Auswirkungen des Anschlags auf das politische Berlin Demokratie in der Defensive

Vor dem Wahljahr 2017 fürchten Politiker, dass Terror und Flüchtlinge sich zu einem Thema vermischen. Warum eine klare Haltung Not tut - sie aber wenig wert ist ohne ein paar unangenehme Wahrheiten.

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"Kampf gegen Terror ist auch ein Kampf für Freiheit"
Frank-Walter Steinmeier Quelle: REUTERS
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Was fürchten Minister, Abgeordnete und Parteileute von der CSU bis zu den Grünen? Vor dem Bundestagswahlkampf 2017 liefern sie alle zwei Antworten: Sie fürchten den Terror, von dem Deutschland vor diesem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin weitgehend verschont schien.

Und sie fürchten, dass sie nach solchen Verbrechen mit Argumenten für ein offenes und freiheitliches Deutschland kaum mehr durchkommen. Dass ihnen vor allem über die sozialen Medien ein Schwall immer lauterer Empörung entgegenschwappt. Und dass die Stimmung insgesamt kippt.

Kanzlerin Angela Merkel und Innenminister Thomas de Maiziere haben am Dienstag in ihren Stellungsnahmen einiges richtig gemacht. Sie haben Haltung bewiesen, Wissen und Halbwissen nach diesem Anschlag klar voneinander getrennt. Noch immer ist über mutmaßliche Täter oder Mittäter kaum etwas bekannt. Sie haben betont, dass es Sicherheit in einer Gesellschaft wie der unseren nicht umfassend geben kann. Offenheit lässt sich durch Sicherheitskräfte und durchs Zusammenhalten der Bürger wohl am besten schützen.

Es ist auch richtig, die Weihnachtsmärkte und andere Veranstaltungen offen zu halten. Es ist angemessen, wie die Franzosen zu reagieren, wie Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) erinnerte. "Je suis en terrasse", ich bin draußen auf der Terrasse, trinke dort weiter meinen Kaffee, hieß es nach mehreren grausamen Attentaten in Frankreich. Jetzt gilt es erst recht, mit solcher Normalität die Freiheit und unseren Lebensstil zu verteidigen.

Aber damit ist erst ein Anfang gemacht, um mit der zunehmenden Unsicherheit der Menschen umzugehen. Lob stärkt dabei deren Abwehrkräfte. Es ist wert, zu erwähnen, dass sich in Berlin sehr viele besonnen verhalten haben, viele Unbeteiligte rund um den Berliner Breitscheidplatz mehr geholfen haben als zu erwarten war.

Große Terroranschläge in Europa

Und trotz allen widerwärtigen Gefasels in sozialen Netzwerken, das seien nun „Merkels Tote“, war doch immer ein vernünftiger Ton auf Twitter & Co. zu vernehmen. Die Polizei hat es dabei recht gut geschafft, ihre Botschaften und Hinweise in den sozialen Medien zu verbreiten. Das hat den Ermittlungen eher geholfen als geschadet.

Im Wahljahr braucht es mehr. Womöglich werden neue Anschläge verübt, wird Terror auch in Deutschland weiter auf die Menschen zielen. Ziemlich sicher werden einzelne Flüchtlinge auch Verbrechen begehen, die dann immer auf alle anderen Schutzsuchenden zurückfallen. Das hilft Populisten, nicht aber unserer Demokratie, nicht uns als einzelnen Bürgern und auch nicht den Zugewanderten. Deshalb müssen Politiker im Wahlkampf klar benennen, um welche Werte es geht, sie müssen die Demokratie verteidigen. Sie dürfen aber auch nicht aus falsch verstandener Toleranz verheimlichen, was bei der Integration Geflüchteter schief läuft, wo es hakelt und was schwerer wird als gedacht. Das wäre Gift.

Dazu gehört auch die Einsicht: Es gibt keine moralisch einwandfreie Flüchtlingspolitik. Es sind nicht immer die Bedrängtesten oder am meisten Verfolgten bis zu uns gekommen, sondern eher die Bedrängten, die Geld für die Flucht bis nach Mitteleuropa hatten und die, die körperlich fit waren. Unter ihnen finden sich Menschen wie du und ich, nicht alle sind gut, nicht alle böse. Zudem haben auch nicht alle einen Grund, der für Asyl oder die Anerkennung als Kriegsflüchtling reicht. Deshalb muss Deutschland Menschen wieder außer Landes bringen.

Abschiebungen sind eine Zumutung. Unzumutbar für alle Beteiligten ist aber, wenn der Staat Menschen teils jahrelang in falscher Hoffnung lässt, bevor er sie wieder loswerden will. Das gelingt kaum und macht es umso schwieriger, Verfolgten tatsächlich Schutz und eine Zukunft zu gewähren.

Es wird nicht lustig in der politischen Debatte im kommenden Jahr. Politiker müssen dabei benennen, was ist, und erst dann Schlüsse ziehen. Journalisten und Wähler sollten fragen, wer nach diesen ersten beiden Schritten dann auch noch einen dritten schafft: Umsetzbare Lösungen anbieten.

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