliedern her, trotz rühmlicher Ausnahmen wie Kerstin Andreae, nun einmal so gestrickt, dass sie eine von Jürgen Trittin fröhlich angefeuerte, ebenso rigorose wie perfide „vorbei ist vorbei, beschlossen ist beschlossen"-Strategie verfolgen. Und die zudem wunderbar auf der Klaviatur der deutschen Angst vor neuen Technologien spielen – von Atomkraft über Fracking bis hin zu Carbon Capture.

So wurde aus der Energiewende, die ja an sich ein dringend erforderliches, technisch-wirtschaftliches Projekt von immensem Ausmaß ist, eine Art Märchenschloss. Zugleich setzte sich ein jeder, der sich nachzurechnen traute, sofort dem Verdacht des rechten Spielverderbers aus. Dementsprechend fielen die für den gedeihlichen Fortbestand unserer Volkswirtschaft (und Gesellschaft!) elementar wichtige Wirtschafts- und Versorgungsaspekte so aus dem als zulässig erachteten Argumentationsspektrum.

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Was macht Olaf Scholz?

In dieser kritischen Situation müsste ein von seinem Naturell her vorsichtiger Mensch wie Olaf Scholz eigentlich aufräumen. Angesichts seiner Rolle als Bundeskanzler ist das sogar seine Dienstpflicht. Das würde aktuell heißen, die Interessen der Wirtschaft herausstellen und seine Richtlinienkompetenz zu nutzen. Stattdessen hält er sich bedeckt, gerade auch bei der Atomfrage, um nur nicht mit den Grünen anzuecken.

Wenn Scholz bei seinem Kurs bleibt und nicht endlich dazu übergeht, wirtschaftliche Realitäten und real-physikalische – und nicht politisch-opportunistische – Mengenlehre zu betreiben, riskiert er, als der Kanzler der industriellen Abrüstung Deutschlands in die Geschichtsbücher einzugehen.

Und da industrieller Erfolg und Sozialstaat Hand in Hand gehen, würde auch er es sein, der als der (von der SPD gestellte!) Kanzler den deutschen Sozialstaat bleibend beschädigte. In der Phalanx unserer Kanzler würde er zu einer Art Brüning im 21. Jahrhundert.

Ein großes Problem ist, wie wirtschaftsfern Olaf Scholz – insbesondere für einen Politiker aus Hamburg – von seiner Kontakt- und Erfahrungsstruktur her ist. Auch wenn aktuell deutsche CEOs endlich Tacheles reden und offenmütig bekunden, dass sie, um ihr eigenes Unternehmen zu retten, schon dabei sind, Investitionsentscheidungen zur Verlagerung der Produktion ins Ausland vorzubereiten oder zu beschleunigen, sickert diese Nachricht in unserer erstaunlich wirtschaftsfernen Politik- und Verwaltungskaste nur langsam ein. Dies gilt trotz der dramatischen Tatsache, dass Entscheidungen zur Verlagerung einer Produktionsstätte kaum rückgängig gemacht werden können.

Im Unterschied zur Bundespolitik sind Wirtschaftsmanager aufgrund ihres beruflichen Trainings vom Anfang ihrer Karriere an darauf fokussiert, in Risiko- und Alternativszenarien zu denken und entsprechend zu handeln. Insofern verstehen sie ganz grundsätzlich nicht, wieso die Politik bei einem so epochalen Thema ohne irgendein belastbares Auffangnetz so voll ins Risiko gehen kann.

Dass die Politik, um Erfolge – freilich nur in der Rhetorik und in Sonntagsreden – verkünden zu können, eine Energiewende vorwärtstreibt, ohne in Alternativen zu denken, ohne einen Plan B, ist eigentlich unvorstellbar. Dies gilt umso mehr, als wir in einer Zeit leben, in der es an allen Ecken und Enden an Energie fehlt.

Gerade ein Olaf Scholz, mit seinem unablässig buchhalterischen Auftreten, sollte es als ehemaliger Erster Bürgermeister der Hansestadt Hamburg und ehemaliger Finanzminister besser wissen.

Ist er am Ende gar nicht der Mann von Welt mit voller Übersicht, mit internationaler Erfahrung auf Augenhöhe mit den Politikern dieser Welt agierend, als der er sich gerne präsentiert?

Scholz macht’s?

War das Versprechen vom „Macher“ im zurückliegenden Bundestagswahlkampf nur eine Fiktion? Das Merkelsche Wegducken und Aussitzen, dem Scholz offensichtlich gerne frönen würde, geht in der bislang größten Energiekrise des Landes schlicht nicht mehr. Es gilt, Dinge zu managen, zu entscheiden, ideologisch gesetzte Tabus zu überwinden und dafür politisch zu kämpfen. Der Kanzler ist der Kanzler – und nicht der Verwalter des Status Quo, schon gar nicht in einer Krise.

Um gegen die Trittin-Phalanx bei den Grünen anzukommen, müsste Scholz Annalena Baerbock wie auch Robert Habeck nur an ihre Versprechen aus dem Bundestagswahlkampf 2017 erinnern. Damals haben sie immer wieder explizit darauf Bezug genommen, dass sie sicherstellen wollten, dass gerade auch die Grundstoffindustrien in Deutschland beheimatet bleiben. Dieses Versprechen droht, zur Falschaussage zu werden.

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Wenn sich die Dinge bei uns im Lande nicht radikal ändern, dann werden wir 2045 im Rückblick auf die zurückliegenden vierzig Jahre feststellen, dass uns erst Angela Merkel als unverantwortliche Risikomaximiererin Putin in die Arme getrieben hat. Und dass es mit ihrer Energiewendepolitik ohne Auffangseil und angemessene Mengenlehre anschließend ausgerechnet die Grünen waren, die sich faktisch zum Zwangsvollstrecker der dunklen Machenschaften Putins mit Blick auf Deutschland machten. Wobei Olaf Scholz als willfähriger Steigbügelhalter dient!

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