Autoindustrie in Baden-Württemberg „Jeder zweite Arbeitsplatz ist gefährdet“

 Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU), Wirtschaftsministerin Baden-Württembergs. Quelle: imago images

Baden-Württemberg wird vom Niedergang des Verbrennungsmotors bedroht. Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) über Autobauer im Tiefschlaf, ihren Ärger über das Kanzleramt und Batterien aus dem Ländle.

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Im Kanzleramt kamen in dieser Woche Politik und Autoindustrie zum Autogipfel zusammen. Mehr als eine Absichtserklärung kam dabei nicht heraus. Haben Sie auf mehr gehofft?
Ja! Wir tagen und tagen, aber handeln zu wenig. Die Autoindustrie fordert zu Recht verlässliche Rahmenbedingungen und den schnellen Aufbau von Infrastruktur. Im Gegenzug müssen die Hersteller ihr Engagement in Sachen nachhaltiger Mobilität an den hiesigen Standorten weiter ausbauen und mehr bezahlbare Pkw-Modelle anbieten, ohne die wir die Elektromobilität nicht erfolgreich auf die Straße bringen werden. 

Es sollen 50 Teilnehmer beim Autogipfel gewesen sein, aber für die Ministerpräsidenten der Autoländer Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen war scheinbar kein Platz. Wissen Sie, warum?
Nein. Aber ich kritisiere das sehr. Denn die Länder wissen sehr genau, worauf es bei der Transformation der Autoindustrie ankommt. 

Die Ministerpräsidenten hatten schriftlich um Einladung gebeten – vergeblich. Wird das noch ein Nachspiel haben?
Die Transformation erfordert erhebliche Investitionen und sie kann, wenn wir sie nicht strategisch und gezielt gestalten, auch Wertschöpfung und Arbeitsplätze in den heutigen Autoregionen kosten. Ich erwarte daher vom Bund, dass die Automobilländer im Weiteren einbezogen werden. 

Weil die klassischen Verkaufsabsätze schwinden werden, müssen sich Autokonzerne zu Mobilitätsdienstleistern wandeln. Neben E-Antrieb und autonomem Fahren gibt es dabei einen Aspekt, der bislang vernachlässigt wird.
von Stephan Knieps

Die Autoindustrie ist eine der wichtigsten Säulen der baden-württembergischen Wirtschaft. Was passiert, wenn sie den Umstieg aufs E-Auto nicht hinbekommt?
Wir können den Wandel erfolgreich gestalten, das hat unsere Industrie in der Vergangenheit schon bewiesen. Je schneller die Transformation erfolgt, umso ambitionierter wird das. Wenn 2030 jedes zweite verkaufte Auto ein reines E-Auto sein sollte, ist laut einer Studie jeder zweite Arbeitsplatz im produzierenden Bereich gefährdet.

Ihr Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat gesagt, er wolle nicht, dass es Baden-Württemberg mit den Autos so geht wie einst dem Ruhrgebiet mit dem Stahl und der Kohle. Die Lage ist also offenbar ernst.
Unsere Stärke ist das weltweit einmalige Cluster und die daraus resultierende Systemkompetenz. Unser bisheriger Erfolg ist gleichzeitig unser größtes Risiko. Wir müssen den Spagat aus Amortisation der getätigten Investitionen und der Innovationsführerschaft in den neuen Technologien meistern. Die Lage der Zulieferer – gerade der kleinen und mittleren – und damit ganzer Regionen ist da zum Teil deutlich ernster als die der global aufgestellten Autohersteller. 

Die IG Metall fordert milliardenschwere Fonds, die Zulieferer für den Umstieg auf das E-Auto oder bei Schieflagen mit Kapital versorgen sollen. Was halten Sie davon?
Das sehe ich kritisch. Es gibt ja schon Instrumente, die helfen, wie sich nach der Wirtschaftskrise 2008/2009 gezeigt hat. Zum Beispiel mit Bürgschaften. Klar ist, dass sich die Konjunktur für die Zulieferer eintrübt. Doch wer jetzt schon über Rettungsfonds für Zulieferer redet, verschlimmert die Lage eher. Besser als ein Fonds wären Entlastungen in Form von Steuererleichterungen. Die Unternehmen sollten Investitionen in Zukunftstechnologien steuerlich absetzen können. So können sich die Unternehmen aus eigener Kraft erneuern. 

Wenn sich Politiker und Manager zum Autogipfel treffen, steht am Ende irgendeine Art von Zehn-Punkte-Plan. Aber ist politische Führung durch Zielvorgaben wirklich sinnvoll?
von Benedikt Becker, Elisabeth Niejahr

Sie sagten, ein langsamer Umstieg auf den E-Antrieb schone die Arbeitsplätze in Baden-Württemberg. Sie stehen also im Interesse Ihres Landes beim E-Auto auf der Bremse? Möglichst wenig Ladestellen, damit sich nur wenige ein E-Auto kaufen? 
Nein, ganz im Gegenteil! Denn unsere Autobauer und Zulieferer haben oft Exportquoten von über 60 oder 70 Prozent. Der Weltmarkt ist für sie entscheidend. Mit Verzögerungstaktiken helfen wir den Unternehmen am allerwenigsten. Im Gegenteil: Wir fördern den Ausbau der Elektromobilität mit viel Geld.

Die Autoindustrie gerade auch in Baden-Württemberg ist geschockt vom schnellen Vormarsch des E-Autos. Dabei beraten Politik und Industrie seit 2008 in der Nationalen Plattform Elektromobilität und anderen Gremien den Umstieg. Wer hat tiefer geschlafen – die Industrie oder die Politik?
Es gab Versäumnisse, das ist richtig. Und zwar auf beiden Seiten. Wir brauchen für alles viel zu lange, während andere Staaten Fakten schaffen. Es geht im Moment auch um einen Wettbewerb der Systeme und es wird Zeit, dass wir zeigen, dass wir die Zukunft kraftvoll gestalten. Erschwerend kommt hinzu, dass die Kunden die neue Technologie nur zögerlich annehmen, weil sie darin offenbar noch Nachteile sehen.

Es sind die deutschen Kunden, die das so sehen. Im Ausland gibt es eine rege Nachfrage. Weltweit fahren schon sechs Millionen E-Autos und der Markt wächst jährlich um 40 Prozent. Deutschland hinkt mit höchstens 100.000 E-Autos deutlich hinterher.
Es ist unstrittig, dass die deutsche Autoindustrie die Technik beherrschen muss, wenn sie ihre starke Stellung verteidigen will. Ich bin aber fest überzeugt, dass ihr das gelingt. In anderen Märkten haben wir teilweise deutlich bessere Rahmenbedingungen. Hier muss Deutschland noch mehr Gas geben, das fängt bei der Ladeinfrastruktur an und hört beim WEG- und Mietrecht auf.  

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