Der Oktober ist ein Rätselmonat. Jedenfalls für Ökonomen. Denn im Oktober vergibt die Königlich Schwedische Akademie alljährlich den von der Schwedischen Reichsbank gestifteten Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften im Gedenken an Alfred Nobel an einen herausragenden Forscher. An diesem Montag ist es wieder soweit. Wer auf den Preisträger wetten will, kann sich bei dem Finanzdienstleister Thomson Reuters schlau machen. Die Reuters-Analysten haben die Zitationen von Forschern in wissenschaftlichen Fachzeitschriften ausgewertet, um festzustellen, wer die Nase vorn hat.
Grundsätzlich soll die noble Auszeichnung an Wissenschaftler gehen, die bahnbrechendes geleistet und deren Arbeiten zu neuen Erkenntnissen geführt haben. Das Entscheidungs-Komitee der Akademie sammelt dazu im Vorfeld Vorschläge von Wissenschaftlern, früheren Nobelpreisträgern und anderen Ökonomen und gleicht diese mit den eigenen Vorstellungen ab. Da das Komitee genügend Auswahl an wissenschaftlich hochkarätigen Forschern hat, gehen in die Entscheidung auch wissenschafts- und allgemeinpolitische Erwägungen ein.
So war es nur eine Frage der Zeit, bis das Nobelkomitee Ökonomen auf dem Gebiet der Spieltheorie auszeichnete (1994:Harsanyi, Nash, Selten), einem Forschungsfeld, das sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelte. Der Preis aus dem Jahr 2003 - er ging an die Ökonometriker Robert Engle und Clive Granger - war eine Referenz an eine Teildisziplin, die das Komitee zuvor vernachlässigt hatte.
Andere Preisverleihungen können hingegen als politisches Statement gewertet werden. So erhielt 2008 der US-Ökonom Paul Krugman den Nobelpreis, just zu dem Zeitpunkt als die Finanzkrise mit der Lehman-Pleite ihren Höhepunkt erreichte. Das intellektuelle Gütesiegel des Nobelpreises verschaffte Krugmans Forderungen nach staatlichen Konjunkturprogrammen in der politischen Arena Washingtons zusätzliche Durchschlagskraft. Auch die Vergabe des Nobelpreises 2001 an die (finanz)marktskeptischen Ökonomen Stiglitz und Akerlof kann vor dem Hintergrund der damals gerade geplatzten New-Economy-Blase politisch interpretiert werden.
Ebenso dürfte sich das Nobelpreiskomitee etwas dabei gedacht haben, als es ausgerechnet im Jahr der Euroeinführung 1999 Robert Mundell, dem Erforscher optimaler Währungsräume und geistigen Vater des Euro, den Preis verlieh. In der ersten Hälfte der Neunzigerjahre – damals besaßen die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik und das Paradigma effizienter Märkte noch die Deutungshoheit an den Universitäten - erhielten die Ökonomen Robert Lucas und Gery Becker die begehrten Preise. Heute würden beide Laureaten vom politischen Mainstream wohl als „marktradikal“ eingestuft.
Das Nobelpreiskomitee kann also durchaus wirtschaftspolitische Zeichen setzen. Es sollte diese Möglichkeit nutzen. Gerade heute, da freie Märkte als eine finstere Macht des Bösen, die Globalisierung als eine Erfindung maliziöser Großkonzerne und der Staat als wohlwollender Retter des Sozialen wahrgenommen werden, ist ein Zeichen gegen den Zeitgeist und damit für mehr Markt, mehr Wettbewerb und freien Handel nötig.
Die möglichen Preisträger
Wen sollte das Nobelkomitee dieses Jahr also aufs Schild heben, um eine Bresche für den Markt zu schlagen? Vier Ökonomen bieten sich an.
Robert Barro:
Barro ist einer der bedeutendsten Ökonomen der Gegenwart. Der an der US-Eliteuni Harvard ausgebildete und dort seit 1986 lehrende Professor hat sich in der Makroökonomie mit bahnbrechenden Arbeiten hervorgetan. So gilt er als einer der wichtigsten Vertreter der Theorie der rationalen Erwartungen, der zufolge die Menschen die ökonomischen Folgen staatlichen Handelns vollständig in ihren Entscheidungen berücksichtigen. Barros Arbeit von 1974 zu den Folgen der Staatsverschuldung zählt zu den meistzitierten Werken der Ökonomie überhaupt. Zudem hat sich Barro mit den Determinanten des Wirtschaftswachstums und der Real-Business-Cycle-Theorie beschäftigt; diese untersucht, wie sich reale Schocks auf die Konjunktur auswirken. Barro zählt zu den Vertretern der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik, die staatlichen Eingriffen skeptisch gegenübersteht. Trotz der weltweiten Renaissance keynesianischen Gedankenguts ist er dieser Linie treu geblieben. Eine Entscheidung für Barro wäre eine Entscheidung gegen den Etatistmus und für freie Märkte.
Alberto Alesina:
Alesina ist Professor für politische Ökonomie an der US-Eliteuni Harvard. Er hat in umfangreichen empirischen und theoretischen Studien die Zusammenhänge zwischen politischen und makroökonomischen Entwicklungen untersucht. Dabei geht es um die Auswirkungen der wirtschaftlichen Situation auf das Wahlverhalten ebenso wie um die Folgen staatlicher Haushaltsdefizite auf das Wachstum. Alesina hat in seinen Forschungsarbeiten sogenannte nicht-keynesianische Effekte der Finanzpolitik nachgewiesen. Danach haben Maßnahmen der staatlichen Haushaltskonsolidierung positive Effekte auf die Konjunktur. Der Grund: Die Bürger rechnen wegen der geringeren Staatsschulden mit einer geringeren Steuerbelastung und höheren Einkommen in der Zukunft - und konsumieren mehr. Die Preisvergabe an Alesina gäbe all jenen Politikern Rückenwind, die die Staatshaushalte sanieren wollen.
John Taylor:
Taylor ist Professor an der Universität in Stanford, USA. Er ist einer der weltweit profiliertesten Experten für Geldtheorie und Geldpolitik. Bereits Ende der Siebzigerjahre legte er die Grundlagen für die Neukeynesianische Ökonomie, die rationale Erwartungen mit der Annahme starrer Löhne und Preise verbindet. Einem breiten Publikum bekannt wurde Taylor durch die von ihm entwickelte Taylor-Regel, die das Zinssetzungsverhalten von Zentralbanken beschreibt. Danach variiert eine effizient handelnde Zentralbank den Zinssatz so, dass die Abweichungen der Inflation und des Wirtschaftswachstums von ihren Zielwerten minimiert werden. Heute dient die Taylor-Regel vielen Zentralbanken als Entscheidungsgrundlage. Taylor ist auch ein politisch denkender und handelnder Mensch. Er war Staatssekretär im US-Finanzministerium unter George W. Bush. Zuletzt hat Taylor für Wirbel gesorgt, weil er der US-Notenbank Fed die Hauptschuld am Entstehen der Finanzkrise gab. Eine Auszeichnung Taylors mit dem Nobelpreis wäre ein Tritt vor das Schienbein all jener Zentralbanker, die in der ungehemmten Ausweitung der Geldmenge ein Allheilmittel gegen die Finanzkrise sehen.
Jagdish Bhagwati:
Der aus Indien stammende Ökonom, der an der Columbia-Universität in New York lehrt, hat zwar nicht die bahnbrechende Neuerung in der Ökonomie entwickelt. Doch als Experte für Außenwirtschafts-, Migrations- und Globalisierungsfragen hat sich Bhagwati wie kein anderer vehement und öffentlichkeitswirksam für die Globalisierung und den Freihandel eingesetzt. Im Laufe seiner Karriere hat Bhagwati sich als wirtschaftspolitischer Berater betätigt, unter anderem für die Welthandelsorganisation und die Vereinten Nationen. Der Nobelpreis für Bhagwati wäre ein starkes Statement für Freihandel und Freizügigkeit, zwei Errungenschaften, die im Zuge der Finanzkrise und der zunehmenden Abschottungstendenzen auf dem Spiel stehen.