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Boris Johnson Quelle: AP

Boris Johnson und RWE retten die Autoindustrie

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Den Autobauern droht eine Zäsur. Die CO2-neutrale Mobilitätsrevolution überleben sie nur mit neuen Strukturen – und ohne Kompromiss-Technologien.

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Der Wahnsinn ist blond und spricht Englisch. Nach Donald Trump wird mit Boris Johnson der zweite Vertreter einer radikalen Unberechenbarkeit Chef eines G7-Staates. Künftig werden noch mehr erratische Entscheidungen die Weltwirtschaft verunsichern. Besonders hart trifft das die gebeutelten Autobauer. So warnte deren britischer Verband im Vorfeld von Johnsons Wahl vor dem Preis für einen chaotischen Brexit. 50 000 Pfund würde der die Industrie kosten – pro Minute.

Tatsächlich ist die Insel auch für deutsche Hersteller ein wichtiger Produktionsstandort und Absatzmarkt. Der neue „Bum Bum Boris“ kommt für sie in einem ungünstigen Zeitpunkt – aber vielleicht auch nicht. Denn er erhöht den Handlungsdruck in Deutschlands wichtigster Industrie: VW, Daimler, BMW und Co. sowie ihre Zulieferer stehen vor der größten Zäsur ihrer Geschichte. Begleitet von einer Konjunkturflaute zerlegt die CO2-neutrale Mobilitätsrevolution sukzessive das Geschäftsmodell des Verbrenners. Die Branchengrößen stutzen ihre Gewinnaussichten. Über manchen Betrieben kreisen Insolvenzverwalter und Sanierungsberater wie Geier.

Es geht ums Überleben einer verwöhnten Schlüsselbranche, die bis an die Zähne mit schlauen Köpfen und Know-how von unschätzbarem Wert bewaffnet ist. Aber leider operiert sie mitten im perfekten Sturm teilweise noch mit überholten Strukturen und altem Denken.

Zu Recht fordert etwa der Exchef von Continental und Opel Karl-Thomas Neumann einen radikalen Umbau. Ähnlich wie die Energieversorger RWE und E.On sollen sich die Autobauer in Alt- und Neugeschäft aufspalten. Der profitable Verbrennerteil für konservative Aktionäre, E-Mobilität, Wasserstoffantrieb, Carsharing und autonomes Fahren für risikofreudige Investoren. Und was nicht zum Kerngeschäft gehört, kann weg.

Damit ist es aber nicht getan. Das Festhalten an margengetriebenen Kompromissen wie dem Plug-in-Hybrid zeugt von einer fatalen Unentschlossenheit. In steuergünstigen Benzinerboliden fahren leere Bonsai-Batterien spazieren, weil sich der Besitzer wegen ein paar sauberen Stadtkilometern keinen Ladekabelsalat antut. Die alte und neue Welt gleichzeitig retten zu wollen kann nur schiefgehen. Das wäre ungefähr so, als hätte die Schweiz nach dem Ende des Bankgeheimnisses keine Weißgeld-, sondern eine Graugeldstrategie eingeführt. Ein bisschen Brexit gibt es ja auch nicht, weiß selbst Boris Johnson.

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