Autoindustrie in Baden-Württemberg „Jeder zweite Arbeitsplatz ist gefährdet“

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„Da ist auch ein bisschen Demut zu spüren“

Die Wirtschaftsförderung in Baden-Württemberg sagt, die örtliche Autoindustrie sei viel zu lange davon ausgegangen, dass dieser Elektro-Trend schnell wieder vorbei sei und die Zukunft dem deutschen Diesel gehöre. Dabei war der Diesel zumindest bei VW und Daimler oft eine Mogelpackung. Wie konnte die Politik hier so lange zusehen?
Wo betrogen wurde, muss schonungslos aufgeräumt werden. Das ist klar. Wir haben durch den Abgasskandal lernen müssen, dass wir noch genauer hinschauen und Argumente noch kritischer hinterfragen und prüfen müssen. Aber mein Eindruck ist schon, dass die Autobauer nun versuchen, die Dinge ins Lot zu bringen und viel in die Zukunft investieren. Da ist auch ein bisschen Demut zu spüren. 

Das Kraftfahrtbundesamt stellt ständig neue Manipulationen bei Daimler fest, aber dort wird alles bestritten. Da kann ich wenig Demut erkennen.
Die Autoindustrie hat da viel Vertrauen verspielt. Die Branche muss jetzt ihre Glaubwürdigkeit wiederherstellen. Natürlich müssen Fehler der Vergangenheit wieder gut gemacht werden und bei Manipulation entsprechende Konsequenzen gezogen werden. Aber viel wichtiger ist es, dass jetzt die richtigen Antworten und damit saubere Produkte kommen. Und die Politik leistet etwa mit strengeren Abgasmessverfahren ihren Teil, um zu verhindern, dass es noch einmal solche Manipulationen gibt. 

Das teuerste und das für die Leistung wichtigste Teil eines E-Autos ist die Batterie. Wie wollen die Autobauer und Zulieferer in Baden-Württemberg bei der Technik endlich Fuß fassen?
Die Batterie besteht aus Batteriezellen, die 60 Prozent der gesamten Batteriekosten ausmachen. Wenn wir in Deutschland die Zellen nicht selbst produzieren, geht ein großer Teil der Wertschöpfung ins Ausland und wir verlieren die Hoheit über diese wichtige Technik. Deshalb haben wir in Baden-Württemberg in den vergangenen zehn Jahren die anwendungsorientierte Forschung an der Batteriezelle mit rund 100 Millionen Euro gefördert. Heute haben wir einen klaren Technologievorteil, sowohl bei den Reichweiten als auch den Ladezeiten.

Seit zehn Jahren prägt Akio Toyoda als CEO Toyota. Am liebsten testet er seine Ideen auf dem Nürburgring, den er in Japan sogar teilweise nachbauen ließ. Nun muss er bei der E-Mobilität den Anschluss wiederfinden.
von Martin Fritz

Nun ja, im Labor. Ob das wirklich funktioniert, zeigt sich erst, wenn großer Stückzahlen auf der Straße sind. Wann mündet die Forschung in eine Großserien-Produktion? 
Das erworbene Know-how muss nun dem Aufbau einer industriellen Zellfertigung dienen, das ist auch meine Forderung. Die Zeit drängt. Ich höre aus der Industrie, dass es manchmal schon zu Engpässen bei den Zellen kommt, weil asiatische Anbieter nicht genügend Zellen liefern können oder wollen. Es wäre möglich, dass wir in gut zwei Jahren in Baden-Württemberg im industriellen Maßstab Batteriezellen fertigen. Dazu sind aber hohe Fördermittel nötig. 

Wie hoch?
Der Bund hat rund 500 Millionen für den Übergang von Forschung zur industriellen Fertigung in Aussicht gestellt. Der Bund will außerdem Zellfabriken mit einer Milliarde Euro fördern. Wenn sich die Konsortien aus dem Land in beiden Wettbewerben erfolgreich durchsetzen könnten, wäre das ideal. Dann könnten wir in Baden-Württemberg eine Pilotfabrik sowie eine Großserienproduktion aufbauen. 

Wo soll sie stehen?
Selbstverständlich dort, wo die größten Kompetenzen auf engem Raum vorhanden sind und wir auf unseren Stärken aufbauen können. Es ist grundsätzlich wichtig, auch schwächeren Regionen zu helfen. Aber ich kann nur davor warnen bei diesem Projekt strukturpolitische Erwägungen in den Vordergrund zu stellen. Die Fabrik muss mitten in einem starken Cluster angesiedelt sein. Wenn dort mal die erste Fabrik läuft, kann man nach ihrem Vorbild weitere auch in strukturschwachen Regionen oder im Ausland ansiedeln. 

Warum soll die Industrie überhaupt Fördermittel in diesem Umfang bekommen? Als Belohnung für zehn Jahre schlafen?
So sehe ich das nicht. China nimmt oft Milliarden in die Hand, um Unternehmen zu fördern – das geht bei uns rechtlich gar nicht. Es geht hier aber um den Aufbau von Know-how, das für ganz Europa von großer wirtschaftspolitischer und strategischer Bedeutung ist. Dass der Staat da auch finanziell hilft, finde ich in diesem Fall richtig.

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