Ausbildungsmarkt Lehrlinge verzweifelt gesucht

Zehntausende Lehrstellen bleiben unbesetzt – einige Lehrherren melden sie nicht mal mehr. Deshalb startet die Bundesregierung nun eine Werbekampagne ‚Praktisch unschlagbar‘ für die duale Ausbildung.

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Viele Ausbildungsstellen bleiben unbesetzt. Oft scheitert die Besetzung einer Lehrstelle schlicht daran, dass die Interessenten anderswo wohnen. Quelle: dpa

Berlin Angesichts von mehr als 41.000 unbesetzten Lehrstellen will die Bunderegierung nun massiv für die duale Ausbildung werben. Die neue Informationskampagne „Du + Deine Ausbildung = praktisch unschlagbar“ soll über die mehr als 300 Ausbildungsberufe und den Weg dorthin informieren, sagte Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) bei der Vorstellung in Berlin. Dazu kommen Plakataktionen und Kinospots quer durch die Republik und jede Menge praktische Tips auf der Webseite ‚www.praktisch-unschlagbar.de‘.

Ungenutzte Potentiale gibt es durchaus: So macht nach dem neuen von Wanka vorgestellten Berufsbildungsbericht nicht einmal jeder dritte Schulabgängern mit Migrationshintergrund eine Ausbildung – bei den Nicht-Migranten sind es 56 Prozent. Und es handelt sich hier keineswegs um eine kleine Minderheit: Mittlerweile sind fast 28 Prozent der Bevölkerung zwischen 15 und 20 Jahren Migranten – und das war noch vor der großen Flüchtlingswelle. Dass Migranten noch deutlich schlechtere Chancen auf dem Lehrstellenmarkt haben, führt die Ministerin auch auf die Tatsache zurück, dass ihre Schulabschlüsse nach wie vor deutlich schlechter sind als die von Nicht-Migranten – auch wenn sei in den Pisa-Tests schon kräftig aufholen konnten.

Allerdings gibt es in der Wirtschaft die größten Lücken in der Lehre in solchen Berufen, die nicht ganz so anspruchsvoll sind wie etwa Mechatroniker oder Optiker: Gesucht werden vor allem Lehrlinge, die Bäcker, Metzer, Gerüstbauer, Verkäufer im Lebensmittelhandwerk, Klemptner und Gastronomen.

Oft scheitert die Besetzung einer Lehrstelle schlicht daran, dass die Interessenten anderswo wohnen. Lediglich sieben Prozent der Azubis lernen fern der Heimat, sagte Wanka. Das Alter kann hier allenfalls bei einer kleine Gruppe ausschlaggebend sein, denn im Schnitt sind Lehrlinge in Deutschland zu Beginn der Ausbildung schon 19 Jahre alt. Bei den Studenten hingegen stieg die Quote derer, die zum Studium sogar in ein anderes Bundesland gehen, in wenigen Jahren von zehn auf heute 30 Prozent, berichtete die Ministerin.

Nach der offiziellen Statistik blieben 2015 gut 20.000 Bewerber um eine Lehrstelle unversorgt. Dazu kommen 60.000 die eine Alternative gefunden haben, also wieder zur Schule gehen oder jobben, aber dennoch weiter eine Ausbildung suchen sowie 185.000 sogenannte Altbewerber, die schon länger die Schule verlassen haben. Und schließlich sind da noch rund 270.000 junge Menschen im Übergangsbereich.


Wirtschaft und Gewerkschaften streiten

Völlig unklar ist indes, wie es gelingen kann, eine große Anzahl von jungen Flüchtlingen in Ausbildung zu bringen – um so nicht nur den Geflüchteten, sondern vor allem auch der deutschen Wirtschaft und den Sozialkassen zu helfen. Wanka verwies hier auf das Programm ihres Hauses mit dem Handwerk, das in zwei Jahren 10.000 Flüchtlinge in Lehrstellen auf dem Land vermitteln soll. „Das sind durchaus große Dimensionen“, sagte die Ministerin. Nach Ansicht von Kritikern ist das jedoch viel zu wenig, denn es gibt rund 600.000 Flüchtlinge unter 25 Jahren. So hatte der Ausbildungsexperte und frühere Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger im Handelsblatt vorgeschlagen, eigens für Flüchtlinge ein Parallelsystem mit Teilzeitlehre und einer gestuften Ausbildung aufzubauen.

Unabhängig davon streiten Wirtschaft und Gewerkschaften wie jedes Jahr bei Erscheinen des Berufsbildungsberichts darüber, ob die Unternehmen genug für die Ausbildung tun: Die Arbeitgeber wiesen darauf hin, dass die Zahl der Lehrlinge „trotz deutlich sinkender Schulabgängerzahlen nahezu konstant“ geblieben ist. Zudem würden sieben von zehn Auszubildenden direkt vom Ausbildungsbetrieb übernommen.

Der Vize-Hauptgeschäftsführer des DIHK, Achim Dercks, sagte, „das Ausbildungsplatzangebot ist 2016 größer als im Vorjahr, junge Menschen haben deshalb noch größere Chancen auf eine berufliche Zukunft“. Zudem komme niemand „an den Grundrechenarten vorbei: Wenn heute rund 150.000 junge Leute mehr als vor zehn Jahren ein Studium beginnen und zugleich die Zahl der Lehrstellenbewerber um mehr als 180.000 gesunken ist, dann ist klar, dass viele Betriebe ohne Azubi und immer mehr Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben.“

Zudem bleibe es beim Versprechen der Allianz für Aus- und Weiterbildung: Jeder vermittlungsbereite Jugendliche erhalte drei Angebote für eine betriebliche Ausbildung. Auch die Chancen von Hauptschülern würden nicht schlechter, sondern immer besser: „Rund 75 Prozent von ihnen beginnen eine betriebliche Ausbildung – Tendenz steigend“, so Dercks.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund hingegen fordert die Wirtschaft auf, mehr Anstrengungen für die kriselnde duale Ausbildung zu unternehmen. Die Arbeitgeber hätten 20.000 zusätzliche Lehrstellen für 2015 versprochen, „am Ende waren es nur 7.300“, sagte die stellvertretende DGB-Chefin Elke Hannack.

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