WirtschaftsWoche: Herr Ansari, Außenministerin Annalena Baerbock reist am Montag nach Saudi-Arabien und Katar, sie will dort weitere energiepolitische Partnerschaften ausloten und gleichzeitig für ihre wertegeleitete Außenpolitik werben. Kann das gelingen?
Dr. Dawud Ansari: Leider ist noch immer vollkommen unklar, was genau Ministerin Baerbock mit ihrer wertegeleiteten Außenpolitik denn meint. Vom Toilettenaufbau in Ostafrika bis hin zu Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien scheint der Begriff viel Handlungsspielraum zu ermöglichen. Geht es da nun um gemeinsame Interessen? Oder um kulturelle Nähe? Der Begriff suggeriert zugleich ein falsches Bild.
Inwiefern?
Es gibt nun einmal keinen klaren Maßstab, um Werte miteinander zu vergleichen: Wie wiegen wir zum Beispiel freie Wahlen in einem Land gegen den Schutz von Minderheiten in einem anderen auf? Außerdem kann Deutschland sich seine Handelspartner gar nicht nur nach gemeinsamen Vorstellungen aussuchen, das zeigt ja schon die große Abhängigkeit von China. Auch bei dieser Reise gibt es einen Zielkonflikt.
Worin liegt der Zielkonflikt begründet?
Die Golfstaaten sind energiepolitisch, wirtschaftlich und geopolitisch unverzichtbar für Deutschland, gleichzeitig bestehen dort nun einmal andere Auffassungen.
Zur Person
Dr. Dawud Ansari ist Experte für Globale Fragen bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die Geopolitik von Wasserstoff, die Politische Ökonomie ressourcenreicher Nationen und die Arabische Welt.
Nach dem Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi wollte Joe Biden den saudischen Herrscher Mohammed bin Salman als Ausgestoßenen behandeln, doch nach Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine sind viele westliche Staatschefs auf der Suche nach günstigem Öl doch wieder angereist, auch Kanzler Olaf Scholz. Gilt am Ende also doch: erst der Markt, dann die Moral?
Ja, offensichtlich – und Saudi-Arabien fühlt sich in seiner außenpolitischen Strategie umso mehr bestätigt. Dass sich der Westen wieder so intensiv bemüht, wird in Saudi-Arabien als Einknicken wahrgenommen. Das Land tritt wieder deutlich selbstbewusster auf, nicht nur in der Region, sondern auch auf der Weltbühne und lässt das seine Partner spüren.
Wie kann Annalena Baerbock darauf reagieren, um ihre Ziele durchzusetzen?
Sicher nicht mit Ideologie. Deutschland – und in diesem Fall Annalena Baerbock – müssen pragmatisch sein. Klar ist, dass die Idee vom Wandel durch Handel auch am Golf nur begrenzte Wirkung haben wird. Aber innerhalb der Golfstaaten ist das politische Spektrum groß, von autokratischeren und repressiven Ländern wie Saudi-Arabien bis hin zu moderaten Staaten wie Kuwait und Oman. Trotz der angeblichen wertegeleiteten Außenpolitik bleiben letztere aber bei Deutschland immer wieder auf der Strecke. Mit einer Partnerwahl innerhalb der Region könnte Deutschland aber ein Zeichen setzen.
Sind Katar und Saudi-Arabien denn allein aus energiepolitischen Zwängen strategisch so wichtig für Deutschland?
Katar ist, nebst dem LNG, auch wegen seiner vielen Verstrickungen in Europas Wirtschaft relevant. Saudi-Arabien mausert sich zum Wasserstoff-Giganten und wird damit auch immer wichtiger.
Aber die Bundesregierung bemüht sich doch in aller Welt um Wasserstoff?
Länder wie Norwegen und Kanada werden sicher nicht alleine die Mengen liefern können, um alle Schiffe, Flugzeuge und die Industrie in Deutschland zu dekarbonisieren, und der Golf hat nun einmal die besten Bedingungen, um Lieferungen rasch aufzunehmen. Sowohl für Wasserstoff als auch LNG könnte Deutschland aber auch auf Oman zurückgreifen. Es gibt aber auch weitere geopolitische Erwägungen, die eine engere Zusammenarbeit erfordern.
Und zwar?
Interessen sind in der Region immer schwerer durchzusetzen. Das hat sich auf dem Ölmarkt gezeigt, wo der Westen den Entscheidungen Saudi-Arabiens und der OPEC nur noch zuschauen kann, zunehmend aber auch in der Sicherheitspolitik. Und wie wichtig das ist, zeigt gerade erst wieder der Konflikt im Sudan.
Wo sich die Saudis um einen Waffenstillstand zwischen den Konfliktparteien bemühen...
...in vielen der Konfliktherde, auch dem Jemen und Syrien, hat Saudi-Arabien großen Einfluss. Auch in der Klimaaußenpolitik muss Deutschland es schaffen, Kompromisse mit Ländern wie Saudi-Arabien zu suchen, denn ohne die wird es nicht gehen. Zugleich geht es auch darum, Chinas Vormarsch in der Region auszubremsen.
China hat sich gerade erst als Vermittler zwischen den Iranern und Saudis hervorgetan, auch wirtschaftlich wird die Partnerschaft immer enger, schließlich ist die Volksrepublik der größte Energieverbraucher der Welt. Kommen Deutschland und Europa dagegen überhaupt noch an?
China hat am Golf die besseren Karten, schon allein deshalb, weil es nicht mit seiner Moral im Gepäck ankommt. Dass der Staatsapparat nicht immer durch so etwas vermeintlich lästiges wie Wahlen durchwechselt, wird ebenfalls am Golf geschätzt, wo man an langfristigen, freundschaftlichen Beziehungen interessiert ist. Und wie schnell das mit dem erhobenen Zeigefinger schief gehen kann, hat auch die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar gezeigt.
Innenministerin Nancy Faeser saß mit einer Regenbogenarmbinde auf der Tribüne...
...während die deutsche Nationalelf den Gastgeber verhöhnte. Das hat das Ansehen Deutschlands in Doha und dem Rest der Region beschädigt und es ist fraglich, ob Annalena Baerbock die Beziehungen nun kitten kann.
Allerdings zeichnet sich schon wieder der nächste Affront ab. Die Arabische Liga will den syrischen Diktator Bashar Assad wieder aufnehmen.
Die Wiederaufnahme von Assad ist ein pragmatischer Akt aus Sicht der Beteiligten: Auch Saudi-Arabien hat erkannt, wie schädlich regionale Konflikte für das Wachstum und die Entwicklung der Region sind. Der Akt zeigt aber auch auf, dass sich die Liga vom Westen nicht vorschreiben lässt, was nun richtig oder falsch sei. Das ist auch sinnbildlich für das Verhältnis der Region zu Russland.
Was muss Annalena Baerbock dann also angehen, wenn die Reise an den Golf ein Erfolg werden soll?
Die Reise wäre dann ein Erfolg, wenn die diplomatischen Beziehungen wieder stabilisiert und Vertrauen wiederhergestellt werden kann, so dass dann auch die wirtschaftlichen Partnerschaften weiter vertieft werden können. Klar ist aber auch: Eine leichte Reise wird das für Annalena Baerbock sicher nicht.
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