Aussage vor Untersuchungsausschuss So brisant ist die Rolle von Olaf Scholz im Warburg-Skandal

Bundeskanzler in Bedrängnis: Auf einem Wahlplakat von Olaf Scholz prangt das Wort Cum-ex - es ist der Name der illegalen Aktiendeals, die den SPD-Politiker erneut vor den Hamburger Untersuchungsausschuss gebracht haben.  Quelle: imago images

Half Olaf Scholz der Hamburger Warburg Bank, den Cum-ex-Steuerskandal zu überstehen? Die sieben wichtigsten Fragen und Antworten zur Politik-Affäre und dem heutigen Kanzler-Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss. 

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Am Ende dieser Woche dürfte Olaf Scholz nicht froh sein, dass endlich Freitag ist. Im Gegenteil: Der Kanzler muss am Freitagmittag den brisantesten Termin in dieser Woche absolvieren. Der Grund: Scholz muss abermals vor einem Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft aussagen. Es geht um illegale Aktiengeschäfte und die einstige Hamburger Edelbank Warburg. Bloß: Worum genau geht es noch mal? Die WirtschaftsWoche beantwortet die sieben wichtigsten Fragen – und erklärt, warum der Skandal Scholz so gefährlich werden könnte.

1. Wie kommt es zum 47-Millionen-Euro–Rätsel?   

Der Untersuchungsausschuss soll die Frage klären: Haben sich hanseatische SPD-Politiker für die  Warburg Bank eingesetzt, damit das Institut Geld aus illegalen Aktiendeals nicht an den Staat zurückzahlen musste?

Das Geld hatte Warburg mit Cum-ex-Steuergeschäften verdient: Hinter dem sperrigen Begriff steht einer der größten Finanzskandale der Nachkriegsgeschichte. Dem deutschen Staat soll dadurch ein Schaden im zweistelligen Milliardenbereich entstanden sein - Geld, das in Kindergärten und Schulen, in Straßen und Brücken hätten fließen können. Bei den Deals handelten Finanzfirmen wie Warburg Aktien im Kreis: Dadurch gelang es ihnen, sich vom Staat Steuern zwei Mal erstatten zu lassen, die zuvor nur einmal gezahlt worden waren.

2016 hätte Hamburg letztmalig die Chance gehabt, 47 Millionen Euro Steuererstattungen von der Bank zurückzufordern, die Warburg bei den Deals eingestrichen hatte. Doch Hamburg ließ die Forderung verjähren. Bloß: wieso? Zumal sich sogar die für Warburg zuständigen Steuerbeamten dafür eingesetzt hatten, das Geld zurückzuholen.  

2. Ein Brief auf Wanderschaft: Welche Rolle spielt Scholz?

Olaf Scholz stand 2016 als Regierender Bürgermeister an der Spitze des Stadtstaates: Die Warburg-Eigner, Christian Olearius und Max Warburg, hatten sich deshalb in dem Jahr zwei Mal mit ihm getroffen. Dabei sprachen die Eigner eine mögliche Rückforderung an – bevor sich Hamburg Ende 2016 dazu entschied, das Geld nicht zurückzuholen. Besonders pikant: Die Treffen waren erst durch Medienberichte ans Tageslicht gekommen.

Die Warburg-Eigner hatten Scholz bei einem Treffen gar ein Schreiben mit ihren Argumenten übergeben, warum Hamburg das Geld nicht zurückfordern sollte. Das Papier hatten die Warburg-Eigner später – auf Aufforderung von Scholz – an den damaligen Finanzsenator Hamburgs – das ist der Landesfinanzminister der Hansestadt – weitergereicht. Diese Position besetzte damals der SPD-Politiker Peter Tschentscher, der Scholz als Regierender Bürgermeister ablöste. Scholz hatte den Bürgermeister-Posten im März 2018 aufgegeben, um in der großen Koalition Bundesfinanzminister zu werden, ehe er im vergangenen Herbst zum Bundeskanzler aufstieg.

Das Schreiben der Bank blieb nicht bei Tschentscher: Er reichte das Papier an Mitarbeiter der Finanzbehörde weiter und bat zudem um Informationen zu dem Fall. Die Hamburger Opposition aus CDU und Linken sieht darin bereits einen unzulässigen Eingriff in einen Steuerfall. 

3. Warum ging schon Helmut Schmidt mit Warburg segeln?

Warum hätten die SPD-Politiker Warburg helfen sollen? Bis die Cum-ex-Deals aufflogen, galt die Privatbank immerhin als Nobeladresse mit reichen und reichsten Kunden. Jedoch war das Bankhaus nie ein gewöhnliches Institut, sondern beinahe eine politische Institution. Warburg war eine Art Landesbank, an der das Land nie beteiligt war, die aber dem Stadtstaat stets zu Diensten war. Und an dessen Spitze in der Regel eben eine SPD-Regierung stand.

So half die Bank in den Neunzigern dabei, das Hamburger Stahlwerk zu retten. Später unterstützte Warburg den Abwehrkampf der hanseatischen Unternehmensperle Beiersdorf, als sich ein US-Konzern bei dem Kosmetikhersteller einkaufen wollte. Zudem stützte das Geldhaus Hapag-Lloyd, als die Reederei in schwere See geriet.

Die Bande reichen noch weiter: Schon der ebenfalls aus Hamburg stammende SPD-Kanzler Helmut Schmidt war mit den Warburg-Eignern befreundet. Auf dem Schiff der Bank, dem Lotsenschoner Atalanta, absolvierte Schmidt den ersten Polen-Besuch eines bundesrepublikanischen Kanzlers. Noch Jahrzehnte nach Schmidts Kanzlerschaft wollen Warburg-Mitarbeiter auf den Gängen den Geruch von Mentholzigaretten wahrgenommen haben, die der SPD-Mann so gern rauchte.

4. Tagebücher und teure Prozesse: Wie verteidigen sich Scholz und die SPD?

Kanzler Olaf Scholz hat bereits mehrfach erklärt, er könne sich nicht mehr genau daran erinnern, worum es in den Gesprächen mit den Warburg-Eignern gegangen sei. Sollte er, wie Warburg-Eigner Olearius in seinen Tagebüchern festgehalten hat, die Bankbesitzer tatsächlich um die Weiterleitung des Schreibens gebeten haben, habe er die Eigner nur an die zuständige Behörde verweisen wollen. Entsprechend hat er den Vorwurf, das Steuerverfahren gegen Warburg beeinflusst zu haben, wiederholt scharf zurückgewiesen.

Auch Scholz´ Bürgermeister-Nachfolger Tschentscher hat die Vorwürfe als „völlig haltlos“ bezeichnet. Vielmehr habe es gute und nachvollziehbare Gründe gegeben, das Geld von Warburg nicht zurückzuholen.

So hätten die Finanzbeamten Schadensersatzforderungen der Bank gefürchtet, wenn das Institut die Millionen hätte zurückbezahlen müssen, deshalb in Schwierigkeiten geraten wäre – und sich hinterher herausgestellt hätte, dass sich Warburg die Steuern sehr wohl vom Staat hätte erstatten lassen dürfen. Zudem argumentieren die Hamburger Behörden, es sei damals noch gar nicht zweifelsfrei geklärt gewesen, ob Warburg sich überhaupt an Cum-ex-Deals beteiligt habe. Zudem fürchteten die Hamburger Beamten einen teuren Prozess vor einem Finanzgericht.

5. Zwischen Erstaunen und Entsetzen: Wie glaubwürdig sind die Argumente von Kanzler und SPD?

Die Hamburger Opposition hält Scholz Erinnerungslücken für unglaubwürdig. Zudem erscheinen die angeblich nachvollziehbaren Gründe für die ausgebliebene Rückforderung mindestens diskussionswürdig.  Schließlich waren Hamburgs Finanzbeamten zwischenzeitlich sehr wohl davon ausgegangen, dass sich Warburg an Cum-ex-Deals beteiligt hatte. Die Beamten hätten sogar ein Anfang 2016 gesprochenes Urteil des hessischen Finanzgerichts nutzen können, um gegen Warburg vorzugehen. Und Hamburg hätte das Geld zurückfordern können, ohne die Bank in die Pleite treiben zu müssen – und ohne einen teuren Prozess fürchten zu müssen.

Warburg und die Finanzbeamten hätten miteinander dealen können: Die Stadt fordert das Geld zwar zurück und hemmt so die Verjährung, lässt den Großteil der Forderung aber ruhen. Gleichzeitig hätten sich die Parteien darauf einigen können, dass die Bank gegen den kleineren, nicht ruhenden Forderungsteil klagt. Die Folge: Warburg hätte nicht gleich zahlen müssen – und der Fall hätte wegen des geringeren Streitwerts zu niedrigen Prozesskosten geführt. Und sobald ein Gericht über Warburgs Geschäfte entschieden hätte, hätte Hamburg auch den Großteil der Rückforderung eintreiben können. Ein solches Vorgehen gehört zum alltäglichen Handwerkszeug von Finanzämtern.

Schneller schlau: Cum-ex-Geschäfte

Steuerkenner erstaunt zudem, dass sich Hamburg offenbar bewusst für eine Verjährung entschieden hat. „Es gehört nicht zum Werkzeugkasten von Finanzämtern, eine Verjährung herbeizuführen“, sagt ein Steuerexperte. „Eine Verjährung kann passieren. Aber wenn Finanzämter Geld nicht zurückfordern wollen, müssen sie eigentlich offiziell darauf verzichten“. Ein Verzicht hätte aber bedeutet: Weil es um viele Millionen Euro ging, hätte der Stadtstaat das Bundesfinanzministerium darüber informieren müssen – und die Bundesbehörde hätte dem Verzicht widersprechen können. 

Mittlerweile stellt sich auch die Frage, ob Hamburgs Behörden überhaupt geprüft haben, ob Warburg wegen der Rückforderung in Schwierigkeiten geraten wäre. In einem solchen Fall hätte die Bank zwar frisches Kapital benötigt, um zu überleben, wie Prüfer festgestellt hatten. Allerdings hätten die Warburg-Eigner dieses Geld wohl aufbringen können, wie sich mittlerweile zeigt. Die Eigner haben inzwischen knapp 180 Millionen Euro an die Staatskasse zurückgezahlt, nachdem sie das Landgericht Bonn dazu verurteilt hatte. Die Warburg-Besitzer haben deshalb ein zweites, ebenfalls ihnen gehörendes Institut zum Verkauf gestellt: Die Frankfurter Degussa Bank, wie jüngst die WirtschaftsWoche berichtet hatte. Oldenburgische Landesbank OLB will Degussa Bank kaufen (wiwo.de)

6. Berlin kabelt nach Hamburg: Warum wird ein historischer Vorgang noch wichtig?

Der Skandal dreht sich bisher stark um die Vorgänge im Jahr 2016, dabei kam es später zu weiteren Merkwürdigkeiten. Sie erhöhen die Brisanz der Affäre.

2017 bestand für Hamburg die Chance, ebenfalls letztmalig Geld aus weiteren Cum-ex-Deals von Warburg zurückzufordern, die andernfalls auch verjährt wären. Dazu wäre es wohl auch gekommen, wenn das Bundesfinanzministerium, damals CDU-geführt, nicht interveniert hätte. Die Berliner Beamten forderten Hamburg schriftlich dazu auf, das Geld diesmal zurückzufordern – eine solche Weisung ist ein historischer Vorgang. Wie das Bundesfinanzministerium einmal auf WirtschaftsWoche-Anfrage mitteilte, gab es im vergangenen Jahrzehnt nur fünf solcher Einzelweisungen. Deutschlandweit, über alle 16 Bundesländer hinweg. 

2017 erging sogar nur eine einzige Weisung – offenbar in der Causa Warburg. Trotz dieser historischen Dimension weigerten sich die Hamburger Behörden zunächst, das Geld zurückzufordern. Stattdessen kam es sogar zu einem Krisentreffen im Bundesfinanzministerium: Hamburger und Berliner Beamte stritten darüber, ob der Stadtstaat das Geld zurückholen muss – so als ob es sich dabei um Atommüll handelte. Und das Gespräch endete mit einer Rüge: Ein Berliner Beamter wies die Hamburger an, die Steuern zurückzufordern – doch dazu kam es abermals nicht. Die Hanseaten weigerten sich erneut. Erst nachdem das Bundesfinanzministerium seine schriftliche Weisung erneut gen Hamburg kabelte, wurden die Hanseaten aktiv.

Bloß: Wer setzte sich in Hamburg derart couragiert dafür ein, dass eine Bank Geld trotz der Bitte von Deutschlands oberster Finanzbehörde nicht zurückzahlen musste? Der Großteil der Bundesbürger dürfte jedenfalls noch nie erlebt haben, dass sich Finanzbeamte so für die eigenen Belange engagieren.

Doch damit nicht genug: 2019 verhandelten die Hamburger Behörden sogar über einen Vergleich mit Warburg. Die Bank hätte einen Teil der Forderungen beglichen, aber der Stadtstaat hätte freiwillig auf viele Millionen Euro verzichtet.

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7. Klärung auf Kölsch: Was sagt Warburg zu den Vorwürfen?

Die Bank und ihre Eigner Christian Olearius und Max Warburg haben bislang stets abgestritten, die Hamburger Politik beeinflusst zu haben. Olearius bestreitet zudem, sich strafbar gemacht zu haben. Diese Frage klärt bald das Landgericht Bonn: Die Kölner Staatsanwaltschaft hat ihn dort wegen der Cum-ex-Deals angeklagt.

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