Was fürchten Minister, Abgeordnete und Parteileute von der CSU bis zu den Grünen? Vor dem Bundestagswahlkampf 2017 liefern sie alle zwei Antworten: Sie fürchten den Terror, von dem Deutschland vor diesem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin weitgehend verschont schien.
Und sie fürchten, dass sie nach solchen Verbrechen mit Argumenten für ein offenes und freiheitliches Deutschland kaum mehr durchkommen. Dass ihnen vor allem über die sozialen Medien ein Schwall immer lauterer Empörung entgegenschwappt. Und dass die Stimmung insgesamt kippt.
Kanzlerin Angela Merkel und Innenminister Thomas de Maiziere haben am Dienstag in ihren Stellungsnahmen einiges richtig gemacht. Sie haben Haltung bewiesen, Wissen und Halbwissen nach diesem Anschlag klar voneinander getrennt. Noch immer ist über mutmaßliche Täter oder Mittäter kaum etwas bekannt. Sie haben betont, dass es Sicherheit in einer Gesellschaft wie der unseren nicht umfassend geben kann. Offenheit lässt sich durch Sicherheitskräfte und durchs Zusammenhalten der Bürger wohl am besten schützen.
Es ist auch richtig, die Weihnachtsmärkte und andere Veranstaltungen offen zu halten. Es ist angemessen, wie die Franzosen zu reagieren, wie Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) erinnerte. "Je suis en terrasse", ich bin draußen auf der Terrasse, trinke dort weiter meinen Kaffee, hieß es nach mehreren grausamen Attentaten in Frankreich. Jetzt gilt es erst recht, mit solcher Normalität die Freiheit und unseren Lebensstil zu verteidigen.
Aber damit ist erst ein Anfang gemacht, um mit der zunehmenden Unsicherheit der Menschen umzugehen. Lob stärkt dabei deren Abwehrkräfte. Es ist wert, zu erwähnen, dass sich in Berlin sehr viele besonnen verhalten haben, viele Unbeteiligte rund um den Berliner Breitscheidplatz mehr geholfen haben als zu erwarten war.
Große Terroranschläge in Europa
Ein Lieferwagen rast auf der Flaniermeile "Las Ramblas" im Zentrum Barcelonas in eine Menschenmenge. Nach offiziellen Angaben soll es mindestens einen Toten und 32 Verletzte gegeben haben, Medien berichten von zwölf Toten. Die Polizei bestätigt, dass es sich um einen Terroranschlag handelt. Die Hintergründe der Tat sind zunächst unklar.
Auf der London Bridge überfahren drei Attentäter mehrere Fußgänger, dann greifen sie eine beliebte Markthalle an. Mindestens sechs Menschen kommen ums Leben, die Angreifer werden getötet.
Bei dem Selbstmordanschlag in Manchester auf Gäste eines Pop-Konzerts hatte Salman Abedi, ein Brite libyscher Abstammung, 22 Menschen ermordet. Außerdem wurden 116 Menschen zur Behandlung von Verletzungen in Krankenhäuser gebracht. Die Polizei geht davon aus, dass Abedi kein Einzeltäter war, sondern dass ein ganzes Terrornetzwerk hinter der Tat steckt.
Auf dem Pariser Boulevard Champs-Élysées schießt ein Islamist mit einem Sturmgewehr in einen Polizeiwagen. Ein Beamter wird getötet, zwei weitere Polizisten und eine deutsche Passantin werden verletzt. Die Polizei erschießt den Angreifer, die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) reklamiert die Attacke für sich.
Ein gekaperter Lastwagen rast in einer Einkaufsstraße erst in Stockholm in eine Menschenmenge und dann in ein Kaufhaus. Fünf Menschen werden getötet, 15 verletzt. Noch am selben Tag nimmt die Polizei einen 39-jährigen Usbeken unter Terrorverdacht fest.
Ein Attentäter steuert ein Auto absichtlich in Fußgänger auf einer Brücke im Zentrum Londons und ersticht anschließend einen Polizisten. Von den Opfern auf der Brücke erliegen vier ihren Verletzungen. Sicherheitskräfte erschießen den Täter.
Auf dem Pariser Flughafen Orly verhindern Soldaten nur knapp einen möglichen Terroranschlag. Ein Mann will einer dort patrouillierenden Soldatin das Gewehr entreißen und wird von anderen Soldaten erschossen. Erst Anfang Februar war nahe dem Louvre-Museum ein Ägypter niedergeschossen worden, der sich mit Macheten auf eine Militärpatrouille gestürzt hatte.
Am Abend des 19. Dezember 2016 rast ein LKW in einen Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche. Das Attentat fordert 12 Tote und viele teils Schwerverletzte.
In Nordfrankreich ermorden zwei Angreifer einen katholischen Priester in einer Kirche und verletzen eine weitere Person schwer. Beide Attentäter werden von den Sicherheitskräften erschossen.
In Ansbach in Bayern sprengt sich ein 27-jähriger syrischer Flüchtling vor dem Eingang zu einem Musikfestival mit einer Rucksackbombe in die Luft. Der Attentäter stirbt. 15 Menschen werden verletzt. Auf dem Handy des Mannes findet die Polizei später ein Bekennervideo. Das IS-Sprachrohr Amak behauptet einen Tag später, der Attentäter sei „Soldat des Islamischen Staates“.
In einem Vorort von Würzburg greift ein 17-jähriger Flüchtling aus Afghanistan in einem Regionalzug Fahrgäste mit einer Axt an. Er verletzt mehrere Menschen teils schwer. Auf seiner Flucht wird er von der Polizei erschossen. Einen Tag später veröffentlichte das IS-Sprachrohr Amak im Internet ein Video des Attentäters. Darin spricht er davon, dass er im Auftrag des IS gehandelt habe und sich an Nicht-Muslimen rächen wollte, die seinen Glaubensbrüdern Leid angetan hätten.
In Nizza fährt ein schwer bewaffneter Franzose tunesischer Herkunft mit einem Lastwagen in die Menge, die den französischen Nationalfeiertag feiert. Er tötet 84 Menschen.
Am Flughafen Istanbul-Atatürk schoss am 28. Juni 2016 ein Attentäter in der Eingangshalle mit einem Sturmgewehr um sich, warf Handgranaten in die Menge und zündete einen Sprengsatz. Zeitgleich sprengte sich ein weiterer Attentäter in einem Parkhaus in die Luft. Ein dritter Täter zündete offenbar einen Bombe in U-Bahn-Nähe. Die türkische Regierung ordnet den Anschlag dem Islamischen Staat zu. Insgesamt kamen 44 Menschen ums Leben (darunter die drei Attentäter); 239 weitere wurden verletzt. (Stand: 29.06.2016, 14:30 Uhr)
Ein Franzose marokkanischer Herkunft ermordet in einem Pariser Vorort einen Polizisten und dessen Lebensgefährtin, die ebenfalls bei der Polizei arbeitet.
Am Morgen des 22. März 2016 sprengten sich zwei Terroristen am Flughafen Brüssel-Zaventem in die Luft sowie ein weiterer im U-Bahnhof Maalbeek/Maelbeek in der Brüsseler Innenstadt nahe der EU-Behörden. Nach offiziellen Angaben kamen 35 Menschen ums Leben, darunter drei der Attentäter. Mehr als 300 Personen wurden verletzt.
Zwei Attentäter brachten ihr gestohlenes Auto an der Bushaltestelle einer Metrostation im Stadtzentrum von Ankara zur Explosion – 38 Menschen kamen ums Leben, darunter waren auch die Attentäter. Mehr als 120 Menschen wurden verletzt. Zu dem Anschlag, der sich am 13. März 2016 ereignete, bekannte sich eine Splittergruppe der Terrororganisation PKK.
Ein IS-Attentäter sprengte sich am 12. Januar 2016 auf dem belebten Sultan-Ahmed-Platz in Istanbul in die Luft – und riss 12 Menschen mit in den Tod. Elf von ihnen gehörten einer deutschen Touristengruppe an. 13 weitere Personen wurden verletzt.
Extremisten mit Verbindungen zur Terrormiliz Islamischer Staat greifen die Konzerthalle Bataclan und andere Ziele in der französischen Hauptstadt Paris an. Dabei kommen 130 Menschen ums Leben. Ein Hauptverdächtiger im Zusammenhang mit den Angriffen ist der 26 Jahre alte Salah Abdeslam, der am 18. März 2016 in Brüssel festgenommen wird.
Ein 22-jähriger radikalislamischer Angreifer tötet den Filmemacher Finn Nørgaard und einen jüdischen Wachmann einer Synagoge in Kopenhagen. Bei einem Feuergefecht mit einer Spezialeinheit der Polizei wird er erschossen.
Drei Extremisten töten bei einer mehrere Tage dauernden Terrorwelle in Paris 17 Menschen, bevor sie selbst erschossen werden. Zunächst greifen zwei Brüder das Büro der Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ an und erschießen zwölf Menschen. Für den den Angriff übernimmt Al-Kaida auf der arabischen Halbinsel die Verantwortung. In den Tagen darauf tötet ein weiterer Extremist eine Polizistin und nimmt in einem koscheren Supermarkt Geiseln. Vier jüdische Kunden sterben.
Im Jüdischen Museum in Brüssel tötet ein Angreifer mit einer Kalaschnikow vier Menschen. Der mutmaßliche Täter ist ein ehemaliger französischer Kämpfer, der Verbindungen zur Terrormiliz Islamischer Staat in Syrien haben soll.
Zwei von Al-Kaida inspirierte Extremisten greifen auf einer Londoner Straße den britischen Soldaten Lee Rigby an und töten ihn mit Messern und einem Fleischerbeil.
Ein Bewaffneter, der nach eigenen Angaben Verbindungen zur Al-Kaida hat, tötet in der südfranzösischen Stadt Toulouse drei jüdische Schulkinder, einen Rabbi sowie drei Fallschirmjäger.
Der muslimfeindliche Extremist Anders Behring Breivik legt eine Bombe im Regierungsviertel der norwegischen Hauptstadt Oslo und greift anschließend ein Jugendlager auf der Insel Utøya an. 77 Menschen werden getötet, viele davon Teenager.
52 Pendler kommen ums Leben, als sich vier von Al-Kaida inspirierte Selbstmordattentäter in drei Zügen der Londoner U-Bahn und einem Bus in die Luft sprengen.
Bombenanschläge auf Züge zum Madrider Bahnhof Atocha töten 191 Menschen.
Und trotz allen widerwärtigen Gefasels in sozialen Netzwerken, das seien nun „Merkels Tote“, war doch immer ein vernünftiger Ton auf Twitter & Co. zu vernehmen. Die Polizei hat es dabei recht gut geschafft, ihre Botschaften und Hinweise in den sozialen Medien zu verbreiten. Das hat den Ermittlungen eher geholfen als geschadet.
Im Wahljahr braucht es mehr. Womöglich werden neue Anschläge verübt, wird Terror auch in Deutschland weiter auf die Menschen zielen. Ziemlich sicher werden einzelne Flüchtlinge auch Verbrechen begehen, die dann immer auf alle anderen Schutzsuchenden zurückfallen. Das hilft Populisten, nicht aber unserer Demokratie, nicht uns als einzelnen Bürgern und auch nicht den Zugewanderten. Deshalb müssen Politiker im Wahlkampf klar benennen, um welche Werte es geht, sie müssen die Demokratie verteidigen. Sie dürfen aber auch nicht aus falsch verstandener Toleranz verheimlichen, was bei der Integration Geflüchteter schief läuft, wo es hakelt und was schwerer wird als gedacht. Das wäre Gift.
Dazu gehört auch die Einsicht: Es gibt keine moralisch einwandfreie Flüchtlingspolitik. Es sind nicht immer die Bedrängtesten oder am meisten Verfolgten bis zu uns gekommen, sondern eher die Bedrängten, die Geld für die Flucht bis nach Mitteleuropa hatten und die, die körperlich fit waren. Unter ihnen finden sich Menschen wie du und ich, nicht alle sind gut, nicht alle böse. Zudem haben auch nicht alle einen Grund, der für Asyl oder die Anerkennung als Kriegsflüchtling reicht. Deshalb muss Deutschland Menschen wieder außer Landes bringen.
Abschiebungen sind eine Zumutung. Unzumutbar für alle Beteiligten ist aber, wenn der Staat Menschen teils jahrelang in falscher Hoffnung lässt, bevor er sie wieder loswerden will. Das gelingt kaum und macht es umso schwieriger, Verfolgten tatsächlich Schutz und eine Zukunft zu gewähren.
Es wird nicht lustig in der politischen Debatte im kommenden Jahr. Politiker müssen dabei benennen, was ist, und erst dann Schlüsse ziehen. Journalisten und Wähler sollten fragen, wer nach diesen ersten beiden Schritten dann auch noch einen dritten schafft: Umsetzbare Lösungen anbieten.