Eine Unternehmensberatung hat vor einiger Zeit einmal vorgerechnet, dass in den USA so ein Kernkraftwerk deutlich billiger beseitigt wird: Dort wird der gesamte Reaktorkern per Kran aus der Betonummantelung gezogen und komplett in einem Atomzwischenlager abgelegt: Nach einigen Jahren Abklingzeit können die Behälter dann zu Kleinschrott zerlegt werden. In Deutschland hat man sich für die gründlichere Variante entschieden.
Aber Klein wäre kein deutscher Ingenieur, wenn er sich nicht auch dafür eine Lösung überlegt hätte. „Wir nennen es das Muldensystem“, sagt er und deutet auf drei große Bottiche, die nach Mülltrennung aussehen. Und so ist es auch: In den eisernen Gitterboxen lagern die rohen Abfälle, die direkt aus der Kalotte stammen, wenn sie zerlegt werden, wandern sie in rote Säcke, sobald sie dekontaminiert sind, geht es in die grünen. Und erst dann endlich raus aus dem Gebäude. „So haben wir viele kleine Sammelstellen und sparen uns den einen großen Zerlegeplatz“, sagt Klein, der in nur ein paar Schritten zu seiner wohl wichtigsten Entdeckung in den vergangenen Jahren kommt – nur war das leider keine positive: Wasser, das nur aus dem Reaktor selbst stammen konnte. Was daraus folgt, offenbart den kompliziertesten Teil der komplizierten Aufgabe Rückbau: Insgesamt, so ermittelten Kleins Leute, waren nur 112 Liter Wasser entwichen. Und das vermutlich auch bereits 1972 beim Bau der Anlage.
Wie im Ausland die Atommüll-Kosten gestemmt werden
Die Atomkommission der Bundesregierung hat sich auf einen Vorschlag verständigt, wie die Finanzierung der Atommüll-Altlasten gesichert werden kann. In praktisch keinem Land Europas gibt es dafür so wenige Vorschriften, was die Vorsorge für Abriss der Meiler und Lagerung des strahlenden Mülls betrifft. Zwar gelten die von den Unternehmen gebildeten rund 40 Milliarden Euro Rückstellungen im europäischen Vergleich als hoch. Doch sie sind allein unter Kontrolle der Firmen und zudem in Kraftwerken oder anderen Anlagen investiert.Andere Länder haben schon vor Jahren Strategien entwickelt, wie die zurückgestellten Mittel gesichert, flüssiggemacht und notfalls aufgestockt werden können.
Das Land hat die meisten Atomkraftwerke in Europa, die alle von der staatlich dominierten EDF betrieben werden. Der Konzern ist gesetzlich verpflichtet, für die Entsorgungskosten in einem zweckgebundenen Fonds zu sparen. Das Geld muss nach festgesetzten Kriterien vorsichtig angelegt werden, was von einer nationalen Kommission überwacht wird. Die Offenlegung geht über normale Auskunftspflichten von Firmen hinaus. EDF darf dabei nur mit einer Verzinsung des Kapitals kalkulieren, die sich an einer Reihe vom Staat vorgegebenen Parametern orientiert. Zuletzt setzte EDF 4,6 Prozent an, wofür der Konzern allerdings eine Ausnahmegenehmigung in Anspruch nehmen musste. Zum Vergleich: Die deutschen Versorger kalkulieren mit einer Verzinsung ihrer Rückstellungen in nahezu der gleichen Höhe.
Ein Fonds, der von der Regierung verwaltet wird, soll sowohl die Ausgaben für Abriss der Meiler als auch die langfristige Lagerung des Mülls finanzieren. In den Fonds eingezahlt wird eine Abgabe der AKW-Betreiber, die etwa zehn Prozent der Strom-Produktionskosten beträgt. Die genaue Höhe wird jedes Jahr neu festgelegt. Dazu kann ein Risikoaufschlag von bis zu zehn Prozent der Gesamtsumme verlangt werden, um unerwartete Kostensteigerungen bei der Müll-Entsorgung abzufangen. Das Geld wird nach festgelegten Kriterien überwiegend in Staatsanleihen angelegt. Je nachdem, wie hoch die Rendite des Fonds in einem Jahr ausfällt, werden die Gebühren für den Müll erhöht oder gesenkt. Die Betreiber können sich bis zu 75 Prozent des Geldes aus dem Fonds zurückleihen, allerdings nur mit ausreichenden Sicherheiten. Geht ein Betreiber Pleite, muss der Steuerzahler allerdings für ihn einspringen.
Auch hier soll ein unabhängiger Fonds sowohl die Abrisskosten als auch die Mülllagerung finanzieren. Alle drei Jahre legen die Betreiber Kostenschätzungen vor, nach denen sich dann die Einzahlungen in den Fonds richten. Dazu wird für jedes einzelne Kraftwerk eine unterschiedliche Gebühr erhoben. Die Mittel im Fonds bleiben auf die einzelnen Betreiber aufgeteilt, eine Gesamthaftung gibt es nicht. Investieren darf der Fonds nur in risikoarme schwedische Anleihen und Festgeldanlagen. Sollten die Summen nicht ausreichen, müssen die Betreiber nachschießen. Der Staat darf auch einen Risikoaufschlag erheben, um sich gegen Pleitegefahr eines Betreibers abzusichern, hat das aber bislang nicht getan.
Das Land unterscheidet zwischen einem AKW-Stilllegungs- und einem Entsorgungsfonds. Beide Fonds stehen unter staatlicher Kontrolle. Die Verwalter entscheiden über Höhe der Beiträge sowie über die Anlagepolitik. Zuletzt wurde eine Sonderzahlung als Risikoaufschlag beschlossen. Alle fünf Jahre werden die erwarteten Entsorgungskosten neu berechnet und die Jahresbeiträge der Versorger angepasst. Sollten die Fondsanteile eines Versorger für die Altlasten nicht ausreichen und dieser nicht zahlungsfähig sein, müssen andere Betreiber bis zu einer Belastungsgrenze mithaften. Danach muss der Steuerzahler einspringen.
Doch beides ist unerheblich: „Wir müssen deshalb nicht nur das Innenleben, sondern auch die gesamte Kalotte nach den Regeln des Atomgesetzes demontieren und entsorgen“, sagt Klein und öffnet endlich den Weg ins Innerste des Kraftwerks.
Wo einst ein offener Raum war, ist derzeit ein verwinkeltes Netz von Baugerüsten, das sich vieleckig an die Kalotte schmiegt. Von dem Gerüst aus werden sich nun bald Arbeiter daranmachen, die Kalotte zu zersägen. Kein potenziell radioaktives Teil darf für die Entsorgung schwerer als zwei Tonnen sein. Um das Stück aber überhaupt in Teile zersägen zu können, brauchen Kleins Mannen eine spezielle Apparatur aus Diamantseil, die nur ein einziges Unternehmen weltweit herstellt. Die letzten Monate hat man hier damit verbracht, sich auf den Einsatz vorzubereiten. Die kirchturmhohe Kalotte wurde Meter für Meter in quadratische Abschnitte unterteilt, die jeweils nummeriert wurden, sodass auch nach dem Abbruch jedes Teils exakt seinem Platz zuzuordnen ist. Alle 100.000 Dübel in der Wand der Kalotte mussten einzeln herausgesägt werden, um sie separat dekontaminieren und deponieren zu können. Und so werden die 112 Liter Wasser den Abbau um mindestens 500 Millionen Euro verteuern und um acht Jahre verzögern.