Aufstieg der Rechtspopulisten in Deutschland und Österreich Österreichs Wahlkampf zeigt Deutschlands politische Zukunft auf

Ein Grüner und ein Rechtspopulist wetteifern um das höchste Staatsamt in Österreich. Diese Konfliktlinie wird auch Deutschland künftig prägen.

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Wahlplakate der FPÖ, SPÖ und Grünen. Quelle: REUTERS

Es war eine denkwürdige Szene. Vor einigen Tagen saßen sich Alexander van der Bellen und Norbert Hofer, die beiden Kandidaten, die aus dem ersten Wahlgang zum österreichischen Bundespräsidenten siegreich hervorgegangen sind, in einem Diskussionsduell gegenüber.

Gleich zu Anfang präsentiert van der Bellen, früherer Obmann der Grünen, stolz seine „parteiübergreifende“ Unterstützung - in Brüssel, in Berlin, aus der ÖVP, aus der SPÖ, „jede Menge Künstler und Kulturschaffende“. Hofer, der überraschend im ersten Wahlgang führende Kandidat der FPÖ entgegnet: „Sie haben die Haute Volée, und ich habe die Menschen“.

Dazu ergänzte er noch die von van der Bellen nicht genannten Namen Juncker und Schulz – Inbegriffe des Brüsseler EU-Betriebs und für die Wähler der Freiheitlichen (und der AfD) all dessen, was man nicht leiden mag. Man sieht Hofer die Freude über diese Vorlage des Gegners an.

Van der Bellen sieht seinen Gegenkandidaten als „schlechter dafür geeignet“, Österreich nach außen zu repräsentieren und nach innen moderierend zu wirken. Er will sagen: Seht her, das Schmuddelkind. Wollt ihr unser Land mit dem blamieren? Das erinnert an die Angst des politischen Establishments der amerikanischen Republikaner vor ihrem designierten Präsidentschaftskandidaten Trump. Hofer dagegen erinnert jetzt erst recht an Donald Trump und sein „America first“: „Bei jeder Entscheidung, die ich treffe, steht Österreich an erster Stelle.“

Der Präsidentschaftswahlkampf in Österreich ist weit über seine eigentlich beschränkte Bedeutung hinaus symptomatisch. Denn er ermöglicht vielleicht einen Blick in die politische Zukunft Deutschlands. Van der Bellen und Hofer stehen längst nicht nur für ihre eigenen Parteien, nämlich die Grünen und die Freiheitlichen (FPÖ). Sie stehen für die zwei politischen Kraftpole der Gegenwart in den meisten Ländern Europas und – mit einiger Verspätung – nunmehr auch Deutschlands.

Szenenwechsel. Eine denkwürdige Begegnung im Stuttgarter Landtag vor einigen Tagen, die der SWR festgehalten hat: Die neu gewählte AfD-Abgeordnete Christina Baum begegnet dem SPD-Abgeordneten Wolfgang Drexler, streckt ihm die Hand entgegen. Der hält die Arme demonstrativ verschränkt. „Jemandem der sagt, wir hätten eine Meinungsdiktatur…“ – „… aber ich bin gewählte Abgeordnete und wir leben in einer Demokratie“ – „Ich muss doch nicht jedem Abgeordneten die Hand geben“ – „Na, das akzeptiere ich natürlich“, sagt Baum süffisant. „Tschüß“ – „Tschüß“. Abgang.

In Österreich, in Deutschland, in den USA und in den meisten anderen westlichen Nationen offenbart sich in solchen Begegnungen einen epochaler Wandel der innen- und parteipolitischen Konfliktlinien: Sie verlaufen längst nicht mehr zwischen denen, die man früher mal als „links“ und „rechts“ unterschied, also zwischen eher sozialdemokratisch-sozialistisch gesinnten und eher christdemokratisch-konservativen Volksparteien. Sie verlaufen stattdessen zwischen den etablierten Parteien, die untereinander in jeglicher Kombination koalitionsbereit sind, und den neuen, meist als „populistisch“ titulierten Kräften. In Österreich sind letztere schon seit Jörg Haiders FPÖ-Übernahme einigen Jahren immer stärker geworden, in Deutschland erleben sie als AfD erst seit kurzem ihren im europäischen Vergleich verspäteten Frühling.

Die Szenen zeigen symptomatisch die Verkrampfung der etablierten Parteien im Umgang mit der rechtspopulistischen Konkurrenz. Noch immer werden die Freiheitlichen in Österreich und die AfD nicht als normaler politischer Gegner akzeptiert, sondern nach moralischen Kategorien als Unberührbare gebrandmarkt. Das ist umso auffälliger als man unter den Abgeordneten der anderen Parteien oft einen fraktionsübergreifenden Kumpel-Ton hört. Man duzt sich und spielt zusammen Fußball. Ein grüner Ministerpräsident betet sogar öffentlich für eine christdemokratische Bundeskanzlerin.

Es ist eher unwahrscheinlich, dass solche demonstrative Herzlichkeit der etablierten Parteien untereinander bei gleichzeitig demonstriertem Ekel gegenüber den Schmuddelkindern der AfD deren Wähler zurück in die Arme der einstmaligen Volksparteien oder gar der neuen Volkspartei der Grünen treibt. Der Widerwillen gegen den als Machtklüngel empfundenen Politikbetrieb ist schließlich einer der wichtigsten Motive des Wählers der AfD oder der FPÖ.

"Kurs halten"?

SPD-Mann Drexler mag den verweigerten Händedruck als moralisch gerechtfertigt empfinden. Doch er war nicht nur unhöflich, sondern auch taktisch unklug: Szenen wie die im Stuttgarter Landtag werden den AfD-Wähler in seinem Widerwillen gegen die als arrogant empfundenen „Altparteien“ bestärken. Auch Hofer dürfte sich über van der Bellens Aufzählung seiner prominenten Unterstützer in den Eliten der europäischen Hauptstädten sehr gefreut haben. Sie gab ihm die Gelegenheit, sich als Volkstribun gegen die Eliten zu präsentieren.

Wenn die politischen Gegensätze zwischen den bisherigen Volksparteien in langjährigen – immer weniger „groß“ zu nennenden – Koalitionen unkenntlich werden sich deren Positionen zum Zwecke der Herstellung allseitiger Koalitionsfähigkeit, man könnte dies auch einfach als Willen zum Machterhalt bezeichnen, angleichen, dann ist der Verlust an politischer Lebenskraft kein Zufall. Parteien, die zu reinen Positionsverteilungsagenturen degenerieren, sind irgendwann auch für den treuesten Wähler nicht mehr attraktiv.

Die jüngste der etablierten, koalitionsfähigen und im Bundestag vertretenen Parteien (die Linke wollen wir nicht dazu zählen) legt bei weitem die größte Vitalität an den Tag. Die Grünen haben längst die ideelle Führung im politischen Betrieb der Hauptstädte übernommen. Die großen politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen der jüngeren Zeit sind mit ihnen verbunden: Ökologie, Wandel zur Einwanderungsgesellschaft, Gleichstellungspolitik. Bei so vielen Siegen fiel es ihnen leicht, sich mit dem Kapitalismus als solchem zu arrangieren.

Van der Bellen in Österreich erinnert nicht nur äußerlich und altersmäßig an den grünen Ministerpräsidenten Kretschmann. In ihrer Jugend waren beide mit den Grünen noch Anti-Establishment-Rebellen. Nun werden sie von den Parteien, die sie einst bekämpften, umworben. Die einstigen Emporkömmlinge sitzen nun selbst bei den Eliten am Tisch, sind Teilhaber der Macht geworden.

Vitale politische Bewegungen entstehen in aller Regel gegen die herrschende Macht. Sie gehen von den mit den Zuständen Unzufriedenen aus. Von denen, die sich durch die etablierten Parteien nicht angemessen vertreten fühlen. Wenn diese nicht in der Lage oder unwillig sind, diese Unzufriedenen und Besorgten zu repräsentieren (wie das die Vor-Merkel-CDU und die alte SPD mustergültig exerzierten), hilft ihnen wohl auch die moralisierende Brandmarkung der Emporkömmlinge auf die Dauer nicht.

Wird die AfD langfristig erfolgreich sein?

Sowohl in der CDU als auch in der SPD hat man die Frühgeschichte der Grünen offenbar vergessen, die zeigt, was passiert, wenn Volksparteien sich nicht verjüngen, in dem sie zentrale Anliegen breiter Wählerschichten aufnehmen. Kohl bezeichnete es einmal in vertrauter Runde als seinen größten Fehler, dass er Herbert Gruhl („Ein Planet wird geplündert“) aus der CDU geekelt und damit die Möglichkeit verpasst hat, den Naturschutz in konservativer Variante an die Union zu binden. Dem ökologieblinden Helmut Schmidt ist ähnliches für die SPD vorzuwerfen. Die Folge war der Aufstieg der Grünen, denen man sich heute an den Hals wirft.

Kohl hatte seine Lektion gelernt. Nach dem Aufkommen der „Republikaner“ machte er die rechte Flanke dicht. Dort standen damals noch Alfred Dregger und Konsorten fest verankert. Die Reps verschwanden nach wenigen Jahren in der politischen Versenkung. Sie wurden einfach nicht gebraucht.

Die heutige CDU hat mit der AfD anderes vor. „Kurs halten“ verkünden Merkel und ihre Getreuen. Die SPD, deren traditionelle Wählerschaft mindestens genauso anfällig für AfD-Botschaften ist, tut es ihr gleich. Parteichef Sigmar Gabriel beschimpft die „perverse Form von Solidarität“, die die AfD verkünde und will „durch harte Arbeit unter Beweis stellen, dass für uns soziale Gerechtigkeit an erster Stelle steht“. Mit anderen Worten: Weiter so. Das heißt aber nichts anderes als: Die AfD wird bleiben.

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