Atomkraftwerke Die teuerste Baustelle des Jahrhunderts

Seite 3/4

Atommülltrennung

Eine Unternehmensberatung hat vor einiger Zeit einmal vorgerechnet, dass in den USA so ein Kernkraftwerk deutlich billiger beseitigt wird: Dort wird der gesamte Reaktorkern per Kran aus der Betonummantelung gezogen und komplett in einem Atomzwischenlager abgelegt: Nach einigen Jahren Abklingzeit können die Behälter dann zu Kleinschrott zerlegt werden. In Deutschland hat man sich für die gründlichere Variante entschieden.

So viel Zeit muss sein: Allein die Sicherheitsprozedur dauert pro Mann fünf Minuten. Quelle: Arne Weychardt für WirtschftsWoche

Aber Klein wäre kein deutscher Ingenieur, wenn er sich nicht auch dafür eine Lösung überlegt hätte. „Wir nennen es das Muldensystem“, sagt er und deutet auf drei große Bottiche, die nach Mülltrennung aussehen. Und so ist es auch: In den eisernen Gitterboxen lagern die rohen Abfälle, die direkt aus der Kalotte stammen, wenn sie zerlegt werden, wandern sie in rote Säcke, sobald sie dekontaminiert sind, geht es in die grünen. Und erst dann endlich raus aus dem Gebäude. „So haben wir viele kleine Sammelstellen und sparen uns den einen großen Zerlegeplatz“, sagt Klein, der in nur ein paar Schritten zu seiner wohl wichtigsten Entdeckung in den vergangenen Jahren kommt – nur war das leider keine positive: Wasser, das nur aus dem Reaktor selbst stammen konnte. Was daraus folgt, offenbart den kompliziertesten Teil der komplizierten Aufgabe Rückbau: Insgesamt, so ermittelten Kleins Leute, waren nur 112 Liter Wasser entwichen. Und das vermutlich auch bereits 1972 beim Bau der Anlage.

Wie im Ausland die Atommüll-Kosten gestemmt werden

Doch beides ist unerheblich: „Wir müssen deshalb nicht nur das Innenleben, sondern auch die gesamte Kalotte nach den Regeln des Atomgesetzes demontieren und entsorgen“, sagt Klein und öffnet endlich den Weg ins Innerste des Kraftwerks.

Wo einst ein offener Raum war, ist derzeit ein verwinkeltes Netz von Baugerüsten, das sich vieleckig an die Kalotte schmiegt. Von dem Gerüst aus werden sich nun bald Arbeiter daranmachen, die Kalotte zu zersägen. Kein potenziell radioaktives Teil darf für die Entsorgung schwerer als zwei Tonnen sein. Um das Stück aber überhaupt in Teile zersägen zu können, brauchen Kleins Mannen eine spezielle Apparatur aus Diamantseil, die nur ein einziges Unternehmen weltweit herstellt. Die letzten Monate hat man hier damit verbracht, sich auf den Einsatz vorzubereiten. Die kirchturmhohe Kalotte wurde Meter für Meter in quadratische Abschnitte unterteilt, die jeweils nummeriert wurden, sodass auch nach dem Abbruch jedes Teils exakt seinem Platz zuzuordnen ist. Alle 100.000 Dübel in der Wand der Kalotte mussten einzeln herausgesägt werden, um sie separat dekontaminieren und deponieren zu können. Und so werden die 112 Liter Wasser den Abbau um mindestens 500 Millionen Euro verteuern und um acht Jahre verzögern.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%