Ausbildung Mit diesen drei Strategien wird die berufliche Bildung fit für die Zukunft

Die deutsche duale Ausbildung genießt immer noch einen guten Ruf. Aber für die Herausforderungen der hybriden Arbeitswelt ist sie noch nicht ausreichend vorbereitet. Das ließe sich ändern – und zwar so. Ein Gastbeitrag.

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Das Büro hat sich entgrenzt. 86 Prozent der Unternehmen in Deutschland wollen laut einer Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zukünftig in selbem oder noch größerem Umfang als bisher in einer Kombination aus Büro und Homeoffice arbeiten. Wenn unsere Arbeitswelt also hybrider wird, müssen wir gerade diejenigen darauf vorbereiten, auf deren Schultern sie in Zukunft ruhen soll: Knapp eine halbe Million junge Menschen, die pro Jahr eine duale betriebliche Ausbildung beginnen. 

In den vergangenen beiden Jahren hatten Betriebe, Berufsschulen und weitere an der Ausbildung beteiligte Akteure alle Hände voll damit zu tun, Ausbildungsabläufe und -formate zu erhalten und digital zu überführen. Nun gilt es, die betriebliche Ausbildung so weiterzuentwickeln, dass sie der „neuen Normalität“ Rechnung trägt und ihr Niveau beibehält. Kein leichtes Unterfangen, begegnen die Akteure der beruflichen Bildung doch drei enormen Herausforderungen: steigenden Anforderungen für die Ausbilderinnen und Ausbilder, ein gesteigerter Fokus auf die Vermittlung nicht-fachlicher Kompetenzen und ein damit einhergehendes Vermittlungsparadox.

Erstens steigen die Anforderungen an Ausbilderinnen und Ausbilder deutlich. Hybride in Aufgaben, Teams oder den Betrieb einzuführen, ist in allen Alters- und Berufsstufen fordernd. Denn aus der Distanz leitet es sich deutlich schwerer an. Das kurze Vorbeigehen und „drübersehen“ ist nicht mehr möglich. Hier mal eine Idee spiegeln, dort mal alternative Vorgehensweisen aufzeigen und direkt besprechen – passé. Noch deutlich schwieriger ist ein solches Einführen jedoch am Beginn des Arbeitslebens, wo die Fähigkeiten zu Selbstorganisation und Motivation der Auszubildenden noch deutlich geringer ausgeprägt sind als im späteren Berufsleben.

von Jannik Deters, Svenja Gelowicz, Dominik Reintjes

Gleichzeitig sind hybride Arbeitsarrangements über Berufsgruppen hinweg sehr ungleich verteilt. In erster Linie bestimmt die jeweilige berufliche Tätigkeit selbst, über wieviel zeitliche und räumliche Flexibilität Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verfügen. Eine Buchhalterin oder ein Industriekaufmann haben in der Regel wesentlich mehr Souveränität, wann und von wo sie arbeiten, als ein Altenpfleger oder eine Zahnarzthelferin. Die betriebliche Ausbildung muss deshalb so gestaltet werden, dass ihre Formate sowohl dieser Diversität als auch Kohärenz und Effizienz Rechnung tragen. Das Design und Aufsetzten von Ausbildungsabläufen wird somit komplexer. 

Zweitens müssen Ausbildungsformate für Berufe mit hohem Hybridpotenzial mehr Fokus auf die Entwicklung nicht-fachlicher Kompetenzen legen. Denn die berufliche Bildung vermittelt mehr als nur Fach- und Methodenkompetenz. Die Fähigkeit, Fachwissen über das „was“ und „wie“ des Berufes selbstständig einzusetzen und weiterzuentwickeln, ist die notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung für den erfolgreichen beruflichen Werdegang Auszubildender. Ebenso wichtig sind die Aneignung und Vertiefung sozialer Kompetenzen wie Teamfähigkeit oder konstruktiver Umgang mit Kritik sowie von Selbstkompetenzen wie Selbstkontrolle oder die bereits beschriebene Motivation und Organisation für Auszubildende.

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Es war ebenso richtig wie wichtig, sich in den vergangenen beiden Pandemiejahren darauf zu konzentrieren, Fach- und Methodenkompetenz schnellstmöglich in digitale Lernformate umzuwandeln. Nun gilt es, diesen Fokus auf die anderen beiden Dimensionen der Sozial- und Selbstkompetenzen zu richten. Die Ausbildung muss die Wichtigkeit dieser Kompetenzen in jenen Berufsgruppen widerspiegeln, in denen hybrides Arbeiten zunehmend mehr Raum einnimmt. Denn in hybriden Arbeitskonstellationen müssen Beschäftigte weit mehr in der Lage sein, in Projekten zusammenzuarbeiten, ihre Aufgaben selbst zu strukturieren, sich Meilensteine zu setzen und ihre eigene Arbeit zu kontrollieren. Und dafür muss die Vermittlung dieser Kompetenzen mehr Raum einnehmen.

Fehlende räumliche Nähe kann ein Problem sein

Doch, drittens, stellt genau dies Ausbilderinnen und Ausbilder in hybriden Organisationen vor ein Vermittlungsparadox. Das Erlernen von Sozial- und Selbstkompetenzen wird vor allem in der betrieblichen Praxis ermöglicht, indem Ausbilderinnen und Kollegen entsprechende Verhaltensweisen und Werte transportieren beziehungsweise vorleben. Und während die Bedeutung eben jenes praktischen Vermittelns von Sozial- und Selbstkompetenzen an die Auszubildenden zunimmt, nimmt ihre Fähigkeit, dies zu tun, ab – weil eben die räumliche Nähe zur konstanten und wiederkehrenden Wahrnehmung und Nachahmung fehlt. 

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Arbeitgeber und ihre Verbände, Gewerkschaften und staatliche Schulen stehen vor der Aufgabe, diese drei Herausforderungen hybrider Arbeit zu lösen und die Ausbildung zukunftsfest zu machen. Und das in ohnehin schon schwierigen Zeiten. Denn das System der dualen beruflichen Bildung genießt zwar nach wie vor ein hohes Ansehen, leidet aber weiter unter Schwindsucht. Allein zwischen 2011 und 2021 hat die Anzahl neuer Ausbildungsplätze laut Berufsbildungsbericht um ein Sechstel abgenommen. Nun fordert die Hybridisierung unserer Arbeit die Akteure zu konsequentem, koordiniertem und zeitnahem Handeln, um spürbare Qualitätsverluste bei der Ausbildung zu vermeiden. Damit die Ausbildung weiterhin ein Grundpfeiler einer nachhaltigen Zukunft bleibt.

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