Ausbildung Prämierte Initiativen für die berufliche Zukunft

DIHK, Otto-Wolff-Stiftung und WirtschaftsWoche prämieren beispielhafte Initiativen der beruflichen Bildung.

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Telekom-Ausbilder Hirschmann: Die enge Verknüpfung von Theorie und Praxis kommt an Quelle: Dominik Butzmann für WirtschaftsWoche

Der Kalauer vom Unterricht, in dem „alles schläft und einer spricht“, der passt auf die Stunden bei Thomas Hirschmann gar nicht. Der Telekom-Techniker betreut derzeit in Berlin 23 Schüler während ihrer beruflichen Ausbildung zum Facharbeiter und ihrer gleichzeitigen schulischen Fortbildung zur allgemeinen Hochschulreife, sprich Abitur.

Bisher habe es bei ihm noch keine Ausfälle gegeben, sagt Hirschmann und klopft dreimal auf Holz. Denn so erfolgreich wie beim Ausbildungsprogramm „IT-Systemelektroniker mit Abitur“ läuft es im deutschen Bildungsbetrieb leider nur selten. Ein Grund, weshalb die Ausbildungsinitiative der Telekom jetzt mit dem Initiativpreis Aus- und Weiterbildung der Otto-Wolff-Stiftung, dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) und der WirtschaftsWoche ausgezeichnet wurde.

Acht bis zehn Prozent ohne Schulabschluss

Acht bis zehn Prozent aller Jugendlichen beenden hierzulande ohne Abschluss die Schulzeit, so die Statistik der Kultusminister. Doch die Ausfälle, die das Schulsystem im Land von Pestalozzi und Kant in Wirklichkeit produziert, sind noch viel erschreckender: Auf mittlerweile 20 Prozent schätzt der DIHK den Teil eines Absolventenjahrgangs, der weder ausbildungsfähig noch ausbildungswillig ist – Tendenz steigend! Und selbst das Niveau der verbleibenden 80 Prozent lässt zu wünschen übrig.

Grafik: Mängel in der Ausbildung aus Unternehmenssicht

Eine gefährliche Entwicklung für die export- und technologieorientierte deutsche Wirtschaft, die wie kaum eine andere auf der Welt vom Bildungsniveau ihrer Arbeitskräfte lebt. Nur dank exzellent qualifizierter Mitarbeiter können die Unternehmen verlässliche Maschinen, ausgeklügelte Logistik oder hochwertige Konsumgüter rund um den Globus zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten.

Dafür wenden sie auch immer mehr Geld auf. 30 Milliarden Euro lassen sich die Unternehmen die Ausbildung mittlerweile kosten; weitere 27 Milliarden Euro kommen für die innerbetriebliche Weiterbildung hinzu. Längst bringen die Ausbilder ihren Berufseinsteigern nicht mehr nur Buchhaltung, Fräsen, elektronische Schaltkreise oder Kniffe beim Frisieren bei. Rund die Hälfte aller ausbildenden Unternehmen, sagt Berit Heintz vom DIHK, bügelt erst einmal schulische Bildungsdefizite aus.

Grafik: Schularten und ihre Absolventen

Inzwischen werden Unternehmen bereits in den Schulen aktiv, um dort vorbeugend ihren Rohstoff Hirn zu sichern. Die Telekom zum Beispiel ging mit dem Berliner Oberschulzentrum Informations- und Medizintechnik eine Partnerschaft ein und bietet bis zu 20 Jugendlichen eines Jahrgangs nach der zehnten Klasse eine kombinierte Ausbildung zum IT-Systemelektroniker und zur allgemeinen Hochschulreife an. Die enge Verknüpfung von Theorie und Praxis kommt bei den Jugendlichen gut an. „Man versteht die Theorie besser“, sagt die Auszubildende Sonja Piotrowski, „und fühlt sich motivierter.“ Im vierteljährlichen Rhythmus wechseln betriebliche und schulische Ausbildung. Wer nach drei Jahren den Facharbeiterbrief in der Hand hält, kann im vierten Jahr das Abitur absolvieren. Einer seiner Schützlinge, sagt Thomas Hirschmann stolz, war 2008 Jahrgangsbester bei der Abschlussprüfung im Berliner IHK-Bezirk.

Die enge Verbindung zum Ausbildungsleiter, der beim Telekom-Projekt bezeichnenderweise Lernprozessbegleiter heißt, trägt ebenfalls zum Erfolg bei. Die Jugendlichen müssen ständig über ihre Lernfortschritte – oder Misserfolge – berichten, sie planen die Umsetzung der Lerninhalte eigenständig und müssen rapportieren. So viel Freiheit und Verantwortung haben einige seiner Schützlinge noch nie in ihrem Leben gespürt, berichtet Hirschmann.

Die auszubildenden Betriebe spüren die Folgen

Dahinter verbirgt sich das in Problemmilieus übliche Dilemma: eine fortschreitende Erosion familiärer Bindungen und gesellschaftlicher Werte. Die ausbildenden Betriebe spüren die Folgen. Sie beklagen zunehmende Defizite der Bewerber bei Disziplin, Belastbarkeit und Umgangsformen. Lernprozessbegleiter wie bei der Telekom fungieren dabei als wichtige Bezugspersonen, ersetzen verloren gegangenen Rollenvorbilder, vermitteln einen Wertekanon und schaffen Orientierung.

Dabei hat der Kampf um den Nachwuchs erst begonnen, wie die jüngsten Zahlen zum Ausbildungsmarkt zeigen. Bis Ende Oktober registrierten die Handelskammern 326.000 neue Ausbildungsverhältnisse, 9,7 Prozent weniger als vor einem Jahr. Das ist zwar auch der Wirtschaftskrise und einem Rückgang bei den Lehrstellen geschuldet, mehr aber dem viel stärkeren Rückgang bei den Bewerbern. So meldete die Bundesagentur für Arbeit zuletzt noch 17.300 offene Lehrstellen bei nur 9600 Lehrstellensuchenden. Hinzu kamen 16.200 freie Plätze für Einstiegsqualifizierungen.

Der DIHK schlägt Alarm. Im Vergleich zu 2003 „verlassen 100.000 nicht studienberechtigte Jugendliche weniger die Schulen“, konstatiert Arbeitsmarktexperte Günter Lambertz. Das entspricht einem prozentualen Rückgang um 14 Prozent. In der Wirtschaftskrise würden zudem viele Jugendliche eine höhere Schulqualifikation oder ein Studium anstreben. Und schließlich stünden weit weniger Altbewerber als in den Vorjahren zur Verfügung. Bis 2020 wird die Zahl der Haupt- und Realschulabsolventen um weitere 100.000 sinken, so eine Prognose der Kultusministerkonferenz. Umso wichtiger sind weitere Bildungsinitiativen der Wirtschaft.

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